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COMIC!-JAHRBUCH 2015

Sonderpreis der Jury für eine besondere Leistung oder Publikation: Sarah Burrini

Interview von Frank Plein

Der eine Satz, der mir bei Sarah einfällt, bei ihrer Art mit ihrem Talent und ihrem Berufsweg umzugehen, ist «Slow and steady wins the race». Zwar bin ich sicher, daß Sarah dieselben inneren Kämpfe und Selbstzweifel wie alle Zeichner durchstehen mußte; trotzdem ist ihr Werdegang eine Lektion in Konsequenz, Bedacht und Beharrlichkeit. Sie wollte etwas – vom Zeichnen leben – und hat alles getan, um dieses Ziel zu erreichen.

Jahrelang gab es auf ihrer Homepage nichts anderes zu sehen als die immergleichen fünf Arbeitsproben, schlicht, weil ihr Anspruch an ihre eigene Arbeit und vielleicht ein kleiner Schuß Perfektionismus sie davon abhielten, jeden Krakel, den sie machte, ins Netz zu stellen. Aber im Hintergrund arbeitete sie beständig und mit viel Hingabe an ihrem Handwerk, veröffentlichte regelmäßig in Fanzines und Anthologien, absolvierte eine Ausbildung im Trickstudio Lutterbeck, dem sie ein Studium an der Internationalen Filmschule Köln folgen ließ. Auch für den Umgang mit dem eigenen Ego, ein großer Knackpunkt bei kreativen Menschen, waren diese Lehrjahre sehr hilfreich.
«Liebst du die Kunst in dir oder liebst du dich in der Kunst?», pflegte der Tänzer und Choreograph Stanislawki seine Schüler zu fragen. Wir können unser Talent wie ein Paillettenkleid tragen, damit umherstolzieren und uns beklatschen lassen, oder wir behandeln es wie ein wertvolles Geschenk, das man hegen und pflegen muß. Und diesen Umgang mit dem eigenen Talent – als etwas, das wichtiger und größer ist als das eigene Ego – erlebe ich bei vielen erfolgreichen Zeichnern, bei Flix und ebenso auch bei Sarah. Selbst als sie schon Erfolg und Veröffentlichungen vorzuweisen hatte, fuhr sie noch jedes Jahr in die Periscope Studios nach Portland, um dort neben der Arbeit an eigenen Projekten auch die Seiten anderer Zeichner zu tuschen und sich Ratschläge und Tips einzuholen. Es ging nicht um Eitelkeiten und Anerkennung, sondern schlicht um die Beherrschung des Handwerks.
Das Ergebnis ist ein Stil, der ebenso wandelbar wie unverkennbar ist. Er ermöglicht ernste, dramatische Inhalte wie «Astrum Noctis» ebenso wie die teilweise hemmungslose Goofiness der «Ponyhof»-Strips, eignet sich gleichermaßen für Cartoons, Strips, Graphic Novels und selbst Karikaturen, wie das «Twilight»-Feature für den WDR belegte. Hier zeigt sich noch einmal schön die tiefe Kenntnis von Anatomie, die Sarah besitzt, und die Flexibilität, die sie ihr verleiht. Ich erinnere mich an ein Treffen der Cosmix-Mitarbeiter vor knapp zehn Jahren, bei dem Sarah alle Anwesenden im Handumdrehen als Zeichentrickversion in ihrem Skizzenbuch verewigte. Es war schon damals großartig mitanzusehen, wie sie ihre Striche und Bögen langsam, aber stetig zieht, mit einer sicheren, souveränen Hand, die genau weiß, was sie tut.
Wenn man ihren Stil im Verlauf der letzten 15 Jahre betrachtet, hat er sich einerseits drastisch verändert und ist sich andererseits sehr treu geblieben. Schon in ihren frühen Arbeiten finden sich ihr charakteristischer dynamischer Pinselstrich und die starken, tragenden Outlines. Wie viele Zeichner studierte Sarah die Zeichnungen ihrer Vorbilder: «Einmal zeichnete ich die X-Men von Jim Lee ab und dachte erst mal ‹Ach, das sieht doof aus, das bringt nichts.› Doch später beim freien Zeichnen habe ich gemerkt, daß ich sehr wohl etwas von dem Abgezeichneten gelernt hatte und es in meinen eigenen Stil übergegangen war.»
Nachdem die handwerkliche Seite jetzt rund ist, ist es für mich am spannendsten, Sarahs Entwicklung als Autorin zu betrachten. «Das Leben ist kein Ponyhof» bot und bietet neben einer Menge Spaß und Absurdität immer auch leise, ernstere Stimmen, und einige ihrer Kurzgeschichten wie «Extrascharf» (erschienen im Pony X Press-Heft 3) geben einen Vorgeschmack dessen, was einen in einer längeren Veröffentlichung von Sarah erwarten würde. Bei allem Erfolg des «Ponyhofs» eignet sich das Stripformat am besten für kurze, pointierte Sequenzen und stößt bei längeren Stoffen irgendwann an seine Grenzen. Sarah ist großer Fan der «Love and Rockets»-Serie der Brüder Hernandez, die seit inzwischen drei Jahrzehnten in Echtzeit das Leben ihrer Protagonisten dokumentiert, und auch die Bücher von Peter Bagge und Derek Kirk Kim weisen für sie in eine Richtung, in die sie selbst gerne gehen würde: «Ich fiebere und fühle mit den Figuren. So etwas möchte ich machen, etwas, das sich ehrlich anfühlt.»
In «Looking up» singt die Band Paramore davon, wie es sich anfühlt, wenn der Traum (in diesem Fall, von Musik leben zu können) irgendwann Realität geworden ist, und der letzte Satz des Songs ist «We’re just getting started» – wir laufen uns noch warm, wir haben noch gar nicht richtig losgelegt. Genau dasselbe denke ich über Sarah und das, was sie noch machen wird. Der Stil ist da, das Handwerk ist da, und mit derselben Konsequenz und Geradlinigkeit wird sich auch die Autorin und Erzählerin Sarah Burrini entwickeln. Bei aller Qualität, die der Ponyhof aufweist, denke ich, daß sie gerade erst angefangen hat durchzustarten. Und daß das Beste von Sarah Burrini noch kommen wird.

