Bewegung im Comic
Von Burkhard Ihme
Comic und Film
Im Artikel "Montage im Film und im
Comic" wurden einige Merkmale zur Unterscheidung dieser beiden
Medien erläutert. Hier zunächst eine Zusammenfassung
und Ergänzung: Neben allen Gemeinsamkeiten gibt es wesentliche
Unterschiede zwischen Film und Comic. Zum einen läuft der Film
in einer festen Reihenfolge der Handlung, der Szenen und Schnitte
in einer begrenzten Zeit ab. Der Zuschauer kann das Kino verlassen,
aber er kann nicht aus dieser Festlegung ausbrechen. Der Comic dagegen
kann den Ablauf der Zeit nicht gestalten, da er nur geringen Einfluß
auf die Lesegeschwindigkeit des Betrachters und die Reihenfolge, in
der die dargebotenen Bilder angeschaut werden, hat. Der Zeichner kann
durch bestimmte Kniffe den Leser zu schnellem oder langsamem Lesen
verleiten, dazu zwingen kann er ihn nicht.
Dafür bietet der Comic Raum für Details und kleine Gags,
die sich im Hintergrund des Bildes abspielen und oft interessanter
sind, als die eigentliche Geschichte. Dies ist möglich durch
einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Medien: der (Real-)Film
hat, schon technisch bedingt, nur einen begrenzten Schärfebereich,
dessen Einschränkungen er nur durch komplizierte Tricks entfliehen
kann. Die natürliche Unschärfe im Bildhintergrund erleichtert
es dem Regisseur aber auch, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf
wesentliche Bildinhalte zu lenken und jenem, Motive und Personen schnell
zu erfassen. Die meisten Comics dagegen besitzen in allen Teilen eines
Bildes absolute Tiefenschärfe.
Neben der Tiefenschärfe lenkt aber auch jede Bewegung im Film
das Auge, ja, macht es oft sogar unmöglich, weniger stark bewegte
Bildmotive zu fixieren bzw. deren Bewegung wahrzunehmen. Der Comic
erfordert (und erlaubt aber auch) ein längeres Verweilen des
Auges auf dem einzelnen Panel, um Vorder- und Hintergrund zu trennen.
Eine der großen Stärken der Comics ist also ganz "unfilmisch":
das liebevolle Detail im Hintergrund, das Film- oder Helmut Kohl-Plakat,
das, ohne in die Handlung direkt einzugreifen, dennoch permanent
agierende Eichhörnchen, das sogar, im Film völlig undenkbar,
seine Kommentare abgeben oder Gespräche mit anderen Hintergrundfiguren
führen kann. Und die Akteure eines Comics können sogar denken,
ohne dass das alte Bühnenmittel des "Beiseitesprechens"
bemüht werden muß. Im Gegensatz dazu müssen Filmfiguren
entweder laut denken (was in Beisein eines Gegenspielers, vor dem
sie ihre wirklichen Ansichten und Absichten ja geheim halten wollen,
nicht sehr glaubhaft wirkt) oder sie benötigen einen Erzähler,
der in den meisten Fällen aber nur für eine Person sprechen
kann.
Und es gibt ein drittes gravierendes Unterscheidungsmerkmal der hier
besprochenen Medien: während der Film seine Geschichte auf einer
ständig gleichbleibenden (und natürlich erheblich größeren)
Fläche abbildet, steht dem Comiczeichner eine variable Anzahl
unterschiedlich großer Einzelbilder zur Verfügung, die
sich zu einer Seite, einer Doppelseite und schließlich einem
Heft oder Album zusammenfügen. Im Gegensatz zum Film kennt der
Comic allerdings nicht die Länge einer Einstellung, die ja im
hohem Maß ihre Bedeutung kennzeichnet. Die Größe
eines Panels, die häufig schon durch das Motiv bestimmt wird
(eine Totale braucht eben Platz und läßt sich nur auf einem
großen Bild darstellen), erfüllt nicht automatisch die
enstsprechende Funktion, da kommt es auch auf Plazierung und eventuell
auch auf die (auffallende und damit Aufmerksamkeit erregende) Form
an.
