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COMIC!-JAHRBUCH 2015

«Für eine Karikatur war immer Platz.»
Interview mit Harald Juch

von Burkhard Ihme

COMIC!: Du bist in den 80er Jahren durch deine Karikaturen für die taz bekannt geworden. Waren Karikaturen immer die erste Wahl deiner künstlerischen Mittel, oder hast du dich als Comiczeichner gesehen?

Harald Juch: Ich habe immer beides gleich gerne gezeichnet, schon als Kind. Doch nach dem Studium bin ich erstmal bei Werbe-Cartoons gelandet, nach einiger Zeit kamen auch Zeitungskarikaturen dazu. Egal ob bei kommerziellen Arbeiten oder unentgeltlichen Zeichnungen in politischen Publikationen, für eine Karikatur war immer noch Platz, für einen Comic fast nie. So sah es dann auch bei meinem Antritt als Karikaturist in der taz aus, der damals völlig anderen Tageszeitung mit Einheitslohn und ohne Chef.

COMIC!: Du hast 1998 für die Anthologie «Trau keinem über 30 – die 68er!» dein Leben in einem vierseitigen Comic nacherzählt. Demnach hast du nach einer Lehre als Retuscheur Kunst studiert.

Harald Juch: Ja, das war an der Gesamthochschule Essen, Fachrichtung Kunst und Design, ehemals Folkwang Schule. Im wesentlichen habe ich dieser Schule kontinuierliches Akt- und Porträtzeichnen zu verdanken, mit dem Medium Comic hatte sich aber kein einziger der Professoren/Professorinnen jemals befaßt. Bei der Präsentation meiner Abschlußarbeit stand ein Dutzend von ihnen eine halbe Stunde lang vor meinen Comicseiten, die meterhoch vergrößert an der Wand hingen, ohne auf den Text zu achten. Erst nach Vergabe der Zensur, beim Abschied, empörte sich einer über den Inhalt einer Sprechblase.

COMIC!: War Kunsterziehung je eine Option für dich?

Harald Juch: Nein, auf keinen Fall. Meine beiden Eltern waren Kunsterzieher, die neben ihrem Schuldienst auch stets eigene Bilder malten, ausstellten und verkauften, aber mit dem Erfolg ihrer Kunst nie zufrieden waren. Oft hörte ich sie miteinander reden, was sie alles noch malen würden, wenn sie sich nur auf ihre Malerei konzentrieren könnten. Was lag näher, als auf keinen Fall Kunst Richtung Lehramt zu studieren?

COMIC!: Was waren deine künstlerischen Einflüsse? In einem der Bilder meine ich Heinz Edelmann herauslesen zu können ...

Harald Juch: Nach dem künstlerischen Einfluß meiner Eltern habe ich als Jugendlicher natürlich alle Varianten der damaligen Popart in mich aufgesogen. Die ganz konkrete Begeisterung für die politische Karikatur bekam ich durch Ron Cobb, der damals in US-Underground-Magazinen nicht nur gegen den Vietnamkrieg zeichnete, sondern auch bereits ökologische Themen behandelte. Was den Comic betrifft, so hat mich Robert Crumb am meisten begeistert. Allerdings nur wegen seiner Geschichten, nicht wegen seines Zeichenstils. Stilistisch hatte ich keine eindeutigen Vorbilder.

COMIC!: Wie sah das bei der taz praktisch aus? Du hattest eine Festanstellung. Hattest du auch einen festen Platz für deine Karikaturen? Und wurden die Themen in der Mitarbeiterkonferenz bestimmt oder hattest du freie Hand?

Harald Juch: Ich war von 1980 bis 84 festangestellter Karikaturist bei der taz, dem damals frisch gegründeten, größten Alternativprojekt im Land. Anfangs hörte ich mir jeden Morgen die Redaktionskonferenz an, machte dabei eine oder auch mehrere Ideenskizzen und ging damit bei den Redakteur(inn)en hausieren, ob mir nicht eine(r) von ihnen ein paar Zeilen Platz für meine Zeichnung abgeben könnte. Je nachdem, wie schnell ich ein OK bekam, hatte ich dann noch vier oder auch nur noch drei Stunden Zeit, die Karikatur ins Reine zu zeichnen und mit hängender Zunge auf den letzten Drücker abzugeben. So suchte ich nach einiger Zeit immer gezielter nach Themen, die ich schon am Nachmittag oder Abend vor der Abgabe beginnen konnte, um mehr Zeit für meine Zeichnung zu haben.
Unvergeßlich dazu ist mir die mitternächtliche Radionachricht vom Attentat auf den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Sarkastisch dachte ich mir: «Ein Glück, daß das nicht kurz vor Redaktionsschluß passiert ist ...» und griff zum Zeichenstift, statt ins Bett zu gehen. Am nächsten Morgen konnte ich gleich zu Beginn der Redaktionskonferenz die fertige Karikatur präsentieren. Mein Werk wurde mit ausreichend Platz auf der Titelseite honoriert (siehe taz-Titel auf der zweiten Seite des obenstehenden Comics). Rückblickend wäre es wohl effektiver gewesen, wenn ich einen festen Platz für die Karikaturen gehabt hätte, doch was war damals schon fest in der taz? Was die Themenwahl meiner Karikaturen angeht, so war sie wirklich völlig frei. Allerdings mußte ich jede Karikatur, in der Sexualität thematisiert wurde, der taz-Frauenbeauftragten vorlegen. Was nicht heißt, daß alle Redakteurinnen argwöhnisch meine Karikaturen beobachteten, aber einige wenige umso mehr.

