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COMIC!-JAHRBUCH 2017

... tu’ sie gerne rauchen!
Eine nachrufähnliche Betrachtung des Lebens
und Wirkens von Manfred Deix

Von Harald Havas


Manfred Deix war nicht nur einer der wichtigsten und profiliertesten österreichischen Cartoonisten und Karikaturisten seiner Generation, er war vor allem auch eine Person des öffentlichen Lebens. Er galt stets als Original, als Enfant terrible. Und obwohl vom Wesen her nicht gerade extrovertiert, erregte Manfred Deix auch als Mensch unabhängig von seinem oft skandalträchtigen Werk immer wieder Aufsehen. Egal, ob das seine obsessive Katzenliebe, zeitweise soll er mehr als 100 Katzen in seinem Haus beherbergt haben, oder seine ebenso obsessive Liebe zu den Beach Boys betraf, immer wieder war Deix genauso im Fokus der Öffentlichkeit und der Medien wie seine Arbeiten.

Manfred Deix war von Kindheit an ein besonderes Talent. Gerne erzählte er die Geschichte, als er als 11-jähriger an einem ORF-Zeichenwettbewerb für Kinder teilgenommen hat und eine Absage zurückgeschickt bekam, da die Verantwortlichen nicht glauben wollten, daß seine Zeichnung von einem Kind stammte. In der Begründung hieß es wörtlich "Wir wollen Zeichnungen von Kindern, aber nicht von Erwachsenen und Profis." 
Ebenso gerne erzählte er, wie er sich schon als Volksschüler (Grundschüler) etwas dazuverdiente, indem er Karikaturen der Lehrer und kleine Zeichnungen von "Nackerten" an Mitschüler verkaufte. Mit neun fertigte er sogar ein aus 100 Bildern bestehendes Daumenkino mit dem Striptease einer Frau an.
Was Sexualität und Nacktheit betraf, war Deix sowohl in seinem Werk als auch als Person immer offenherzig und unverblümt. Nackedeis, allerdings in keinem mir bekannten Fall mit erotischer Ausstrahlung, dominieren immer wieder seine Illustrationen. Meistens diente das Ausziehen besonders auch seiner prominenten Protagonisten, weniger der Lächerlichmachung an sich – abgesehen davon, daß praktisch alle seine Zeichnungen die Dargestellten in gewisser Weise lächerlich machten – sondern eher dem Bedürfnis, die scheinbar Erhabenen insbesondere aus der Politik auf ein menschliches Niveau zu reduzieren. Unter der Kleidung sind wir alle gleich, der Kaiser ist nackt. Gleichzeitig schaffte es der zwar immer ein wenig schuddelige, dabei aber nie exzessiv oder pornographisch wirkender Stil von Deix, daß von seinen Figuren auch in ihrer Nacktheit oder bei obszönem Tun stets etwas mehr oder weniger Harmloses ausging. Man könnte seine übersteigerten Darstellungen in der Wirkung vielleicht mit denen von Walter Moers (besonders in "Kleines Arschloch") oder Ralf Königs "Schwulcomix" vergleichen: Extrem reduzierte Strichmännchen dürfen fast alles tun, ohne dabei die Gefühle der Betrachter (mit Ausnahmen von einigen wenigen besonders sensitiven) ernsthaft zu beleidigen. Ähnlich war es mit Deix, auch wenn seine bunten Zeichnungen sehr wohl dreidimensionale Menschen in ihrer ganzen Lebhaftigkeit darstellten. Auch er selbst ließ sich gelegentlich (fast) nackt fotographieren, etwa für eine Bildstrecke des Kultmagazins WIENER.
So wie man die Zeichnungen von Deix aufgrund ihrer grotesken Komik als zwar immer decouvrierend, aber in ihrer Ausstrahlung manchmal auch vordergründig verharmlosend bezeichnen könnte, benutzte Deix auch in seinen Begleittexten und Interviews stets eine harmlos anmutende, kindliche Sprache. Gerade, wenn es um die nackten Tatsachen ging. Worte wie Penis oder Schwanz kamen dann nie vor, stattdessen schrieb und sprach Deix vom "Zumpferl" seiner Figuren – eine ostösterreichische verniedlichende Bezeichnung des männlichen Geschlechtsorgans. Und er verwendete Worte wie "schnackseln" oder "Gack(s)i", anstelle von deftigeren Ausdrücke.
À propos Ostösterreich: Am 22. Februar 1949 in St. Pölten geboren, einer verstaubten Beamten-, Schul- und Provinzstadt, die erst viel später durch eine leicht fragwürdige Volksbefragung zur Landeshauptstadt des Bundeslandes Niederösterreich auserkoren wurde, und aufgewachsen im provinziellen Böheimkirchen, schien gerade dieses Umfeld einen nachhaltigen Eindruck auf Deix ausgeübt zu haben. So sagte er mehr als einmal, daß er – mit Ausnahmen von Politikern und explizit als Ausländer dargestellten Personen – "immer Niederösterreicher" zeichnen würde. Und tatsächlich, ohne hier einem großen Teil der österreichischen Bevölkerung nahetreten zu wollen, wenn man das ländliche Niederösterreich rund um Wien bereist, Gasthäuser und Dorfheurige aufsucht oder den einen oder anderen Bauernhof besucht, ist es geradezu unumgänglich, auf Schritt und Tritt Fleisch gewordenen Deixfiguren zu begegnen. Übrigens: Das Wort "Deixfigur" hat sich längst von seinem Schöpfer gelöst und existiert auch unabhängig von dessen Zeichnungen in der freien Wildbahn und wurde sogar in den Duden aufgenommen.
Trotz seines schon in der Kindheit ausgeprägten Hangs zum Erotischen wurde Deix anfangs ausgerechnet von seinem Religionslehrer gefördert und veröffentlichte mit dessen Hilfe erste Zeichnungen in der Niederösterreichischen Kirchenzeitung. Auch in der Hauptschule und später im Gymnasium blieb er seinen Leidenschaften, allen voran dem Zeichnen treu. Seine spätere höhere Bildung, zuerst an der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt (in Wien einfach "Die Graphische" genannt) und später an der Akademie der Bildenden Künste hatten vor allem eines gemeinsam: den Nichtabschluß.

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Karikaturenmuseum Krems
Manfred Deix im Karikaturenmuseum
Bernd Ertl
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November 2016
Format: DIN A4
Umfang: 224 Seiten, davon 60 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978–3–88834-947-8
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