Die
Form der einzelnen Panels ist nicht nur ein wesentliches Merkmal der
Unterscheidung zum Film, sie ist auch eine effektive Gestaltungsmöglichkeit.
Sehr
lange oder hohe Bilder haben zweifellos eine andere Wirkung als quadratische
oder runde. Und die Symbolik eines Bildes in Herzform ist für
jeden Leser leicht zu entschlüsseln. Zudem stehen die Bilder,
anders als im Film, nebeneinander, beziehen sich aufeinander und lassen
den direkten Vergleich zu.
Als
Unterscheidungsmerkmal eher marginal, für die Gestaltung einer
Comicseite aber dennoch von großer Bedeutung ist die Leserichtung.
Ist die Bewegungsrichtung nach links oder nach rechts im Film relativ
gleichwertig, so erzeugt die Leserichtung im Comic eine deutliche
Präferenz der Links-Rechts-Bewegung. Auch aus diesen Gesetzmäßigkeiten
einer Seitengestaltung ergibt sich oft ein Konflikt zu den Erfordernissen
der filmischen Montage (und macht eine Übertragung japanischer
Comics in den abendländischen Kulturkreis nicht unproblematisch).
Auch im Comic können wir von Montage sprechen, mit der die einzelnen
Bilder zu einer Geschichte zusammengefügt werden. Dabei entspricht
jedes neue Bild einem Schnitt im Film, da sich der Leser jedesmal
aufs Neue über Ort und handelnde Personen orientieren muß.
Im Gegensatz zum Film verfügt also der Comic nicht über
das Mittel der Kamerafahrt, die in einer Bildfolge allenfalls simuliert
werden kann.
Der wesentlichste Unterschied zwischen Comic und Film ist so offensichtlich,
dass er in dem Artikel erst gar nicht erwähnt wurde: Der
Film bewegt sich, der Comic nicht. Der (Ton-)film hat Sprache und
Geräusche, der Comic nicht. Diese Nachteile werden durch Techniken
des Comics kompensiert, die als die typischen Merkmale des Mediums
überhaupt betrachtet werden: durch Bildfolgen und "Speedlines",
durch Sprechblasen und Onomatopöien ("Penglaute").
Dennoch können das Fehlen von Musik (was wäre "Der
dritte Mann" ohne das "Harry-Lime-Thema") und das Fehlen
von Mimik und Sprachgestaltung nicht ausgeglichen werden. Ein Film
wie "Manche mögens heiß" wäre als Comic
nicht halb so komisch (nicht nur wegen Marilyn), "Charlys Tante"
ein müder Abkicherer. Doch das soll nicht Thema dieses Artikels
sein. Hier geht es um Bewegung und um Probleme der Darstellung von
Bewegung im Film und im Comic.
