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COMIC!-JAHRBUCH 2015

Comicgemeinschaft 2.0
oder der Verband, der keiner sein will:
Die Comic Solidarity
von Andreas Völlinger

von Andreas Völlinger

Wer den Comic-Salon Erlangen 2014 besuchte, kam um die Comic Solidarity kaum herum, gab es doch einen beachtenswerten, gut besuchten Messestand und eine ganze Veranstaltungsreihe namens «Webcomic im Fokus», die unter diesem Banner präsentiert wurden. Was will diese neue Comic-Solidargemeinschaft und wer steckt eigentlich dahinter?

Zum ersten Mal tauchte die Bezeichnung «Comic Solidarity» (auch als «CS» abgekürzt) in den Nachwehen des Comicfestivals München auf. Viele der mit Organisation und Ablauf des Festivals unzufriedenen Selbstverleger und Indie-Comickünstler, die im Alten Rathaus untergebracht waren (siehe Bericht im COMIC!-Jahrbuch 2014), beteiligten sich an einem offenen Protestbrief an die Festivalleitung und diese Aktion lief unter eben diesem Namen: «Comic Solidarity». Die gemeinsame Interessenvertretung war von Erfolg gekrönt und schnell etablierte sich danach der Wunsch nach weiterer gemeinschaftlicher Lobbyarbeit für Comicmacher ohne große Verlage im Rücken. Virtueller Treffpunkt wurde die von Comicblogger Johannes «Beetlebum» Kretzschmar bereits Anfang 2013 ins Leben gerufene Facebook-Gruppe «Webcomic-Schaffende», die kurzerhand das «Comic Solidarity»-Label vorangestellt bekam.
«Im Prinzip kann man sich das ganze wie ein soziales Clubhaus für Zeichner vorstellen», so Sebastian Kempke, Mitglied des Comickollektivs Buddelfisch und einer der drei ehrenamtlichen Organisatoren der CS. «Man hängt dort ab, um zu schauen, was die anderen so machen, und es bietet in geschlossener Gesellschaft eben auch die Möglichkeit, Dampf abzulassen oder Fragen zu stellen, die in einer offenen oder zu eng eingegrenzten Gruppe nicht so leicht zu klären wären.»
Ganz neu ist das natürlich nicht und wurde in Form geschlossener Künstlerforen schon vor vielen Jahren praktiziert. Doch der stetige Austausch ist nur eine Facette der Comic Solidarity, die mehr sein will als eine Diskussions- und Ratgebergruppe für Webcomicmacher. Sie soll der stetig wachsenden Menge von Digital-Comic-künstlern vor allem Chancen zur Präsentation bieten, an denen es im Gegensatz zu den vielfältigen Möglichkeiten für Print- und Verlagscomics mangelt. CS-Initiatorin Eva Junker, als «Eve Jay» Teil des Comickünstlerduos KNIGHT+JAY, verwendet den Begriff «Dachkonzept» und charakterisiert ihre Initiative «als gemeinnütziges, freies Bündnis mit kulturellen wie wirtschaftlichen Interessen» mit der Aufgabe «Bindeglied zu sein zwischen Community und verschiedenen Instanzen».
Was diese wohlklingenden Worte in der Praxis bedeuten können, zeigte sich während des Comic-Salons in Erlangen. «Nach München waren viele frustriert und wollten an Erlangen nicht teilnehmen», so Eve Jay. «Dadurch entstand ein Konzept für mehr Teilnehmer für weniger Kosten und mit besserer, größerer und technisch angemessener Repräsentation.» Kontakt zum Kulturbüro Erlangen wurde geknüpft und dort zeigte man sich offen für die Pläne, den ansonsten meist als Einzelkämpfer auftretenden Webcomicmachern einen gemeinsamen Messeauftritt zu verschaffen.
