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COMIC!-JAHRBUCH 2015

Comicmarkt: Gutes Belgien, empörtes Frankreich
Ist Comiczeichnen wirklich ein Beruf?

von Britta Madeleine Woitschig

Abgestimmt auf den Comicsalon in Angoulême erschien 2008 eine zehnseitige Broschüre für all jene, die sich zu Profis mausern wollten. Locker hieß es auf dem Titel: «Comicautor. Ah ja, ist das wirklich ein Beruf?» Junge Talente erhielten so einen raschen Überblick über den frankophonen Comicmarkt und wurden über die Rechte und Pflichten eines stolzen Berufes aufgeklärt, der an Kreativität und Handwerk harte Anforderungen stellt.


Unter der Blase

Mittlerweile haben sich die romantischen Vorstellungen verflüchtigt, und der nüchterne Blick der Betroffenen zeigt ein grimmiges Bild. Denn nach Studien zur sozialen Lage der Comicschaffenden (siehe ältere Ausgaben des COMIC!-Jahrbuchs) zählen diese bis auf wenige Ausnahmen zum Prekariat, also zu den working poor.
2013 hatte Maïana Bidegains einstündiger Dokumentarfilm «Sous les bulles – L’autre visage du monde de la bande dessinée» in Angoulême Premiere und tourte in den folgenden Monaten durch die frankophonen Comicfestivals – inzwischen wird er als DVD vertrieben. Bidegain ging dem allgemeinen Unbehagen auf den Grund und hörte sich bei sämtlichen Beteiligten der Comicszene (Autoren, Verlage, Vertrieb, Großhandel und Fachgeschäfte) um, dann zog sie ihre Schlüsse.
Nach ihrer Analyse erschienen jährlich Alben mit einer Gesamtauflage von 33 bis 38 Millionen, mit denen ein Umsatz von 350 bis 410 Millionen Euro erzielt wurde. Dabei reichten die Auflagen bis zu 400.000 Exemplare. Ihre Interviews beleuchten zwar die gesamte Produktionskette von der Idee eines Werks bis hin zum Verkauf im Laden, da sie sich aber auf nur zwei Stimmen pro Ebene beschränkt (z. B. Jean Van Hamme und Marko Armspach als Autoren), wirken die Statements entsprechend schlaglichtartig und geben eher eine Stimmung wieder. Bidegains Verdienst liegt jedoch darin, ihre Daten für ein großes Publikum aufzubereiten.
Wie sich der Preis eines Albums auf die einzelnen Akteure aufteilt, zeigt sie anhand eines Tortendiagramms: Der Autor bekommt 10 %, der Verlag 20 %, die Herstellung (Druck und Bindung) kostet 11,5 %, der Vertrieb 9%, der Großhandel 12 %, der Buchhandel erhält 34 % Rabatt – und die übrigen 5,5 % kassiert der Staat als Mehrwertsteuer. Summa summarum ergibt das für einen Autor den Betrag von 0,80 € je verkauftes Album, den sich Zeichner und Szenarist gegebenenfalls auch noch teilen müssen. Armspach kalkuliert deshalb mit einem Verdienst von 210 bis 250 € je Seite, für die er durchschnittlich eine Woche bis zur Reinzeichnung benötigt.
Notgedrungen suchen deshalb sowohl Szenaristen als auch Zeichner nach lukrativen Nebenverdiensten in verwandten Bereichen wie der Animation, der Illustration oder der Werbung. Über ihren Facebook-Account startete Bidegains eine zweite Fragerunde unter denjenigen, die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren Comics veröffentlicht haben. In diesem Zeitraum hatten 84% ein durchschnittliches Einkommen von höchstens 2.000 € pro Monat durch Comics erzielt, 67 % gaben sogar an, sie hätten einen Umsatz von maximal 1.150 € erreicht (das liegt unter dem staatlichen Mindestlohn). Wegen ihrer Stellung als Freiberufler gehen davon aber noch Steuern und Sozialabgaben ab, in der Regel etwa die Hälfte des Einkommens.


Empörtes Frankreich

Im Mai 2014 widmete sich die Gewerkschaft der Comicautoren, BD Snac, einem der kritischen Punkte und forderte Verhandlungen über die ohne Rücksprache mit den Betroffenen beschlossene Reform der Künstlersozialkasse RAAP («Retraite complémentaire des Artistes et Autors Professionels» – Altersversorgung für Künstler und Autoren), in der ab Januar 2016 der Abgabensatz erhöht und die bisher bestehende Wahlfreiheit für unterschiedliche Leistungsklassen abgeschafft wird. Durch zwei weitere Ereignisse eskalierte der Konflikt binnen weniger Tage zu einem Fanal, denn am 22. Mai verkündete der Zeichner Bruno Maïorana («Garulfo», «D»), er wolle sich aus dem Metier zurückziehen. Am 27. Mai folgte ihm der Szenarist Pierre Bonifay («ZOO», «La Compagnie des Glaces»). Dieses Aus von zwei vermeintlich etablierten Größen der Szene, die sich von den entwürdigenden Bedingungen der Branche lossagten, in der die Kreativen allzu häufig den kürzeren zogen und zu skandalösen Verträgen genötigt würden, schlug hohe Wellen.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2015
Links zum Artikel

ACBD: www.acbd.fr

ActuaBD: L’actualité de la bande dessinée:
www.actuabd.com

BD Snac: «Lettre ouverte des auteurs de Bande Dessinée à Madame la Ministre de la Culture», syndicatbd.org/pdf/BD_lettre_ouverte_Mini stre_Culture_finale.pdf

BD Snac: «Case à case, vivez le parcours d’un auteur!», syndicatbd.org/pdf/tract_public.pdf

Filippetti, Aurélie: «CC/1191/MPA vom 20. Juni 2014» [Antwort der Kulturministerin auf den Offenen Brief], www.syndicatbd.org/pdf/ministère %20culture%2020%20juin%2014.pdf

Guilbert, Xavier: «Numérologie. Une analyse du marché de la bande dessinée». Édition 2014, Paris: Éditions H 2014, www.du9.org/Num2014/du9-Numerologie-2014.pdf

Rue89: www.rue89.com

ToutenBD: L’actualité de la bande dessinée:
www.toutenbd.com

Wikipédia – L’encyclopédie libre: fr.wikipedia.org

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