COMIC!-JAHRBUCH 2018 |
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«Wir galten als die Gegenkultur»
Denis Kitchen über Underground-Comix, Zensur und das Recht am eigenen Werk
Interview mit dem Zeichner und Herausgeber
von Christian Muschweck
Als Denis Kitchen 2013 zum ersten Mal auf dem Münchner Comicfestival war, fiel ihm ein Banner mit der Aufschrift U-Comix auf. Das weckte Erinnerungen, denn Raymond Martin, der Herausgeber des alten U-COMIX hatte schon 1981 Kontakt zu Kitchen aufgenommen, um von ihm Material für einen geplanten Denis-Kitchen-Sonderband zu erhalten. Denis Kitchen trug dafür fleißig Material zusammen, aber der Band kam nie zustande, und Kitchen bekam niemals Geld für seine Bemühungen zu sehen.
Für das alles kann Steff Murschetz, Herausgeber des neuen U-Comix, nichts. Aber es war der Grund, weshalb Murschetz und Kitchen sich kennenlernten, und so wurde 2013 der Grundstein für eine erfreuliche Partnerschaft gelegt, die 2017 zur deutschen Ausgabe des Buchs «Seltsam und fesselnd Das Werk des Denis Kitchen» führte. Das Buch zeichnet die Biographie des Zeichners nach und enthält viele seltene Zeichnungen und Titelbilder. Aber Denis Kitchen ist viel mehr als eine Underground-Legende. Er war es, der Will Eisner dazu brachte, im fortgeschrittenen Alter wieder ernsthaft Comics zu zeichnen, er verlegte sowohl amerikanische Klassiker als auch moderne Independent Comics in seinem eigenen Verlag Kitchen Sink und er gründete in den 1980er Jahren den «Comic Book Legal Defense Fund» (CBLDF), eine Stiftung, um die Rechte von Comicschaffenden zu stärken und zu verteidigen.
Ich suchte das Gespräch mit Denis Kitchen, weil ich mehr über die Hintergründe des CBLDF erfahren wollte. Denis Kitchen jedoch bestand darauf, daß wir sein Buch besprechen sollten, schließlich sei er alleine deswegen nach Deutschland gekommen. Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen, denn das eine Thema schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil: der CBLDF ist nur völlig zu verstehen, wenn man auch Denis Kitchens Hintergrund als Underground-Künstler kennt, und andersrum ist der CBLDF ein zu wichtiger Bestandteil seines Lebenswerks, als daß man das Thema übergehen könnte. Und schließlich würdigt ja auch das Buch «Seltsam und fesselnd» Kitchens Engagement als Streiter gegen Zensur, und so kam unser Gespräch recht organisch an all die relevanten Punkte. Und zu ein paar biographischen Seitenblicken sind wir auch gekommen.
Gegenkultur und Underground-Comix
COMIC!: Sind die deutschen U-Comix deiner Meinung nach «richtige» Underground-comix?
Denis Kitchen: Ich denke, es sind deren europäische Cousins. Sie sind unzensiert, und der Künstler hat völlige Freiheit in dem, was er tut und das ist es, wofür Underground-Comix stehen. Als ich damals in den 60ern anfing, hatten wir in Amerika nur Newsstand Comics von Marvel und DC sowie Archie-Comics. Es war einem Comickünstler nicht möglich, sich persönlich zu entfalten. Du mußtest für einen Verlag arbeiten, der die Rechte an den Figuren behielt. Die Verleger saßen auf den Copyrights und behielten die Originalseiten ein. Was meine Generation betrifft: Wir galten als die «Gegenkultur», schon weil wir Teil der Anti-Vietnam-Bewegung waren. Wir waren politisch aktiv und kämpften an vielen Fronten: Wir waren aktiv Teil der Bürgerrechtsbewegung, der Frauenbewegung, der Schwulenbewegung, der «Legalize Marihuana»-Bewegung und wir trugen unsere Haare lang. Wir waren in vielerlei Hinsicht radikal. Ich kam damals gerade aus dem College und hatte den Wunsch, Cartoonist zu werden. Mir leuchtete ein, daß ich Probleme damit haben würde, für einen konventionellen Verleger zu arbeiten, also beschloß ich, meine Sachen selbst zu verlegen. Das war ein bißchen naiv, denn ich hatte kein Geld, aber ich zeichnete meinen ersten Comic und fand eine Druckerei, die mir 4.000 Kopien zu einem erschwinglichen Preis machen konnte. Das war in Milwaukee, Wisconsin, und zu meiner eigenen Überraschung verkaufte ich 3.500 Exemplare allein in der East Side von Milwaukee. Es gab dort genügend Hippies, die ein Projekt dieser Art gerne unterstützten.