Bewegung im Comic
Es gibt drei Möglichkeiten, im Comic Bewegung darzustellen. Die
erste ist seit Jahrhunderten aus der Malerei bekannt: das "Einfrieren"
an einem besonders dynamischen und expressiven Punkt der Bewegung
(der übrigens, wenn er nicht das Ausholen zeigt, nicht etwa einer
Eckphase im Trickfilm entspricht, sondern sich nach ca. dreiviertel
des Weges befindet). Zweitens kann Bewegung in einer Abfolge von Bildern
und drittens mit Hilfe von Speedlines
dargerstellt werden. Während die zweite Methoden bereits in Bildergeschichten,
die nach geläufiger Definition noch nicht zu den Comics gezählt
werden, in höchster Vollendung anzutreffen ist (bestes Beispiel
ist Die gestörte und wiedergefundene Nachtruhe oder der Floh,
eine Folge von 16 textlosen Zeichnungen, die Wilhelm Busch um 1860
anfertigte), können Speedlines als Errungenschaft der Comics
angesehen werden (auch wenn sich natürlich Gegenbeispiele finden
lassen, auch
in Max
und Moritz). Die meisten Bewegungen finden im Comic
natürlich zwischen
den Bildern statt. Beim Lesen ergänzt der Betrachter ganz
selbstverständlich die Handlung und damit die Bewegungen. Zeigt
Bild 1 einen Jungen mit einer gespannten Zwille, Bild 2 eine zerbrochene
Fensterscheibe, so ist für den durchschnittlich intelligenten
Leser klar, was zwischen den beiden Bildern passiert ist. Im
Grunde genommen beruhen Comics gerade auf dieser Fähigkeit und
wären andernfalls völlig unlesbar. Darstellung von Bewegung
in einem Bild ist durch
dynamische
Körperhaltung, wehende Haare und Röcke oder durch Speedlines
und andere Bewegungslinien (die eine so geringe Geschwindigkeit kenntlich
machen, dass diese den Namen "Speed" nicht verdient)
möglich. Diese
letzteren sind geeignet, kleinere Bewegungen
wie das Winken
mit dem Finger o.ä. zu verbildlichen, Bewegungen also, deren
Darstellung in einer Bildfolge eine monströse Überhöhung
bedeuten oder gar nicht funktionieren würde. Aber auch
komplexere
Bewegungen können in einem Bild mittels Bewegungslinien dargestellt
werden, z.B. Kampfszenen, dabei ist allerdings immer der Grad an Realismus
entscheidend (Superheldencomics sind in dieser Beziehung eher den
Funnies zuzuordnen).
Bewegung
kann auch in einer nur durch die Endlichkeit eines Comics begrenzten
Bildfolge dargestellt werden. Oft handelt es sich dabei um die Darstellung
mehrerer, auch zusammenhängender Bewegungen (Laufen z.B.). Dabei
ist eine Kombination mit Speedlines nichts Außergewöhnliches:
die Spreedlines zeigen an, dass und wie ein Körper sich
bewegt, die Bildfolge verdeutlicht wohin die Bewegung führt (z.B.
bei einem fahrenden Auto, einem Flugzeug, einem Raumschiff - alles
Körper, deren Bewegung nicht an der Form abzulesen ist).
Ein
Art Zwitter zwischen diesen Formen ist die Darstellung eines Körpers
oder Teil eines Körpers in seinen
verschiedenen
Bewegungsstadien innerhalb eines Bildes (siehe in Asterix oder
auch im wesentlich älteren Der Virtuos von Wilhelm Busch). Dies
ist sowohl im Funny-Stil möglich als auch als Ausdruck weitgehender
Stilisierung und Abstraktion.Es gibt allerdings auch Bewegungen, die
im Comic kaum oder nur in extremer Überzeichnung dargestellt
werden können: z.B. Kopfnicken und Kopfschütteln. Weder
in Bildfolgen noch durch Bewegungslinien ist eine realistische Dartstellung
möglich (dies gilt insbesondere für Bewegungen, die eine
Richtungsänderung beinhalten).