COMIC!: Wenn man deine Arbeiten aus den späten Neunzigern neben die aktuellen Sachen legt, ist es einerseits etwas völlig anderes – andererseits sieht man auch schon in den frühesten Sachen diesen sehr typischen Strich. Kannst du etwas darüber erzählen, wie du dich deinem Stil angenähert hast? Gab es eine Phase, wo du Stile nachgezeichnet oder abgepaust hast, um dahinter zu kommen, wie bestimmte Zeichner ihre Ergebnisse erzielen?

Sarah Burrini: Ja, diese Phase gab es. Ich weiß leider nicht mehr genau, welche Zeichner das waren. Bei diesen Übungen ging es für mich mehr um das Sehenlernen als das perfekte Ergebnis. Wie viele andere Zeichner habe ich Lieblingszeichner gefunden und mir Versatzteile «geklaut», um sie dann wieder selbst zusammenzusetzen, und irgendwann entwickelte sich etwas Eigenes.
Mir hat es auch sehr geholfen, zweimal die Woche einen Comicstrip zu machen. Ich konnte viel ausprobieren, verwerfen, weiterentwickeln. Das war ein langsamer, schleichender Prozeß, der immer noch andauert.
Insgesamt gesehen glaube ich, daß auch die eigene Selbstsicherheit bzw. der eigene Charakter eine Rolle bei der Stilfindung spielen; schließlich ist das Zeichnen ein Mittel, um sich auszudrücken. Ich kenne Zeichner, die sehr schüchtern sind und auch nur ganz leicht mit dem Stift aufdrücken. Andere treten mit großem Selbstbewußtsein auf und bringen das auch in einem ausladenden Pinselschwung rüber.
Ich habe immer schon gemocht, daß nicht alles gerade und streng realistisch aussieht,. Letztendlich paßt das auch dazu, wie ich die Wirklichkeit sehe.