COMIC!: Blieb neben der Arbeit für die taz Zeit für freie Arbeiten, oder hattest du bezahlte Nebentätigkeiten? Wie sah dein künstlerisches und politisches Umfeld aus? Mußte man damals als engagierter Künstler unbedingt in Kreuzberg wohnen?

Harald Juch: Ja, ich hatte Zeit, um neben der Arbeit für die taz noch einiges andere auf die Beine zu stellen. Unter anderem gab ich mit meinen Zeichnerkollegen Detlef Surrey, Hansi Kiefersauer, Peter Petri und Peter Fuchs jährlich den «Kopf Hoch»-Kalender raus. Das waren 52 Karikaturen-Postkarten zum Kalender gebunden, die wir im Selbstverlag drucken ließen und verkauften. Ich erinnere mich noch genau an jenen ungewöhnlich kalten Dezemberabend in meinem ersten Berliner Jahr, als wir nach mehrstündigem Zusammenstapeln gedruckter Kalenderseiten müde auf die Straße traten und uns völlig unerwartet mehrere hundert junge Leute im Eilschritt entgegenkamen, viele von ihnen vermummt. Sie riefen uns zu, mit zu einer spontanen Demonstration zu kommen, weil die Polizei am frühen Abend ein besetztes Haus geräumt hatte. Klar kamen wir mit und konnten es nicht fassen, daß es trotz der Kälte immer mehr Demonstranten wurden, erstmals seit Jahren Polizisten wieder mit Steinen beworfen und Supermärkte überhaupt zum ersten Mal geplündert wurden.
Natürlich hatte ich am nächsten Morgen auf der taz-Redaktionskonferenz auch die passende Karikatur dazu für die Titelseite fertig. Einige der sonst immer so vorausschauenden taz-Redakteure waren an diesem Morgen sichtlich verstört, daß sie völlig überrascht wurden von einer neuen, jungen, politischen Bewegung. In der ersten Hälfte von 1981 sah es eine Weile so aus, als wenn sich in diesem Jahr ähnlich viel politisch bewegen würde wie 1968. Einige tausend junge Aktivisten hofften gar auf mehr. Die Zahl der besetzten Häuser stieg in Berlin innerhalb weniger Monate von 18 auf 165. In vielen anderen Städten tat sich Ähnliches. Begeistert zeichnete ich für eine taz-Sonderseite eine illustrierte Landkarte mit allen besetzten Häusern in der Bundesrepublik und zog dann auch in ein besetztes Haus, allerdings in Schöneberg, nicht in Kreuzberg. Ab dem zweiten Jahr taz gelang es mir auch, hin und wieder tagespolitische Kurz-Comics zu zeichnen. Doch das blieben schweißtreibende Ausnahmen mit vielen unbezahlten Überstunden.
Zusammen mit der «Kopf Hoch»-Zeichner-Crew gab ich ein Comic- und Cartoonbuch zur Hausbesetzer-Bewegung heraus, das sich sogar 10.000 Mal verkaufte. Doch die Jugendrevolte von ’81 stieß bald an ihre Grenzen. Nach etlichen Massendemonstrationen und Straßenschlachten hatten sich die Politiker ebenso routiniert darauf eingestellt wie die Polizei auch. Neben meinen Karikaturen für die taz entwarf und malte ich etliche Wandbilder an besetzten Häusern, einige vier Stockwerke hoch. Außerdem waren meine politischen Karikaturen auf vielen Demonstrationstransparenten, Plakaten und Flugblättern zu sehen.

COMIC!: Wie endete deine Tätigkeit bei der taz?

Harald Juch: Auf einem bundesweiten taz-Plenum Anfang 1984 beschloß man, 18 Arbeitsstellen zu streichen, da kein Geld mehr dafür da war. Jeder hatte die Möglichkeit, eine flammende Rede über die Wichtigkeit gerade seines Arbeitsplatzes zu halten. Ich als Einzelkämpfer für das gezeichnete Bild hatte von vornherein keine Chance. So zeichnete ich noch ein letztes Vierteljahr möglichst viele Karikaturen in der taz, nervte dabei möglichst viele Redakteure mit meinen Platzforderungen für die Bilder und genoß dann das damals noch üppigere Arbeitslosengeld ein geschlagenes Jahr lang. Endlich hatte ich genug Zeit und Geld, um ganz in Ruhe mein erstes eigenes Comicbuch zu zeichnen!

COMIC!: Worum ging es in dem Comicbuch und bei welchem Verlag wurde es veröffentlicht?

Harald Juch: Es waren 120 Seiten dichter, semirealistischer Schwarz-Weiß-Comic mit sieben Geschichten. Es ging um die neusten Modehypes der mittleren 80er Jahre, einen weißen Hai, der bis Kreuzberg schwamm, einen sprechenden Pflasterstein, der einen Autonomen auf einer Friedensdemo tröstet und vieles mehr. Das Buch hieß «Wenn alles zu spät ist ...», erschien in einer Auflage von 3.000 Stück beim Semmel Verlach, an eine zweite Auflage war nicht zu denken, und so blieb es bei einem ersten selbstgeschriebenen Comicbuch.

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