COMIC!-JAHRBUCH 2018 |
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Die Widerstandsfähigkeit der Fumetti
Der italienische Comicmarkt
Von Giovanni Remonato
Der französisch-belgische Comic-Markt hat sich verkleinert und das ist gut so! Denn nach der so unsäglichen Albenschwemme der immergleichen Fantasyhelden mit ihren voraussehbaren Abenteuern ist jetzt wieder mehr Vielseitigkeit und Qualität angesagt. Einen besonderen Entwicklungsschub gibt es bei Comics für Mädchen.
Nach nunmehr fünfzehn Jahren wildwuchernder Steigerung waren die Veröffentlichungszahlen auf dem französischsprachigen Comicmarkt zuletzt endlich in die Stagnation übergangen. Jetzt hat das Gesundschrumpfen begonnen, was auch bitter nötig ist. Der Ruch, daß Comics in Frankreich und Belgien nur noch im «industriellen Maßstab» produziert werden, ist verflo-gen. Ein Glück! Denn der so waghalsige Veröffentlichungsboom, der vorwiegend durch die sogenannten «Schwarzrücken»-Alben der Verlage Delcourt, Soleil und Glénat zustande gekommen war1, hatte den Markt unübersichtlich gemacht und mit seinen unzähligen abgebrochenen Serien Käufer wie Händler gleichermaßen genervt. Es ging soweit, daß manche Comic-Händler sich trotz der Marktmacht dieser drei Verlage zuletzt geweigert hatten, deren Neuerscheinungen noch weiterhin in die Regale zu stellen, weil es einfach zu viel geworden war.
Reduktion der Stellfläche
Wenn man gegenwärtig in Frankreich oder Belgien durch die Comicläden streift, hat sich das Bild gegenüber den letzten Jahren in der Tat gewandelt. Vor allem in den großen Kaufhäusern sind die einst so prächtigen Comic-Abteilungen deutlich reduziert worden. Hatte beispielsweise die fnac in Straßburg vor rund zehn Jahren noch fast die gesamte obere Etage nur für die «Bandes Déssinées», also die Comics, reserviert, so ist es heute kaum noch ein Viertel davon. Auch andernorts ist die Verkaufsfläche für Comics dem Eindruck nach mindestens auf die Hälfte geschrumpft. Gewiß, ein Comicfachgeschäft bleibt als solches natürlich gleich groß, aber hier wiederum hat sich die Anzahl der existierenden Läden verringert. Es wird eben bei weitem nicht mehr so viel umgesetzt wie früher nicht bei den eigentlichen Comicalben jedenfalls (die boomenden Manga und andere artfremde Merchandising-Produkte verfälschen hier die Zahlen). Aber die Zeiten, da die Erstauflagen der Alben der angesagten Serien wie «Thorgal», «XIII», «Valérian», «Yoko Tsuno», «Blueberry» usw. noch im mittleren Hunderttausenderbereich gelegen hatten, sind eben vorbei. Und dieser Rückgang war mit der wilden Steigerung des Outputs an Titeln eben nicht auszugleichen, zumal diese so hektisch angetriebene Produktion eben merklich zulasten der Qualität gegangen war. Vor allem mangelte es an neuen Ideen. Somit ist dieser Rückgang für den frankobelgischen Comic bei Licht betrachtet weniger dramatisch, als er den absoluten Zahlen nach vielleicht aussehen mag. Denn das Sichtwort lautet in der Tat: Gesundschrumpfen. Das Abebben der übermäßigen Albenproduktion nur um des Produzierens willen ist für den Markt also eher ein Segen denn ein Einbruch. Die Stellflächen mit den Neuerscheinungen sind endlich wieder übersichtlich, die Qualität der angebotenen neuen Titel wieder im akzeptablen Bereich.
