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COMIC!-JAHRBUCH 2016

Künstlerische Konzepte verstehen
Interview mit Professor Hannes Rall

von Burkhard Ihme


Hannes Rall hat an der Kunstakademie Stuttgart und an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und mehrere preisgekrönte Kurzfilme gestaltet. Als Comiczeichner hat er in Fanzines wie LIPPE veröffentlicht, aber auch lange für Rolf Kaukas BUSSY BÄR gearbeitet. Seit 2005 unterrichtet er als Associate Professor an der Nanyang Technological University (NTU) in Singapur im Bereich der School of Art, Design and Media (ADM).

COMIC!: 2013 war ein, 2014 waren zwei Filme aus Singapur im Wettbewerb "Young Animation" beim Stuttgarter Trickfilmfestival (ITFS) zu sehen, in diesem Jahr war es keiner. Ist die Konkurrenz der internationalen Schulen härter geworden?

Hannes Rall: Das kann man so nicht sagen – was unsere Festivalerfolge angeht, bildet Stuttgart da die Ausnahme. Ich habe mal unsere Festivalstatistik befragt, und tatsächlich sind unsere acht für die Festivaleinreichungen ausgewählten Filme 2015 insgesamt 149 Mal auf internationalen Animations- und Filmfestivals gelaufen und haben mehrere Preise gewonnen. Darunter waren so renommierte Festivals wie das Filmfest Dresden, das Melbourne International Animation Festival, das Zlin Filmfestival, KLIK! in Amsterdam und das Animex Student Animation Festival in England – und das geht munter so weiter. Das durchschnittliche "Festivalleben" eines Kurzfilms liegt ja so etwa bei zwei Jahren, bis er von den meisten Festivals als zu alt angesehen wird.
Unser "Starperformer" war sicher der Film "Princess" von Andre Quek, Vivien Tan und Abdul Hadi Bin Abdul Wahab: ein sehr schöner Kinderfilm mit "singapurischem" Thema, graphisch und erzählerisch toll gemacht! Der Film hat insgesamt sechs Preise gewonnen,
unter anderem auch den "National Youth Film Award" in Singapur für den besten Animationskurzfilm. Wir haben uns in der Tat schon etwas gewundert, daß der eigentlich sehr starke 2014er "Jahrgang" auf dem 2015er ITFS keine Beachtung fand – aber das kann immer mal vorkommen und ist nicht weiter tragisch. Man muß das auch nicht weiter hinterfragen – beim nächsten Mal sieht es vermutlich schon wieder anders aus. Die Konkurrenz ist natürlich immer groß, und es gibt sicherlich auch viele andere hochklassige Animationshochschulen weltweit, wir brauchen uns da aber mit Sicherheit nicht zu verstecken, sondern halten weit vorn mit.

COMIC!: Vor drei Jahren feierte dein Film "Das kalte Herz" nach Wilhelm Hauff auf dem ITFS Premiere. Seither sind zwei Filme von dir fertiggeworden, weitere Projekte sind in der Pipeline. Ist es dir gelungen, dich zu klonen, oder ist es das Ergebnis von Arbeitsteilung?