Klarheit der Darstellung
Comics sind im Idealfall ein gelungener Drahtseilakt zwischen möglichst klarer Darstellung und möglichst interessanter (und das heißt nach heutigen Sehgewohnheiten auch: abwechslungsreicher) Optik. Comics sollten klar gestaltet sein, um ein schnelles Erfassen des Geschehens zu ermöglichen. Eine Gestaltung, die dieses schnelle Erfassen verunmöglicht, sollte zumindest dramaturgisch begründet sein. Auch eine solche Gestaltung sollte aber eher mit klassischen, im Film bewährten Mitteln (Close ups, Dunkelheit) arbeiten und nicht mit wirren Bilderfolgen.Funnies sind in Bezug auf Klarheit gegenüber realistisch gezeichneten Geschichten im Vorteil: sie lassen eine größere Konzentration auf das Wesentliche zu (durch die "klare Linie" oder extreme Unterschiede in der Strichstärke zwischen Vorder- und Hintergrund, auch durch das Weglassen störender Bildelemente), besonders aber durch die gedrungenere Proportionierung von Kopf und Körper (Realistisch etwa 1:8, im Funny 1:4), die es erlaubt, Figuren von Kopf bis Fuß zu zeigen, ohne dass dabei die Kenntlichkeit der Gesichter und des Gesichtsausdruckes leidet. Realistics sind zu sehr großen Bildern oder Close ups gezwungen, soll das (meist auch nicht so ausgeprägte) Mienenspiel der Akteure erkennbar werden Höveler. Im Film wie im Comic gilt aber: die größte Klarheit gewährleistet eine feste Einstellung, der Wechsel von Perspektive oder Einstellung zwingt den Betrachter jeweils zur Neuorientierung und führt deshalb zunächst zu Verunsicherung (wobei durch neue Informationen - eine bis dahin unbekannte Raumkonstellation, Großaufnahme eines wichtigen Details - eine Situation auch erläutert und verdeutlicht werden kann).
Bewegung und Montage
Von der Richtigkeit dieser Behauptung kann sich jeder bei der Betrachtung
eines Fußballspiels im Fernsehen überzeugen. Die besten
Informationen liefert eine Halb-Totale, die sowohl das Umfeld des
ballführenden Spielers zeigt als auch die Rückennummern
der Aktiven erkennen läßt. Eine Nahaufnahme des Spielers
zeigt uns die Feinheiten der Ballführung oder den Körpereinsatz
eines Gegenspielers (Foul oder nicht Foul?) wesentlich besser, dafür
geht der Überblick verloren, und man weiß nicht mehr, findet
die Aktion im Strafraum oder an der Mittellinie statt. Ein Umschnitt
von der einen auf die andere Einstellung sorgt immer für einen
kurzen Moment der Irritation, in der sich der Betrachter auf die neue
Situation einstellen und den Ball suchen muß. Dabei ist der
Schnitt von der Totalen auf die Nahaufnahme leichter nachvollziehbar,
schon weil der Bildinhalt der neuen Einstellung schneller zu erfassen
ist und noch besser, wenn der Schnitt logisch ist ist, wenn also auf
den ballführenden Spieler (und nicht etwa auf die Trainerbank)
geschnitten wird. Der Schnitt von der Nahaufnahme zur Totalen fordert
vom Betrachter eine völlige Neuorientierung. Erfolgt ein solcher
Umschnitt während eines Torschusses, gehen wichtige Informationen
verloren, denn bis der Betrachter den Ball fixiert hat, ist die Aktion
vorbei, der Ball im Tor, abgewehrt oder auf der Tribüne gelandet.
Selbst bei wiederholtem Umschneiden auf immer gleiche Kameraeinstellungen
(wie z.B. beim Elfmeterschießen), gelingt es dem Auge kaum,
die Situation voll zu erfassen, wenn der Umschnitt nicht rechtzeitig
erfolgt, nämlich spätestens eine halbe Sekunde vor Abgabe
des Schusses. Es gibt für einen Fußballfan nichts Schlimmeres
als einen Bildregisseur, der seine Spielfilm- oder MTV-Tauglichkeit
unter Beweis stellen will.
Ein anderes Beispiel sind (vor allem natürlich amerikanische)
Tanzfilme aus den Jahren zwischen1930 und etwa 1970 (danach gab's
erst mal keine, später machte sich auch dort eine veränderte
Ästhetik bemerkbar). Die längsten Einstellungen der Filmgeschichte
finden sich (abgesehen von Schrifttafeln und der Schlußszene
in "Der dritte Mann") in den Tanzsequenzen der Fred Astaire
und Gene Kelly. So sind oft Musiknummern mit einer Länge von
mehreren Minuten in wenigen Einstellungen (meist Halb-Totalen oder
Halb-Nah-Einstellungen) gedreht. Denn so lassen sich die Bewegungen
der Tänzer am besten verfolgen (und diese können beweisen,
dass ohne Trick und doppelten Boden gearbeitet wird). Daß
dies heute anders gehandhabt wird, liegt vielleicht auch daran, dass
die aktuellen Tänzer-Darsteller nicht das Können der Astaires
und Kellys haben.
