COMIC!-JAHRBUCH 2018 |
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Cooles Infotainment
Ein Streifzug durch die wundersame Welt der Behördencomics
Von Andreas Alt
Das Subkomitee des US-Senats zur Kriminalität unter Jugendlichen spielt in der Geschichte der Comics eine unrühmliche Rolle. Diese Behörde untersuchte 1954, inwieweit die Thesen des Mediziners und Psychiaters Fredric Wertham zutreffen, wonach Comics einen verderblichen Einfluß auf Kinder ausüben. Auch Comicmacher wurden im Ausschuß befragt. Das Gremium kam zu der Auffassung, daß Wertham mit seinem Buch «Seduction of the Innocent» Recht hatte, und stürzte die amerikanische Comicindustrie in eine schwere Krise. Vor allem in Deutschland (wo Werthams Mitarbeiterin Ingrid Mosse für Werthams Thesen warb1) konnten Comics ihr Schmutz-und-Schund-Image bis heute nicht so recht abschütteln.
Zur gleichen Zeit wandte sich die Informationsagentur der Vereinigten Staaten hilfesuchend an die Walt-Disney-Studios. Sie sollten dabei helfen, die Einstellung der Amerikaner zur Atomkraft zu verändern. Unfälle bei Atomtests in den USA hatten die Öffentlichkeit skeptisch werden lassen. Disney produzierte darauf ab 1957 die Fernsehserie «Our Friend the Atom». Unter anderem war da ein Zeichentrickfilm zu sehen, in dem die Atomkraft mit dem Geist aus Aladins Wunderlampe verglichen wurde: bärenstark, aber seinem Herrn stets (jedenfalls meist) gutmütig zu Diensten.
Wenn der Begriff «Behörde» fällt, denken viele zuerst an die unselige Geschichte um Fredric Wertham. Aber Behörden haben sich zugleich auch der Comics bedient wohl schon in der Frühzeit dieses Mediums. Den gleichen Gegensatz wie in USA kann man auch in Deutschland finden: Einerseits gibt es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (bis 2003 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften), die ursprünglich für das Bundesinnenministerium Law-and-Order-Aufgaben erfüllte. Heute gehört sie zum Bundesfamilienministerium und verfolgt Comics nicht mehr mit so unnachgiebiger Härte wie noch 2001, als aus reinem Unverständnis ein Heft der Reihe «Sailor Moon» indiziert wurde2 Andererseits führt eine Comicfigur seit langem im Auftrag des Bundestags Kinder an die Demokratie heran: «Karlchen Adler» von Detlef Surrey.
Offensichtlich handelt es sich um sehr unterschiedliche Dinge. Hätte sich der US-Senatsausschuß auch kritisch mit Disneys «Our Friend the Atom» auseinandergesetzt? Wohl kaum. Ebensowenig würden die Surrey-Comics der Bundesprüfstelle Anlaß zum Einschreiten geben. Einmal geht es um problematische und unerwünschte Inhalte und auch Bilder, im anderen Fall um Botschaften, die dem Staat am Herzen liegen und für die er die Bürger einnehmen und von denen er sie überzeugen möchte.
Was Behördencomics sind und was nicht, läßt sich nicht so leicht bestimmen. Gehen wir davon aus, daß mit ihnen auf unterhaltsame Weise Informationen vermittelt werden sollen. Dann kommt man schnell darauf, daß auch andere Institutionen zu diesem Zweck gern mal auf Comics zurückgreifen. Naturschutzverbände sind keine Behörden, die Gewerkschaften oder das Goethe-Institut ebenfalls nicht, und auch Versicherungen sind in der Regel keine Behörden, es gibt aber staatliche Versicherer. Natürlich stößt man auch auf Sachcomics, die allein auf Verlagsinitiative produziert wurden, etwa die ... für Anfänger»-Reihe bei Rowohlt. Hier eine Behörden-Definition, die der Recherche für diesen Beitrag zugrundegelegt wurde: Behörden erfüllen staatliche Aufgaben, meist Verwaltungsaufgaben. Sie haben hoheitliche Entscheidungsgewalt, können Verwaltungsakte erlassen und sind Dauereinrichtungen. Behörden gibt es in Deutschland auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene (wie wir noch sehen werden).
Eine Geschichte der Behördencomics ist offenbar noch nicht geschrieben worden. Dieses Vorhaben wäre nicht leicht auszuführen, denn solche Publikationen einzusammeln, wäre gleichsam eine Lebensaufgabe. Behördencomics werden meist nicht über die herkömmlichen Vertriebswege (Grosso, Buchhandel, Einzelhandel) verbreitet, sondern liegen hauptsächlich in den jeweiligen Behörden aus oder stecken an Infoständen. In neuerer Zeit kann hat man immerhin über das Internet Zugang, wo man sie anschauen oder herunterladen kann. Aber wer kommt schon an alles heran, was es gibt und kann sicher sein, daß er nicht doch etwas übersehen hat?
Sie haben nicht immer den Charakter einer Hochglanzbroschüre. 1994 erschien bei Lombard das Comicalbum «Zélie Nord-Sud» von Cosey, im selben Jahr auch bei Carlsen unter dem Titel «Aminata. Eine Reise durch Afrika» auf Deutsch. Thematisch ein ungewöhnlicher Cosey-Comic, denn hier wird vor allem das Land Burkina Faso vorgestellt. Es gibt keine spannende Handlung; hauptsächlich wird vermittelt, wie die Menschen dort leben und warum viele lieber nach Europa gehen wollen eine sehr aktuelle Thematik. In einer Art Vorwort erfährt der Leser, daß der Comic auf Anregung der Schweizer Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe entstand. Der Text stammt von einem Botschaftsrat der Vereinten Nationen. Typisch für einen Behördencomic ist der aufklärerische Duktus. Aber man kann «Aminata» auch lesen, ohne von dieser Absicht zu wissen.
1 siehe auch «Feindbilder Die importierte Hysterie. Von den Wurzeln der Comic-Verfolgung bis zum Alpha-Prozess der Gegenwart» von Harald Havas (COMIC!-Jahrbuch 2001) und «Bildidiotismus und Jugendnot. Wie deutsche Pädagogen Kinderseelen retteten» von Christian Vähling (COMIC!-Jahrbuch 2004)
2 Die Begründung der BPjM (siehe Linkliste www.comic-i.com/jahrbuch18.html) ist ein Dokument völliger Ahnungslosigkeit. Das erklärt vielleicht, warum Nazicomics nicht beanstandet werden (siehe «Braune Comics Teil 2» von Ralf Palandt, Seite 80).
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Artikel, Interviews, Analysen, Porträts... November 2017
Format: DIN A4 Umfang: 264 Seiten, davon 26 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25 ISBN 978388834-948-5
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