COMIC!-JAHRBUCH 2018 |
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Herausragendes Szenario:
«Dorle» von Calle Claus und Olli Ferreira
Interview von Christian Endres
Calle Claus wurde 1971 in Braunschweig geboren, wuchs in Hannover auf und studierte Illustration in Hamburg, wo er bis heute arbeitet und mit seiner Frau Ulli und seinem Sohn Gustav lebt. Seine Brötchen verdient er als Autor, Texter, und Illustrator sowie als Zeichenlehrer für Kinder und Erwachsene. Seit Ende der 90er veröffentlichte er eine Vielzahl eigener Comics bei diversen Verlagen, zuletzt «White Line» bei der Edition 52. Im Auftrag des Goethe Instituts und des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) trat er in den letzten Jahren zudem einige künstlerische Auslandsreisen an. Als «Botschafter in Sachen Comic» bereiste er u.a. Barcelona, Casablanca (Marokko) und Archangelsk (Nordrußland).
Olli Ferreira wurde 1967 in Kaltenkirchen geboren und zog 1992 nach Hamburg. In den 90ern wurden seine Panel-Kurzgeschichten in Fanzines wie SPRÜHENDE PHANTASIE oder HIRNGESPENSTER abgedruckt, später brachte er in Eigenregie u. a. «Horni» und mit René Roggman «Daniel & Oleg» heraus, wovon bei Zwerchfell 2007 ein Sammelband erschien, der Ferreira und Roggman prompt den ICOM-Preis in der Kategorie «Bester Kurzcomic» einbrachte.
Jetzt haben Claus und Ferreira, die beide in den Ully Arndt Studios (Cool & Funny: Comic, Illustration & Animation) in Hamburg-Altona arbeiten, mit «Dorle» bei Zwerchfell ihre erste lange Comic-Gemeinschaftsarbeit vorgelegt. Titelfigur Dorle ist die Ausgeburt der modernen Egozentrik: eine lebensunfähige, ewig jammernde und ewig studierende Berufstochter, die lieber zur Therapie als zur Arbeit geht. Doch ihre Eltern, ihre beste Freundin und ihre männliche Hipster-Bekanntschaft sind genauso schräg drauf und schlimm wie Dorle, die mit ihrer Mutter nach Paris reist, aus jeder Widrigkeit ein Drama macht, dem Alk und dem Koks nicht abgeneigt ist und am Ende sogar in einen Mord verwickelt wird.
Jeder konfuse Gedanke, jedes haßerfüllte Wort des Selbstmitleids und jeder brutale Anglizismus machen Dorle nerviger. Trotzdem liest man Kapitel für Kapitel begierig und belustigt weiter, was wohl als sicheres Zeichen dafür gewertet werden darf, daß der übertriebene, böse Humor der Herren Claus und Ferreira funktioniert. «Dorle» ist schon kein einzelnes Abbild mehr eher eine in bunten Bildern und Schimpftriaden explodierende Ansammlung aufgestauter Klischees. Und damit schon ein Anti-Klischee, irgendwie ...
Für die bissige, fiese Geschichte ihres schön-schauderhaften It-Girls wurden Calle Claus und Olli Ferreira nun mit dem ICOM-Preis in der Sparte «Herausragendes Szenario» ausgezeichnet. Im Interview sprechen sie über ihre Protagonistin, ihre Zusammenarbeit und das eine oder andere Erlebnis, das man nur als derbe nice bezeichnen kann.
COMIC!: Man sagt immer, Fieslinge machen Autoren mehr Spaß. Gilt das auch für egozentrische Möchtegern-It-Girls?
Calle Claus: Klar, wobei ich Dorle nicht als Fiesling sehe. Letztlich ist sie nur Opfer ihres Umfelds und ihrer Umstände.
Olli Ferreira: Oh Gott, du redest schon wie ihr Vater! Dorle ist ein schlimmer Mensch, da beißt keine Maus den Faden ab. Die Attraktivität solcher Charaktere liegt für einen Autor sicher darin, daß er ziemlich auf die Kacke hauen und sich dabei hinter der Figur verstecken kann.
COMIC!: Wie kam es dazu, daß ihr nach all den Jahren ausgerechnet jetzt einen Comic zusammen machen wolltet?
Calle Claus: Im Zuge unserer Arbeit für die Hamburger Ully Arndt Studios hockten wir uns eh täglich auf der Pelle. Und wenn wir mal nicht von Ferdi Fuchs, der Billa-Bande oder den Teufelskickern in Atem gehalten wurden, hat sich Olli mit stundenlangen Online-Panzerschlachten abreagiert. Da habe ich eines Tages zu ihm gesagt: «All die schöne Wut, die da verpufft, könnten wir doch auch sinnvoller kanalisieren und gemeinsam ein dickes Comicbuch zeichnen.»
Olli Ferreira: Gegen Nazis zu kämpfen, ist ja wohl nicht sinnlos, und von Wut kann dabei ebenso wenig gesprochen werden das ist doch recht sehr eine Sache der Vernunft.
COMIC!: Und wie ist die Idee konkret zu «Dorle» entstanden?
Calle Claus: Das Buchprojekt mußte als Ersatzdroge für Ollis Panzer-Games funktionieren. Das Thema des Comics sollte also bei ihm eine Mischung aus Aggression und Faszination auslösen. Ein eitles, selbstgefälliges, stinkfaules und trotzdem finanziell komplett abgesichertes Mädchen erfüllte diese Kriterien!
COMIC!: Gibt es ein reales Vorbild für Dorle? Ihr müßt auch keinen Namen nennen ...
Olli Ferreira: Vor ein paar Jahren waren Calle und ich gerade dabei, eine gemeinsame Ausstellung im Hamburger Gängeviertel abzubauen, als zwei junge Mädchen reinkamen und es total scheiße fanden, daß wir nicht für sie alle Bilder wieder aufhängen wollten: «Oooch, wir sind extra ganz aus Altona gekommen!!» (also ein paar Stationen S-Bahn gefahren). Für mich war das stichwortgebend, als Calle sagte, er wolle eine Story mit einer schwierigen weiblichen Hauptrolle.
Calle Claus: (schwärmerisch) Weißt du noch, die eine meinte, die Location wäre «derbe nice»? Genau das sagt Dorle jetzt auch im Buch, als sie Bengts Eigentums-
wohnung betritt.
Olli Ferreira: Nee, das war noch anders: Das eine Mädchen hatte das Rapper-Quartett von Fabian Stolz entdeckt und rief aus «Wie nice ist das denn?» Und ihre Freundin kreischte gut eingespielt zurück «derbe nice!»
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COMIC!-Jahrbuch 2018
Artikel, Interviews, Analysen, Porträts... November 2017
Format: DIN A4 Umfang: 264 Seiten, davon 26 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25 ISBN 978388834-948-5
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