COMIC!: Das war ja auch die Zeit von Robert Crumbs ersten Comics. Hattest du damals schon Partner, oder hast du das alleine gestemmt?
Denis Kitchen: Ich war damals alleine und kannte Robert Crumbs «Zap» auch noch nicht. Ich kannte nur einen anderen Underground-Comic aus Chicago, der hieß «Bijou-Comix». Ich kannte Robert Crumb aus Harvey Kurtzmans HELP-Magazin, wußte zu dieser Zeit aber noch nichts von «Zap». Crumbs erstes «Zap»-Heft erschien ja bereits 1967, kam aber nicht bis Milwaukee. Als mein Heft 1968 herauskam, suchte ich den Kontakt mit anderen Cartoonisten und fand heraus, daß die Herausgeber von «Bijou» mit Crumb befreundet waren. Als Crumb sie in Chicago besuchte, nahmen sie gemeinsam den Bus nach Milwaukee. So lernte ich Robert Crumb kennen. Robert und ich verstanden uns gut, denn wir hatten viele Gemeinsamkeiten. Ich hatte alte Musikboxen und Robert mochte alte Musik aus den 20er und 30er Jahren, also gab es etwas, was uns verband.
COMIC!: Alte Musik? Heißt das, du warst kein Fan der damals angesagten Musik von Jefferson Airplane, Janis Joplin oder Jimi Hendrix?
Denis Kitchen: Doch. Ich mochte sie sehr. Sie waren Teil meiner Generation. Aber ich mochte auch die traditionelle Musik, die meine Jukeboxes abspielen konnten. Das waren antike Jukeboxen, die noch mit 78 Umdrehungen pro Minute liefen. Schallplatten dafür wurden schon seit den 50ern nicht mehr hergestellt. Als Robert mir anbot, sein nächstes Buch zu veröffentlichen, ging das mit meinem Kitchen-Sink Verlag richtig los, denn Roberts Bücher verkauften sich sehr gut. Außerdem verlegte ich bald die «Bijou-Funnies» aus Chicago und meine eigene Serie, «Mom’s Homemade Comics». Kitchen Sink wurde immer größer.
COMIC!: Dein Label hieß tatsächlich von Anfang an Kitchen Sink Comics? Ich dachte, das kam erst später.
Denis Kitchen: Es gab von Anfang an dieses kleine Logo. Aber richtig: Meine Firma hieß zunächst Krupp Comic Works, eine ironische Anspielung auf den deutschen Krupp-Konzern. Das machte natürlich keinen großen Sinn. Ich hatte damals zwei oder drei Partner, mit denen ich einen Namen für unsere Gruppe suchte, doch wir konnten uns nicht einigen. Irgendwann spät nachts, wir alle waren sehr müde, fiel mir ein Sachbuch ein, das ich zu dieser Zeit las. Es ging über die deutsche Munitionsfirma Krupp und mit einem Mal paßte alles zusammen: Milwaukee war eine sehr deutsch geprägte Stadt, ich hatte dieses Buch mit Titel «The Arms of Krupp», und so meinte ich zu meinen Freunden, «Was haltet ihr von Krupp Comic Works?» Das ist der ganze, flache Witz. Eine Anspielung auf «Krupp Cannon Works». Die anderen waren müde. Sie meinten «Okay, ist uns egal.» Und so wurde das unser Firmenname.
COMIC!: Aber später hattest du das Symbol mit dem Wasserhahn. War das auch ein Witz?
Denis Kitchen: Klar. Mein Name ist Kitchen, und wenn du schon so einen behämmerten Namen hast, kannst du ihn auch nutzen, um eine Marke zu kreieren, die sich die Leute auch merken können. Nach einiger Zeit hießen wir dann nur noch Kitchen Sink. Aber der Firmenname war weiterhin Krupp. Eine Zeit lang hatte ich auch einen kleinen Witz auf meinem Briefkopf. Darauf war ein Nazi mit einer seitenverkehrten Swastika, der mit dem Finger zeigte und meinte «Auch du wirst unsere Comics kaufen.» Das war ein geschmackloser Witz, aber so fingen wir an. Im Rückblick kommt mir das sehr unangemessen vor, aber damals war es uns wichtig, so geschmacklos wie möglich zu sein, denn damals als ich aufwuchs, gab es nur zensierte Comics. Alle Comics hatten den Stempel der «Comics Code Authority» zu tragen.
COMIC!: Darauf wollte ich gerade kommen. Der Comics Code war schließlich schuld daran, daß es in Amerika keine Comics wie «Tales from the Crypt» oder «Weird Science» mehr gab. Es gab nur die sehr zahmen und kindischen «Batman»- und «Superman»-Sachen und später, in den 60ern, kamen die Underground-Comix dazu. Das waren zwei sehr extreme Pole: Auf der einen Seite waren die Kindercomics, die den Auflagen des Codes entsprachen, auf der anderen Seite fast nur pornographische Underground-Comix, wenn ich das mal so überspitzt sagen darf.
