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COMIC!-JAHRBUCH 2016

Jahre der Ungewißheit – Jahre der Zuversicht

Von Álvaro Pons
Ergänzt und übertragen von Christof Ruoss

Drei Jahre nach unserer letzten Bestandsaufnahme und gut sechs Jahre nach Beginn der spanischen Wirtschaftskrise ist im spanischen Comicgeschehen vieles nicht mehr so, wie es lange Zeit gewesen war. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes haben auch im Markt der bunten Bilder tiefgreifende Spuren hinterlassen, andererseits aber auch die beeindruckende Anpassungsfähigkeit und enormes Improvisationspotential einer Szene offenbart, die ganz offensichtlich noch lange nicht totzukriegen sein wird.

Aus «schlecht» wird «gut» und wieder «schlecht» oder: Was bisher geschah ...

Während der vergangenen zwei Jahrzehnte durchlebte der spanische Comicmarkt eine solch grundlegende Neuordnung, daß nichts und niemand – von den Kreativen, Produzenten und Verlegern über Vertrieb, Verkauf bis hin zur geschätzten Leserschaft – von diesen Veränderungen unberührt blieb. Ein grundlegender Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Comics als ernstzunehmendes Kulturgut, technischer Fortschritt in Druck- und Verbreitungstechnik sowie das, in steter Veränderung begriffene, Konsumverhalten alter und neuer Publikumsschichten führten zu einer allumfassenden Neuausrichtung der Mechanismen des Marktes und seiner Mitspieler. Die Neune Kunst entwickelte sich in diesen Jahren von einem, nahezu ausschließlich auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten und über periodischen Pressevertrieb verbreiteten, reinen Unterhaltungs-Medium hin zu einer vielfältigen Literaturform, deren Hauptaugenmerk mittlerweile mehr auf einer erwachsenen Leserschaft liegt. In dieser Hinsicht findet das Medium heute auch seine natürlichste Ausdrucksform im klassischen Buchformat und erlangte darüber schließlich den Zugang zum – vormals unerreichbar scheinenden – Vertriebsnetz des klassischen Buch- und modernen Mediengroßhandels.

Die, auch in Spanien lange vorherrschende, Einschätzung vom Comic als «minderwertiger Kinderkram» ist einer breiten Akzeptanz der Idee einer eigenständigen Kunst- und Kulturform mit eigener Sprache und vielfältigen kreativen Entwicklungsmöglichkeiten gewichen. Dieser Wahrnehmungswandel wurde von den Verlagen aufmerksam registriert und mit einem massiven Ausbau vielfältiger und ambitionierter Comicprogramme beantwortet, wobei sie sich ihrerseits auch auf die zunehmende Ausrichtung der Autorenszene auf die neudefinierte Form der Graphic Novel stützen konnten.

Zusammenfassend könnte man sagen, daß sich der spanische Comicmarkt – formal über das, für Comicpublikationen noch neu erscheinende Buchformat – zunehmend dem klassischen Literaturbetrieb annähert. Und diese Annäherung funktioniert in beide Richtungen: Die herkömmlichen Comicverlage fanden im Boom der Graphic Novels den willkommenen Rettungsanker zu einem Zeitpunkt, als die bisherigen Inhalts- und Vertriebsformeln einen immer deutlicheren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit mit sich brachten. Zur selben Zeit erkannten aber auch die klassischen Buchverlage die Zeichen der Zeit und öffneten ihre Programme und Kataloge immer selbstverständlicher und unvoreingenommener für eine Vielzahl unterschiedlichster Comictitel.

In dieser Entwicklung profitierten sämtliche Beteiligten natürlich von der tiefgreifenden Modernisierung in Druck- und Verarbeitungstechnik dieser letzten Jahre, welche die Veröffentlichung von Klein- und Kleinst-Auflagen heute rentabel macht, wo jeder vernünftig denkende Verlagsbuchhalter noch vor wenigen Jahren kopfschüttelnd hätte abwinken müssen. Und dies erlaubte – eine Dynamik wie sie in ähnlicher Form an und für sich in allen Comicmärkten der Welt vor sich ging – das Auftauchen zahlreicher Kleinverlage, deren gänzlich anders ausgerichtete Unternehmens-Struktur ihnen oft auch eine andere Perspektive bei ihrer Programmarbeit und Produktionsplanung ermöglicht. Hier geht dann oft Kultur vor Kommerz – was erfrischende Impulse für den Markt bringt, aber oft auch eine prekäre Instabilität für die neuen Strukturen bedeuten kann.
All dies wird durch eine rasant angestiegene Medienpräsenz und allgemein positive Besetzung der Neunten Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung begleitet, was seinen Ausdruck unter anderem in der zunehmenden Anzahl regelmäßiger Events, Conventions und Veranstaltungen rund um die bunten Bilder sowie in immer verbreiteter anzutreffenden regelmäßigen Comicrubriken in Rundfunk und Presse findet.

Der Comic ist also mittlerweile in Mode in Spanien ... doch genau dieser Aufschwung in der Wertschätzung und, in dessen Folge, die damit einhergegangenen Veränderungen der Markt-, Programm- und Vertriebsmechanismen machten die Neunte Kunst auch anfälliger für das was kommen sollte: die Auswirkungen der globalen und der hausgemachten spanischen Wirtschaftskrise! Traditionellerweise (und wie von uns im Verlauf der vergangenen dreizehn Jahre in unseren Marktberichten immer wieder aufgezeigt) entging die gebrechliche spanische Comicindustrie, gerade aufgrund ihrer vornehmlichen Ausrichtung auf ein eher schmales Liebhaber- und Fanpublikum, ein ums andere Mal den verschiedenen Krisen-Anflügen und Marktschwankungen, welche sich in angrenzenden Medien- und Verlagsbranchen beobachten ließen. In seiner nahezu hermetisch vom sonstigen Marktgeschehen abgekoppelten Nischenexistenz und ghettohaften Beschränkung auf ein Netz spezialisierter Vertriebe, Händler und Verlage einerseits und andererseits ein treues und nahezu unerschütterlich konsumbereites Fanpublikum, das selbst, wenn der Gürtel enger geschnallt werden mußte, stets noch irgendwo die Ressourcen fand, um ihrer Leidenschaft treu bleiben zu können, lag die paradoxe Stärke dieser, ansonsten in so vielen Aspekten eingeschränkten und latent schwächelnden Industrie.

Doch die inzwischen vollzogene Annäherung und Öffnung gegenüber dem Buchmarkt und dem regulären Literaturbetrieb brachte auch den Verlust dieser reservatsähnlichen Sonderstellung mit sich, und so sah sich die spanische Comicindustrie – mit einer (in unserem letzten Bericht kommentierten) gewissen Verzögerung – spätestens ab 2012 unerbittlich in den Strudel des wirtschaftlichen Niedergangs hineingezogen. Doch auch in diesem, so in der Geschichte des Mediums nie dagewesenen Absturz des Marktvolumens war der spanische Comic wieder mal für einige Überraschungen gut und reagierte mit unerwarteter Energie und Kreativität und dem Aufkommen vielfältiger neuer Ansätze, Formeln und Veröffentlichungsmodelle.

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Dezember 2015
Format: DIN A4
Umfang: 264 Seiten, davon 24 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978–3–88834-946-1
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