COMIC!-JAHRBUCH 2018 |
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Manga-Geschäftsmodelle im Zeitalter der Digitalisierung
Comicmarkt Japan
Von Enno Berndt
Trends fallen nicht vom Himmel; sie werden im Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure gemacht. Im Falle von Manga sind es Zeichner, Leser, Verlage und ihre Redakteure, Vertriebe und Händler. Welche Trends gesetzt und wie sie beschrieben werden, hängt davon ab, wer seine Interessen und Bedingungen durchzusetzen vermag und welchen Standpunkt man als Betrachter einnimmt. Offizielle Statistiken entsprechen meist den Interessen derjenigen Akteure, die entscheiden, was an wen wie verkauft werden soll, um Gewinn auf das eingesetzte Kapital zu erlangen. Im Falle von Manga sind das vor allem die japanischen Großverlage1 Kôdansha, Shôgakukan, Shûeisha und Kadokawa, deren Gesamtgeschäft gemessen am Umsatz zu einem Drittel vom Manga-Verkauf abhängt.2
Bekanntlich beruht deren Manga-Geschäftsmodell3 und das anderer Verlage bisher darauf, daß Serien verschiedener Zeichner zuerst in lesergruppen-spezifischen Magazinen (zasshi) für Kinder (yôji), Jungen und Mädchen (shônen, shôjo) bzw. Erwachsene (seinen, ladies oder josei) abgedruckt werden. Eine Magazinausgabe besteht normalerweise aus 20- bis 24-seitigen Folgen von etwa 2022 Serien und wird wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich zu einem Preis von 270 bis 650 Yen (durchschnittlich 363 Yen) verkauft. Das liegt oft deutlich unter dem Kostenpreis: Bei einer geschätzten durchschnittlichen Magazinauflage von ca. 60.000 Exemplaren, einer Rücklauf-Quote von 40%, also einer verkauften Auflage von ca. 36.000 Exemplaren und einem durchschnittlichen Verkaufserlös von 254 Yen pro Exemplar (nach Abzug von 30% Distributionskosten), also ca. 9 Mio. Yen, sind unter 20 laufenden Serien lediglich zwei bis vier Titel hochbezahlter Zeichner pro Ausgabe machbar, und selbst dann beträgt die Kostendeckung durchschnittlich nur ca. 5060%, vor allem für die vielen kleineren Magazine. Denn bei einem durchschnittlichen Zeichnerhonorar von angenommenen 10.000 Yen pro Seite und 500 Seiten pro Ausgabe ergeben sich 5 Mio. Yen für Zeichnerhonorare. Ferner fallen schätzungsweise 2 Mio. Yen für die Redaktion (v.a. Lohnkosten), 6 Mio. Yen für die Herstellung (v.a. Druck) und 3 Mio. Yen Fixkosten (Verlagsverwaltung, Miete etc.) an. So stehen pro Ausgabe Kosten von ca. 16 Mio. Yen Umsatzerlösen von lediglich 9 Mio. Yen entgegen.4 Für die Magazine mit Millionenauflagen 2016 Shûkan Shônen Jump von Shûeisha und Shûkan Shônen Magazine von Kôdansha sieht das natürlich anders aus: Shûkan Shônen Magazine hatte 2011 eine Auflage von 2,85 Mio. Exemplaren; 2016 waren es jedoch nur noch 1,15 Mio. Exemplare. Dort betrug das Standardbudget im Jahre 2011 laut Redakteur Hiroaki Morita für eine Folge von 20 Seiten ca. 3 Mio. Yen.5 Das wären also für eine Ausgabe von 500 Seiten ca. 75 Mio. Yen. Rechnet man bei einer aktuellen Auflage von 1,15 Mio. Exemplaren (2016) mit 8 Mio. Yen für Zeichner-Honorare, 5 Mio. Yen für Redaktion, 65 Mio. Yen für Herstellung und 10 Mio. Yen an Fixkosten des Verlag, ergeben sich Kosten von 88 Mio. Yen pro Ausgabe. Dem stehen bei einem aktuellen Heftpreis von 270 Yen, einer Rücklaufquote von 40% sowie 30% Distributionskosten insgesamt 130 Mio. Yen an Umsatzerlös gegenüber. Das ergibt eine Butto-Marge von 47%.