Ein weiterer Grund für die reduzierten Verkaufsflächen in den Comicabteilungen der großen Geschäfte geht auch darauf zurück, daß dort nicht mehr die gesamte Backlist der klassischen Comicserien zu finden ist. Die Zeiten, da man sich so wie noch vor zehn Jahren sämtliche Alben der Schlümpfe und Minimenschen, von Lucky Luke, Gaston, Achille Talon (Albert Enzian), Aria, Jérôme K. Jérôme Bloche (Jackie Kottwitz), Valérian, oder was auch immer im Laden direkt aus dem Regal ziehen konnte, sind nun endgültig vorbei. Als eingefleischter Comicnostalgiker mag man das bedauerlich finden, aber aus Sicht des Marktes es ist absolut verständlich. Denn die Verkaufszahlen dieser mittlerweile dreißig oder vierzig Jahre alten Titel stehen schon längst in keinem Verhältnis mehr zu den Kosten, die deren Bereitstellung verursacht. Man hatte sich ohnehin gewundert, daß Verlage und Läden der französischen Comic-Szene es so lange durchgehalten haben, all diese vielen alten Titel immer noch konsequent nachzudrucken, nur um in möglichst vielen Geschäften die oft schon seit Jahrzehnten laufenden Serien komplett und lückenlos ab Band eins anbieten zu können. Ja natürlich, das hatte was, keine Frage! Genau gesagt war es ja gerade das, was den frankobelgischen Comicmarkt gegenüber dem amerikanischen, deutschen oder japanischen so einzigartig gemacht hat, daß man dort nämlich bei Bedarf in jedem besseren Provinzladen sämtliche «Alix»- oder «Schlümpfe»-Alben ab Band eins einfach so in der x?ten Neuauflage bekommen konnte. Paradiesische Zustände für jeden Leser, der eine Serie für sich entdeckt hatte und dann gerne sämtliche Nummern davon haben wollte. Da mußte man nicht lange sammeln oder suchen, da ist man einfach in den Comicladen gegangen und hat sie gekauft. «Johann und Pfiffikus» Band eins von 1954? bis vor ein paar Jahren kein Problem! Das Album war in Hunderten von Läden neu zu haben. Es war schön, es war einzigartig und unübertroffen an konsequenter Comic-Kultur. Aber es ist, wie gesagt, auch verständlich, daß dies nun nicht länger so gehandhabt werden kann, weil die Backlists dafür einfach zu lang geworden sind.
Viele der klassischen Serien aus der «zweiten Reihe», die man sich vor einer Dekade noch gar nicht so recht wegdenken konnte, sind jetzt dabei, vom Markt ernsthaft zu verschwinden. Selbst auf dem so üppig bestückten Gebrauchtmarkt ist es inzwischen schwierig, die weniger bekannten Serien der 1990er Jahre abwärts noch zu vervollständigen. Und manche der einst erfolgreichen Serien, die immer noch fortgesetzt werden, führen heute ein unbeachtetes Schattendasein, wie z. B. der einst so erfolgreiche «Inspektor Canardo». Eigentlich zu Unrecht, denn der alte Erpel ermittelt immer noch auf hohem Niveau. Aber offenbar ist er aus der Mode gekommen. An Serien wie «Orn», «Hybrides», ja selbst an Loisels einst so supererfolgreiche Serie «Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit» erinnern sich heute gerade mal noch die Comicexperten; zu finden sind sie kaum noch, weder neu noch gebraucht. Für die bekannteren Serien aber hat sich eine praktikable Lösung in den jetzt üblich gewordenen Sammelbänden gefunden. Anfangs enthielten diese Bände drei, inzwischen vier oder sogar fünf Titel einer klassischen Serien. Ob nun «Isabelle», «Tif et Tondu» («Harry und Platte»), «Gil Jourdan» («Jeff Jordan»), «Natacha» oder «Les Aventures de Buck Danny», die wichtigen Klassiker werden von den Verlagen jetzt (oft nur noch) in Sammelbänden angeboten immerhin. Aber so viel Comickultur sind sich die belgischen Verlage dann offenbar schuldig.
Während manch einst große Serien also mit jetzt kleinsten Auflagen von gerade mal noch tausend bis zweitausend Exemplaren dahindümpeln, werden andere Klassiker von neuer Hand übernommen und aufgebauscht. So wird beispielsweise die Serie «Thorgal» geradezu als «Steinbruch» genutzt. Das erste Spin-Off über die getrennt erzählten Abenteuer von Thorgals Sohn Jolan war noch in der ursprünglichen Serie verankert. Die Lebensgeschichte von Kriss de Valnor und die Abenteuer der Tochter Louve sind aber konsequenterweise in «Nebenserien» mit eigener Numerierung gepackt worden. Natürlich auch deshalb, weil hier unterschiedliche Autorenteams am Werk sind. Nur … es wird einem allmählich etwas zu viel, mit diesem Thorgal-Universum, zumal die meisten dieser Alben Geschichten erzählen, die inhaltlich früher kaum fünfzehn Seiten gefüllt hätten. Das Gefühl, daß hier durch eine unnötig gestreckte Erzählweise Kurzgeschichten zu kompletten Alben aufgebläht werden, läßt sich leider nicht verhehlen.
1 siehe Bericht in Comic! Jahrbuch 2013, S.122
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COMIC!-Jahrbuch 2018
Artikel, Interviews, Analysen, Porträts... November 2017
Format: DIN A4 Umfang: 264 Seiten, davon 26 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25 ISBN 978388834-948-5
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