Denis Kitchen: Es läßt sich nicht abstreiten, daß einige der Undergrounds pornographisch waren, andere waren aber in völlig anderer Hinsicht anstößig. Nun, egal ob Crumb, S. Clay Wilson oder auch ich wir wollten schockieren. Das war einfach der Geist der Gegenkultur: Wir hatten die Generation unserer Eltern einfach satt. Ihnen hatten wir Richard Nixon zu verdanken und den Vietnamkrieg. Ich war damals im wehrfähigen Alter. Alle jungen Männer in Amerika konnten eingezogen werden. Wir wollten aber nicht eingezogen und nach Vieltnam geflogen werden, in einen Krieg, den wir nicht nachvollziehen konnten. Wir waren über sehr vieles verärgert, gerade deshalb war es uns wichtig, in den Comics mit den Konventionen zu brechen. Unsere Eltern und Großeltern sollten sehen, daß wir eine andere Form von Kultur wünschten. Und so wurde das in die andere Richtung extrem, wie du ja schon sagtest. Aber der eigentliche Zweck der Undergrounds war, sich frei äußern und die Comics machen zu können, die wir machen wollten. Vieles davon war sehr persönlich und autobiographisch.
COMIC!: Richtig. Das mit den autobiographischen Comics ging damals auch schon los. Die Comics von Leuten wie Chester Brown und Harvey Pekar sind ja auch aus dieser Bewegung heraus entstanden.
Denis Kitchen: Das alles ging mit den Undergrounds los. Es ist immer leicht, zu verallgemeinern, aber wenn man sich ernsthaft mit den Undergrounds auseinandersetzt, wird man sehen, daß viele von ihnen sehr gemäßigt sind und einen freundlichen, gutmütigen Humor haben. Uns kam es darauf an, daß ein Künstler das Copyright an seinem Werk behält und daß einem niemand etwas vorschreiben kann.
COMIC!: Mir kommt es fast so vor, als hätte die damalige Zensur das Zentrum dessen zerstört, was Comics sein sollten. Der Mainstream war weg. Alles war entweder Kinderkram oder Underground. Amerikanische Comics waren auf die beiden Extreme reduziert. Als hätte man eine große Bombe auf den Mainstream abgeworfen.
Denis Kitchen: Das kann man sicher so sagen. Man sollte aber nicht vergessen, daß wir damals sehr jung waren. Wir hatten nicht unbedingt einen intellektuellen Blick auf das große Ganze. Der Begriff «Gegenkultur» sagt eigentlich alles. Wir hatten lange Haare, rauchten Gras, demonstrierten gegen den Krieg mit all dem grenzten wir uns ab. Nicht alle jungen Leute waren ein Teil davon, aber sie waren zahlreich genug, so daß unsere Underground-Comix sehr erfolgreich werden konnten. Als Verleger weiß ich, daß die Auflagen damals überraschend hoch waren. Viele Menschen glauben ja, Underground-Comix war eine kleine, obskure Randerscheinung. Wir verkauften unsere Comix über die Head Shops, nicht über den konventionellen Handel. Es gab sehr viele Headshops und Hippies damals das absolute Minimum von abverkauften Heften lag bei 10.000 Exemplaren. Normalerweise wurde aber nachgedruckt und nicht nur einmal, so daß wir oft Auflagen von mehr als 100.000 Heften erreichten. Heutzutage haben die Giganten, Marvel und DC, große Probleme damit, solche Zahlen zu erreichen. Und wie gesagt, es ging uns nicht um Zensur, sondern um eine faire Behandlung der Künstler. Als Herausgeber habe ich den Künstlern stets anteilige Honorare für jedes verkaufte Buch bezahlt. Je mehr wir verkauften, desto mehr verdiente ein Künstler. Es war ein anderes Geschäftsmodell. Marvel und DC hätten dir stattdessen gesagt: «Danke für deine Seite. Wir geben dir 100 $ dafür, und tschüß.» Und du hättest nie auch nur einen weiteren Penny gesehen. Und wenn das Buch im Ausland erscheint, verdient sich Marvel vielleicht eine goldene Nase damit, für dich als Künstler fällt aber nichts ab. In meinem Geschäftsmodell dagegen würde es für jeden weiteren Nachdruck und jede Auslandsveröffentlichung einen neuen Scheck geben.
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Artikel, Interviews, Analysen, Porträts... November 2017
Format: DIN A4 Umfang: 264 Seiten, davon 26 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25 ISBN 978388834-948-5
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