So gab es am großzügigen Comic-Solidarity-Stand an allen vier Messetagen die Möglichkeit, verschiedene Digitalcomics auf Tablets zu betrachten und in vielen Fällen direkt auch ihre Künstler kennenzulernen, von denen sich rund 30 einfanden, um in Rotation ihre Comicprojekte vorzustellen und live zu zeichnen.
Doch der vom Kulturbüro zur Verfügung gestellte 50-m2-Stand sollte nicht alles sein: Zudem wurde die Konferenz «Webcomic im Fokus» konzipiert, deren Veranstaltungen im nahe der Messe gelegenen NH Hotel unterkamen. Für das Programm hatte man Lukas Wilde an Bord geholt, der als Medienwissenschaftler Mitglied und Webseiten-Redakteur der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) ist.
Der Konferenz-Auftakt am Donnerstag bestand aus Projektberichten zu Webcomics. So gab Daniel Lieske Einblick hinter die Kulissen seiner erfolgreichen Digitalcomicserie «Wormworld Saga», Augusto Paim stellte seine online veröffentlichte Comic-Reportage «So Close, Faraway» vor, und das Vortrags-Duo Tim Wöhrle und Arne Schulenberg referierte über Fotocomics im Netz. Am Freitag wurden analytische Beiträge feilgeboten: Johannes Kretzschmar zeigte die Verwandtschaft von Internet-Bild-Memes und Comics auf, Michel Decomain erklärte die recht autarke Web-Manga-Szene und Wilde selbst erläuterte die Chance, mittels Webcomics den oft allzu eingeengten Medienbegriff von Comics zu erweitern. Am Abend folgte eine Lesung von Schlogger und Tim Gaedke (unterstützt durch Katja Klengel und Jeff Chi), deren Comics «Danach» und «Punch Drunk» zwar gedruckt erschienen, aber ursprünglich als Webcomics gestartet sind.
Am Samstag bekamen dann zehn Webcomickünstler die Möglichkeit, beim Programmpunkt «Schnelle Schlaglichter» ihre Werke in fünfminütigen «Mikro-Zeitfenstern» vorzustellen, gefolgt von einem Round Table zum Abschluß, bei dem Comicjournalist Daniel Wüllner mit den deutschsprachigen Webcomicpionieren Sarah Burrini («Das Leben ist kein Ponyhof»), David Boller (Zampano Webcomics) und dem oben genannten Daniel Lieske, «Spinken»-Künstler Jeff Chi – sowie dem Publikum – Chancen und Herausforderungen von Webcomics diskutierte. (Alle genannten Veranstaltungen wurden gefilmt und sind online auf splashcomics.de zu sehen. Außerdem werden alle Vorträge demnächst zum Nachlesen in überarbeiteter Version online veröffentlicht.)
«Trotz einer außerordentlich hohen Dichte an parallelen Veranstaltungen auf dem Comic-Salon war das Solidarity-Programm die gesamte Messe über hervorragend besucht», zeigt sich Wilde zufrieden. «Insgesamt haben unsere Diskussionsrunden, Vorträge und Lesungen rund um das Thema Online-Publishing deutlich über 200 BesucherInnen verzeichnet, zu manchen Veranstaltungen mußten Stühle nachbesorgt werden oder ZuhörerInnen saßen auf dem Boden.»
Daß hier eine den Salon-Veranstaltern bewußte Lücke gefüllt wurde, zeigt sich auch durch die Tatsache, daß die Comic Solidarity ohne Umschweife in die Salon-Strukturen integriert wurde. Sowohl an der Eröffnungsgesprächsrunde im Ratssaal, bei der es bezeichnenderweise um Digitalcomics ging, als auch der abschließenden Messe-Bestandsaufnahme nahmen Vertreter der Solidarity teil. Salon-Chef Bodo Birk würdigte die Teilnahme der Webcomic-Aktivisten zudem in der Nachklapp-Presseerklärung zum Salon und der TAGESSPIEGEL berichtete vom neuen «Interessenverband für Künstler von Webcomics».

Auf den Geschmack gekommen?
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