Hannes Rall: Am Klonen arbeite ich noch – mit eher mäßigem Erfolg bisher (Späßle gmacht). Im Ernst: Das liegt zum einen daran, daß einige der Projekte tatsächlich parallel schon in Arbeit waren und jetzt zeitlich leicht versetzt von mir auf die Festivalreise geschickt werden. Zum anderen sind meine letzten Projekte tatsächlich viel mehr in Arbeitsteilung entstanden.
Das "Kalte Herz" hatte ich trotz der herausfordernden Länge von 29 Minuten zu 40 % selbst animiert, während ich mich bei "Si Lunchai" (2014) und "The Beach Boy" (2016) sehr viel mehr auf die Rolle eines Regisseurs im klassischen Sinne und Creative Directors beschränkt habe.
Das hat mehrere Gründe, künstlerische wie auch praktisch/technische. Da es sich bei beiden Filmen um die Adaption südostasiatischer Legenden (inspiriert von traditionellen lokalen Kunstrichtungen) handelt, wollte ich bewußt mit jungen asiatischen Designern und Animatoren zusammenarbeiten, um ein Element der Authentizität einzubringen. Gleichzeitig fordert einen das als Regisseur und Supervisor ganz besonders, da man aus der Vielfalt einen einheitlichen Stil für den jeweiligen Film finden oder aber stilistische Veränderungen dramaturgisch begründet einsetzen muß.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Hintergründe im Film "Si Lunchai": Da bot mir der Backgrounddesigner zuerst sehr realistisch gemalte Hintergründe an, die nicht mit dem Silhouettenstil der stark stilisierten Figuren zusammenpaßten. Daraufhin habe ich eben den Designstil der Hintergründe genauer definiert und solange mit dem Designer Cheng Yu Chao gearbeitet, bis wir eine stilistisch passende Lösung gefunden hatten.
Das ist jetzt nur ein Beispiel; solche Entscheidungen trifft man ja als Regisseur ständig, auch was die visuelle Umsetzung der Geschichte in puncto Einstellungen angeht, den Schnitt, Gestaltung von Bildübergängen – das ganze klassische Repertoire eines Filmregisseurs eben!
Hinzu kommt noch, daß ich auch auf der technischen Seite mein Repertoire erweitern wollte und eben auch mit Computeranimation ("Si Lunchai") und einer Kombination aus traditioneller 2D-Animation (Zeichentrickfilm) und computergeneriertem Inbetweening arbeiten wollte ("The Beach Boy"). Das wiederum war nur im Rahmen eines Forschungsprojekts hier an der Nanyang Technological University in enger Zusammenarbeit mit unserer School of Computer Engineering und den dortigen Experten, vor allem Prof. Seah Hock Soon, möglich.
Für "Si Lunchai" hat auch mein Kollege Daniel Keith Jernigan, Associate Professor für englische Literatur an unserer Hochschule, das Drehbuch verfaßt. Das Storyboard entstand dann in enger Abstimmung mit ihm – aber was die tatsächliche visuelle Seite angeht, habe ich da schon "das Ruder übernommen." Daneben gab es aber auch viele deutsche Mitarbeiter, so z. B. Eckart Gadow, der für die Filmmusik von "The Beach Boy" zuständig war. Auf diese Weise sind echte deutsch-singapurische Koproduktionen entstanden.
In einer ganz ähnlichen Konstellation sind die neuesten Projekte "All the World’s A Stage" (2016) und "As You Like It" nach Shakespeare produziert worden bzw. noch in Arbeit. Hier kam als Forschungspartner noch Prof. Michael Dobson, Direktor des Shakespeare-Instituts in Stratford upon Avon, hinzu. Mehr Kompetenz kann man sich für dieses Thema nun wirklich kaum vorstellen. Da beide Projekte wieder sehr viel "transkultureller" ausfallen (es also weniger auf Authentizität ankommt), habe ich gerade im Designbereich hier wieder viel stärker "hands on" eingegriffen und die meisten Figuren und Hintergründe sehr detailliert entworfen, bevor sie für digitalen Legetrick bzw. Zeichentrick reingezeichnet wurden.
Insgesamt macht mir die Kollaboration mit anderen Künstlern viel Spaß, und dieser Ansatz vermeidet auch, daß man sich stilistisch im Kreis dreht und immer nur dasselbe Design reproduziert. Gleichwohl kann ich mir gut vorstellen, in Zukunft auch mal wieder einen Kurzfilm komplett von vorne bis hinten zu animieren.
Einen Schritt in diese Richtung stellt ein anderes, ganz neues Kurzfilmprojekt dar, erneut (nach dem "Kalten Herz") eine Wilhelm-Hauff-Adaption: "Die Geschichte von dem Gespensterschiff". Diesen ca. 8-minütigen Film entwickle ich zusammen mit der Stop-Motion-Expertin Kathrin Albers und dem bekannten Animations-Produktionsdesigner Hans Bacher. Kathrin und ich schreiben zusammen das Drehbuch, Hans arbeitet beim Visual Development mit.
Der Clou dabei ist, daß der Film eben in einer Mischung aus Stop Motion und handgezeichneter Animation gemacht werden soll und ich vorhabe, meine Szenen selber zu animieren. Ich habe jetzt schon fast zahllose Entwurfsskizzen und Storyboard-Skribbles zum Thema gemacht. Interessant ist, daß der Originalstoff ja eine Geistergeschichte in der Tradition von "1000 und eine Nacht" erzählt. "Der fliegende Holländer" in orientalischem "Setting" und das aus der Sicht eines deutschen Schriftstellers der Romantik. Da ergeben sich interessante Ansätze für die Adaption und Parallelen zu unserer eigenen Situation als Deutsche in einem asiatischem Umfeld. Konkret hilft uns, daß wir in der Recherche auf die Forschungsergebnisse von Kollegen aus dem Mittleren Osten zurückgreifen können, um kunsthistorische Referenzpunkte zu verstehen.
Bei meinem Langfilmprojekt "Die Nibelungen" schließt sich das "Do-it-yourself-Konzept" sowieso aus – hier liegt zur Zeit der Schwerpunkt naturgemäß auf dem Schreiben des Drehbuchs und beim Visual Development.

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Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2016
Links zum Artikel

www.hannesrall.com

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Dezember 2015
Format: DIN A4
Umfang: 264 Seiten, davon 24 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978–3–88834-946-1
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