Während für Informationssendungen der Kantsche Imperativ
zur festen Kameraposition noch gelten mag, so ist er für dramatische
Darstellungen natürlich längst überholt. So kann ein
Schnitt in einer Bewgung (z.B. einem Faustschlag) diese noch akzentuieren
und betonen, einfach, weil ein Schnitt ein starker optischer Reiz
ist. Trotzdem sollte man sich gelegentlich vor Augen halten, dass
durch eine einfache Halbtotale ohne Schnitte eine Situation klarer
und durchschaubarer dargestellt werden kann. Man stelle sich die berühmte
Dusch-Mord-Szene aus "Psycho" einmal als Inszenierung im
Stile der Stummfilme vor:
Die Kamera zeigt das Badezimmer. An der hinteren Wand befindet sich
die Dusche. Marion Crane (Ihr kennt Marion Crane nicht? Das ist der
Rollenname von Janet Leigh) steht unter der Dusche und läßt
sich den heißen Wasserstrahl auf die Haut prasseln. Norman Bates
in der Maske seiner toten Mutter nähert sich von vorne, vorbei
an der Kamara, in der Hand ein großes Küchenmesser. Er
stürzt sich auf sein Opfer und sticht mehrmals zu. Marion bricht
zusammen und reißt im Fallen den Duschvorhang mit sich. Norman
entflieht. Alles in einer Einstellung gedreht.Die Version von Saul
Bass (Hitchcocks Titel-Designer und Second Unit Director) sieht anders
aus, wie wir wissen. Natürlich wäre eine Darstellung wie
oben beschrieben im prüden Amerika von 1960 nicht möglich
gewesen, insofern macht Bass aus der Not eine Tugend. Er liefert weniger
Information (wie oft sticht Norman zu und wohin?), aber ein Mehrfaches
an Emotion: den Genuß beim Duschen, den Schreck und die Panik
Die bewegte Kamera
Eine besondere und für den Film fast typische Form der Bewegung ist die
bewegte Kamera. Sie kann eigentlich starre Objekte für das Auge des Betrachters
in Bewegung versetzen (dies wird besonders mit der seit "Star Wars"
verwendeten Technik der computergesteuerten Kamera genutzt, mit der fortan vor
allem Raumschiffe animiert wurden). War in den Pioniertagen des Films die Kamera
fest verankert, so ist dies heute fast die Ausnahme von der Regel. Zuerst wurde
die Kamera auf ihrem Stativ drehbar, dann experimentierte Charlie Chaplin bereits
1918 mit einer beweglichen Kamera, die die Akteure auch in einer auf nur begrenztem
Raum spielenden Szene verfolgte. Orson Welles verblüffte 1941 in "Citizen
Kane" mit bis dahin nie gesehenen Kamerafahrten, und heute ist (nicht zuletzt
seit Erfindung von Steady Cam, der rucklos tragbaren Kamera) der Beweglichkeit
der Kamera fast keine Grenzen mehr gesetzt: sie umkreist die Akteure (Michael
Ballhaus erstmals in einem Fassbinder-Film von 1974 ), folgt ihnen im Spurt durch
die Luken eines Unterseebootes ("Das Boot") oder rast hinter Robin Hoods
Pfeil her. Die Filme sind schneller geworden, und die Kamera ist schneller geworden.
Oft ist schon gar nicht mehr auszumachen, was sich nun bewegt, das Objekt/der
Schauspieler oder die Kamera. Im Extremfall heben sich die Bewegungen völlig
auf, so z.B. wenn die Kamera einen Golfball im Flug einfängt, der auf diese
Weise starr in der Luft zu hängen scheint.