COMIC!: Welche Einflüsse welcher Zeichner siehst du selbst noch in deinem Stil? Seinerzeit hieß es Manara, Mignola, Bilal ...

Sarah Burrini: Das waren damals bestimmt die Zeichner, die ich nur genannt hatte, weil ich sie gerade entdeckt hatte und toll fand. So zu zeichnen wie Manara oder Bilal habe ich nie versucht, dazu waren meine Figuren immer zu angezogen.
Inzwischen hat sich so viel angesammelt. Von dem einen hab ich den Umgang mit Schwarzflächen, von dem anderen die Nasen ... Sicherlich ist auch etwas Manga dazugekommen, Brian Lee O’Malley, Faith Erin Hicks, Giorgio Cavazzano, Jeff Smith, Jaime Hernandez, Jamie Hewlett, Peter Bagge ... Ich glaube, die Liste meiner Vorbilder ist endlos, aber ob man die noch in meinen Zeichnungen sieht, kann ich nicht sagen.

COMIC!: Die italienische Comicszene ist ja im Vergleich zur deutschen atemberaubend umfassend und facettenreich. Inwieweit hat dich die italienischen Comictradition beeinflußt?

Sarah Burrini: Nur insofern, als daß ich in den Sommerferien noch mehr Donald-Comics lesen konnte und ich zum ersten Mal Kontakt zu «richtigen» Horror-Comics hatte («Dylan Dog»), da die im Zeitschriftenhandel in Massen auslagen. Da hatte ich begriffen, daß es Comics gab, die auch für Ältere bestimmt waren. Insofern hat mich die italienische Comictradition vielleicht aufgeklärt.

COMIC!: Gibt es Zeichner, Comics, Filme, zu denen du immer wieder zurückkehrst, um dir Inspiration zu holen. Solche «Sowas will ich machen»-Bücher?

Sarah Burrini: Nicht unbedingt Zeichner, sondern Verlage. In dem amerikanischen Verlag First Second (verlegt z. B. Derek Kirk Kim, Faith Erin Hicks, Vera Brosgol) habe ich gemerkt, daß mir fast jede Publikation gefällt, und da habe ich mich gefragt, warum das so ist. Es sind meist Young Adult-/Coming Of Age-Stoffe, die unterhaltsam sind und ihre Figuren ernstnehmen. Wo man mit den Figuren mitfiebert und Empathie für sie entwickelt. Deswegen mag ich auch «Love and Rockets» oder «Hate» so gerne. So etwas möchte ich machen. Etwas, das sich ehrlich anfühlt.

COMIC!: Man hat oft das Gefühl, daß dein Stil einerseits vom Comic, andererseits aus der Animation kommt. Wie sehr und auf welche Weise hat dich die Animation und die Arbeit in Trickstudios geprägt?

Sarah Burrini: Ich habe viel Nützliches aus dem Trickfilm gelernt, vor allem was das Handwerk angeht, und Basiswissen über Figurenkonstruktion, Dynamik, Komposition, Computerkolorierung usw.
Da ich zum Großteil für Reinzeichnungen zuständig war, habe ich gelernt, sauber zu sein und konzentriert Linien zu ziehen (später fand ich, daß mein eigener Stil dadurch zu steif wurde, und ich wollte wieder etwas lockerer werden).
Sehr wichtig war es für mich auch, den professionellen Umgang mit dem eigenen Künstlerego zu lernen. Wenn der Chef in zwei Stunden Character Designs wollte, gab’s keine lange Zeit für Unsicherheiten. Und dann wurde die Zeichnung in gemeinsamer Runde besprochen. Dadurch habe ich auch Kritikfähigkeit gelernt.

COMIC!: Was würdest du angehenden Zeichnern raten, die versuchen, einen eigenen Stil zu entwickeln?

Sarah Burrini: Es hört sich abgedroschen an, aber ich würde einfach konzentriert und regelmäßig zeichnen. Ein eigener Webcomic kann helfen, aber auch Aktzeichnen oder das Führen eines Skizzenbuchs. Wichtig ist, daß man sich zu nichts zwingt, damit das Zeichnen nicht zur Qual wird.

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