COMIC!-JAHRBUCH 2018 |
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Mit Bildern Bewußtsein schaffen
Eduard Fuchs Pionier der Karikaturenforschung
Von Ulrich Weitz
Eduard Fuchs (18701940), einer der erfolgreichsten Autoren zur Kultur- und Sittengeschichte, ist heute nur noch wenigen Experten bekannt. Dabei war er der bedeutendste Pionier der Karikaturen- und Comicforschung. Als sozialdemokratischer Zeitungsredakteur ist er auch der erste, der Karikaturen in Tageszeitungen und historischen Büchern veröffentlicht. Bilder sind für ihn die zentrale Quelle, um über Mode, Erotik, Tanz, Musik, Kunst und Geschichte zu schreiben. Er besitzt die größte Karikaturensammlung seiner Zeit (25.00030.000 Blätter) und will diese der Stadt Berlin als Museum überlassen. Der Machtantritt der Nazis verhindert die Stiftung und Fuchs flieht ins Pariser Exil. Die Sammlung Eduard Fuchs wird von den braunen Machthabern geplündert und auf mehreren Auktionen verramscht.
Karikaturen im Wahlkampf:
Bilder sind überzeugender als Worte
Ich laufe Mitte September durch Berlin und mein Magen treibt mich zum «Türkenmarkt» am Maybachufer. Doch nicht nur mein Nahrungstrieb wird befriedigt, denn ich entdecke dort am Espressostand ein Wahlplakat von Gerhard Seyfried für den Kreuzberger Kandidaten der Linken. Endlich ein Plakat, das man ansehen kann, das zum Entdecken und zum Lachen animiert, frech und anarchistisch angehaucht.
Welch Augenweide, nachdem ich gewollt oder ungewollt mit Plakaten konfrontiert worden bin, auf denen mir ein Dreitagesbartjüngling erklärt, wie Wirtschaftspolitik funktioniert, oder die kubistisch in ihre Farben zerlegte Nationalflagge mir vermitteln soll, daß wir mit unserer Kanzlerin den Volltreffer gelandet haben. Ein älterer Vollbart verkündet mir «Deutschland braucht neue Ideen und einen, der sie durchsetzt» und ich werde vor die Wahl gestellt «Bikini oder Burka». Ein kurzer Anblick, und glücklicherweise weigert sich meine Hirn-Festplatte diesen Schrott zu speichern, nur ein Plakat blieb mir haften wegen seines mir zunächst nicht entschlüsselbaren Slogans: «Mobilität ist Fortschritt für ein weltoffenes Stuttgart» ... Doch der hochphilosophisch anmutende Text verdankt seine Existenz dem vergessenen Punkt zwischen zwei Sätzen.
Bereits 1898 hatte Eduard Fuchs, damals Chefredakteur der satirischen Zeitschrift Süddeutscher Postillon Möglichkeiten erprobt, durch Bilder Bewußtsein zu verändern: «Durch die Karikatur vermag man oft mit nur wenigen charakteristischen Strichen den Charakter einer Person so treffend zu kennzeichnen, komplizierte Gedanken und Ideen so klar zum Verständnis der weitesten Volkskreise zu bringen, wie es selbst durch ausführliche Darlegungen nicht erreicht werden kann [...] Andererseits können durch sie wenigstens in gewissem Maß Wahrheiten über Personen und Verhältnisse in Kurs gebracht werden, die sonst in keiner anderen Form ungestraft vor die Öffentlichkeit gelangen können. Es kommen also durch sie Erkenntnisse und Wahrheiten in die Massen, die diesen sonst unverständlich oder ganz verschwiegen bleiben.»
Ein besonders schönes Beispiel dafür ist ein Wahlplakat, das Max Engert in Zusammenarbeit mit Eduard Fuchs gestaltet. Marianne, das Symbol der Freiheit, flüchtet sich in den Arm eines Bergarbeiters. «Wagt Euch nicht heran» die Arbeiterbewegung wird zur Verteidigerin der Freiheitsrechte. Besonders mutig war das, da Marianne auch die Allegorie Frankreichs, der französischen Republik und des angeblichen «Erzfeindes» ist. Germania, kriegerische Walküre mit Busenharnisch, ist Fuchs ferner als das Nachbarland, das mit seiner Revolution die Menschenrechte erkämpft hat. Das war natürlich nicht im Sinne der «königlich-bayrischen» Sozialdemokratie in der Münchner Bierhalle «Eldorado» hatte der Landesvorsitzende Georg von Vollmar bereits 1891 vollmundig verkündigt: «Sobald unser Land von außen angegriffen wird, gibt es nur eine Partei, und wir Sozialdemokraten werden nicht am letzten unsere Pflicht tun!»
Eduard Fuchs vertritt im Postillon völlig konträre Positionen. Als «Arbeitsloser Philosoph» lästert er: «Wofür kämpft der Soldat? Fürs Vaterland! Was ist sein Vaterland? Der Fleck, wo er geboren ist, das Land, das ihn verhungern läßt! Also kämpft der Soldat für das Recht, auf dem angestammten Fleck Erde verhungern zu dürfen.»
Eduard Fuchs ist kritisch gegenüber den staatstragenden Parteien, aber auch gegenüber einer Parteisolidarität, die den eigenen Standpunkt der Disziplin unterordnet und kritisches Nachdenken ausklammert. Sein Selbstbekenntnis «Sozialist» zeugt von dieser Skepsis: «Wenn ich an’s Beten glauben thät / Verrichtet Tag für Tag ich ein Gebet: / Schütze, o Herrgott uns’re Partei / Vor schäbiger, knausiger,/ Kleinlicher, lausiger, / Kleinbürgerei».
Signiert war das Gedicht mit einer «Fuchs-Vignette». Ähnlich hinterfragt er auch die Stammtischdiskussionen seiner bayrischen Partei-Genossen, die neben revolutionären Höhenflügen auch schnell mal ins Antisemitische abdriften. Unter dem Titel «kleinbürgerlicher Sozialist» werden sie von Fuchs beschrieben: «Dröhnende Phrase, / Demonstration, / Bierbankbegeistert, / Revolution, / Predigt wie nötig / Großproduktion, / Einzige Hilfe / Expropriation./ Kommt aber er in / Gant [öffentliche Versteigerung; Anmerkung des Autors] und Auktion, / Zetert und schimpft er auf Veitel und Cohn.»
Dem Simplizissimus-Zeichner Bruno Paul [Zuschreibung des Autors] verdanken wir die schöne Bildergeschichte «O du lieber Augustin». Fuchs war nämlich während seiner 10-monatigen Haftstrafe wegen «Majestätsbeleidigung» nochmals verurteilt worden, diesmal jedoch nicht wegen eines Pressevergehens, sondern wegen einer Handgreiflichkeit. Er hatte einen Schankwirt beim Abreißen eines sozialdemokratischen Plakats ertappt und so verprügelt («Mit seinen Händen schlug der Fuchs / Den Frevler an die Ohren flugs / Er schlug ihn auch noch ins Gesicht / Es war das reine Lynchgericht»), daß dieser nach eigenem Bekunden drei Wochen lang arbeitsunfähig war. Diese Ohrfeigen erhöhen das Fuchs’sche Strafkonto auf dreißig Mark, ersatzweise sechs Tage Haft.
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COMIC!-Jahrbuch 2018
Artikel, Interviews, Analysen, Porträts... November 2017
Format: DIN A4 Umfang: 264 Seiten, davon 26 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25 ISBN 978388834-948-5
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