Kamerabewegungen sind im Comic nur schwer nachzuahmen. Sie können in einer
Bildfolge imitiert werden, aber dies stößt an seine Grenzen in der
Kürze und Komprimiertheit der Comics. Ähnlich einer Kamerafahrt ruft
aber auch eine Folge von unterschiedlichen Einstellungen den Eindruck von Bewegung
hervor, selbst wenn es sich um ein unbewegtes Motiv handelt. Es handelt sich dabei
allerdings meist um einen allgemeinen, nicht genauer definierbaren Eindruck einer
weder gerichteten noch genau nachvollziehbaren Bewegung.
Montage im Comic
In dem bereits erwähnten Artikel "Montage im Film und im Comic"
bin ich auf
verschiedene Aspekte der Montage eingegangen, die gelegentlich auch die
Problematik der Darstellung von Bewegung betreffen, z.B. der Achsensprung (bei
dem
die beim Comic natürlich fiktive Kamera die Bewegungsachse
überschreitet)
und der einen Richtungswechsel der Bewegung bewirkt und damit den Leser
verwirrt. Aber auch schon kleinere "Fehler" beeinträchtigen die
Lesbarkeit eines
Comics.
Häufige Wechsel der Einstellungen und der Perspektive machen eine Comicseite
interessanter und erzeugen dabei eine künstliche Bewegung (auch bei unbewegten
Bildinhalten ), sie machen eine Geschichte aber nicht unbedingt schneller
erfaßbar. Gilt schon im Film, daß die Darstellung einer Bewegung durch
Schnitte
an Klarheit und Eindeutigkeit verliert, so gilt dies doppelt, dreifach und
vierfach für den Comic. Durch die Gliederung der Erzählung in einzelne
Bilder
kann, insbesondere bei einem Wechsel der Einstellung, von Panel zu Panel jeweils
von einem Schnitt gesprochen werden. Und dies bedeutet: eine in einer Bildfolge
eingefangene Bewegung wird durch Wechsel der Einstellung oder gar der
"Kameraposition" als solche nicht mehr erfahrbar, denn eine Positionsänderung
des
Raumes bewirkt einen Verlust der Bezugspunkte. Da aber die Bewegung (abgesehen
von Speedlines) ausschließlich als Positionsänderung im Raum definiert
ist, ist
sie nur eingeschränkt, im Extremfall überhaupt nicht mehr wahrnehmbar
(wie bei
dem bereits erwähnten Golfball).
Für das schnelle Erfassen der Handlung ist eine klare räumliche Konstellation
der Akteure zueinander sehr hilfreich. Zwei Kontrahenten oder Dialogpartner
sollten also nicht die Seiten tauschen (was z.B, bei einem Achsensprung der
Fall wäre). Ändert nun einer der Akteure seine Position oder Blickrichtung,
gleichzeitig aber auch die "Kamera", so führt dies leicht zu einer
nicht mehr
nachvollziehbaren Situation, die wie ein Achsensprung wirkt, auch wenn sich in
der
Analyse nachweisen läßt, daß in Wirkichkeit keiner vorgelegen
hat. Eine
Bewegung, die die Raumkonstellation verändert und deshalb für das Verständnis
des
Betrachters klar erkenntlich sein muß, sollte nicht mit Wechseln von Perspektive
und Blickwinkel überlagert werden.
Letztlich hat aber jeder Zeichner zu entscheiden, inwieweit er dem Bedürfnis des Lesers nach Klarheit (und damit der Möglichkeit zum schnellen Erfassen der Handlung) nachgibt. Aber entgegen der Meinung eines Kunstkritikers der Süddeutschen Zeitung, der in einem persönlichen Gespräch 1985 in München postulierte «Kunst muß elitär sein», ist eben die Unverständlichkeit eines Comics kein schlüssiges Indiz dafür, daß es sich dabei um Kunst handelt.
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