ZeichnerInnen erhalten je nach Erfahrungs- und Beliebtheitsgrad zwischen 4.000 und 7.000 Yen pro Seite als Berufsanfänger und 20.000 bis 35.000 Yen auf dem Gipfel des Erfolgs. Die Leser bekommen mit den Magazinen neben der neuen Folge einer möglicherweise von ihnen favorisierten Serie einen genre- bzw. lesergruppen-spezifischen Werke- und Autoren-Katalog. Die Verlage wiederum können aus der Kombination von Leserumfragen und Absatzzahlen ableiten, wie gut ein Titel in quantitativer Hinsicht bei den Konsumenten ankommt. Über den Start einer Serie entscheiden bekanntermaßen die verlagsinternen Redaktionskonferenzen. Serien werden in der Regel solange fortgesetzt, wie sie hohe Umfragewerte und Absatzzahlen erreichen. Die Rechte an populären Manga-Titeln und -Charakteren werden zur Verwertung als TV-Anime-Serie oder Kino-Zeichentrickfilm, als Spielfilm, Videospiel usw. veräußert. Der erste Schritt, der Manga gewinnbringend macht, ist traditionell jedoch die Herausgabe populärer Serien als Mangabuch (tankôbon).
Bei Videospielen erhält der Manga-Zeichner ca. 3% vom Verkaufserlös und bei TV-Anime-Serie bzw. Kino-Zeichentrickfilm 100.000 bis 200.000 Yen pro adaptierte Mangaepisode, während es bei Büchern in der Regel 10% vom Verkaufserlös sind.
1 Das sind unter den 3.404 Verlagen in Japan jene mit einem jährlichen Gesamtumsatz von mehr als 100 Mrd. Yen (derzeit mehr als 760 Mio. Euro). Diese vier Verlage haben mit 7.129 jährlichen Neutiteln 2016 einen Anteil von 9,5 % an allen jährlichen Buch-Neuerscheinungen und geben mit 292 Magazinen 9,8 % aller Magazin-Titel in Japan heraus. (AJPEA: 144, 146)
2 Der Umsatz-Anteil von Mangamagazinen und -Büchern an allen Druckerzeugnissen (inklusive digitaler Titel) betrug in Japan 2016 30,3 %. (AJPEA: 3, 212) Allerdings haben die vier Großverlage einen überdurchschnittlich hohen Anteil am Mangamarkt, so daß bei ihnen Manga über 40 % des Gesamtumsatzes stellen dürften.
3 Der Begriff des Geschäftsmodells umfaßt den gesamten Prozeß der Generierung von wirtschaftlichem Wert und bezeichnet den Zusammenhang von Produzent, Produkt, Herstellung, Vertrieb, Kunde und Nutzung.
4 Die Schätzung dieser Kosten durch den Autor geht wie die der durchschnittlichen Auflagenhöhe und Rücklaufquote von einer durchschnittlichen Anzahl von 34 Ausgaben pro Jahr aus. Diese ergibt sich aus dem Anteil von Wochen- und Monats-Magazinen an der Gesamtauflagenhöhe mit Stand 2016. (AJPEA: 219)
5 www.fujisan.co.jp
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Links zum Artikel
Fußnote 5
LITERATUR
Dijitaru Kontensu Kyôkai (Association for Digital Contents): «Manga seisaku ryûtsû gijutsu gaido» (02/2015),
Impress: Presse-Nachricht vom 27.7.2017
Nielsen: «Wakasô de sumatofôn kara manga o yomu shûkan ga teichaku» (Manga mit dem Smartphone zu lesen, ist unter Jungen etabliert), Presse-Nachricht vom 28.3.2017
Takekuma, Kentarô: Facebook post (gepostet am: 28. 8. 2017)
Xera-01 (Gogasha Co., Ltd.): «Getsugaku teigaku no denshi komikku manga yomihôdai sabisu shuyô nanatsu saito matome» (Zusammenfassende Übersicht der sieben wichtigen Sites mit Flatrates-Abonnements für unbegrenztes Lesen von Manga und Comics) (gepostet am: 1.5. 2017/5.9. 2017)
Xera-02 (Gogasha Co., Ltd.): «Dôshite muryô? Yomihôdai no manga apuri ninki rokusha no bijinesu moderu bunseki» (Warum geht das kostenlos? Analyse des Geschäftsmodells der sechs populären Manga-Apps mit Flatrate), xera.jp/entry/manga-app6 (gepostet am: 25.5. 2017/1.9. 2017)
Xera-03 (Gogasha Co., Ltd.): «Muryô de yomihôdai no manga apuri wa dore? 110 ko no manga apuri o bunruishite mita» (Welcher Manga-App ist kostenlos und unbegrenzt? Versuch der Klassifikation von 110 Manga-Apps), (gepostet am: 1.9. 2017/5.9. 2017) |
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Artikel, Interviews, Analysen, Porträts... November 2017
Format: DIN A4 Umfang: 264 Seiten, davon 26 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25 ISBN 978388834-948-5
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