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COMIC!-JAHRBUCH 2014

Fumetti jenseits der Krise
Der italienische Comicmarkt


Von Giovanni Remonato


"Unwetterwolken kreisen über dem Verlagswesen des italienischen Comics, das Barometer steht schon seit einigen Jahren konstant auf 'schlecht Wetter'". So beginnt der letzte Beitrag von Gianni Bono über Comics in Italien, der im COMIC!-Jahrbuch 2001 publiziert wurde. Es scheint, als ob sich nach mehr als zehn Jahre nicht viel verändert hat. Die Wettervorhersage ist nach wie vor aktuell. Der ganze Comicbetrieb sieht die Situation des Markts pessimistisch: "Wer wird in den nächsten Jahren noch Comics lesen?" fragte sich der vor kurzem verstorbene Besitzer des größten Comic-Verlags Italiens, Sergio Bonelli.
In Italien befindet sich der ganze Kulturbetrieb in einer andauernden Krise. Hauptgrund dafür ist die große Zahl der sogenannten "funktionalen Analphabeten". Laut einer Untersuchung des Linguisten und Sprachwissenschaftlers Tullio de Mauro können nur 20 % der italienischen Erwachsenen lesen, schreiben und zählen. Nur 45,3 % der Bevölkerung liest mindestens ein Buch pro Jahr. Mit der wirtschaftlichen Krise der letzten Jahre wurde die Zahl der verkauften Büchern immer geringer (Minus 20 % allein im Jahr 2012). In diesem Kontext haben Comics ein schwieriges Leben. Trotz der vielen Probleme ist die Comic-Szene in Italien lebendig: Das Angebot an Comics (neue Titel, aber auch Neudrucke von Klassikern) ist noch nie so breit gewesen. Seit einigen Monaten führen sogar zwei Comictitel die Bestsellerlisten von Amazon und Ibs.it an: "La profezia dell’ armadillo" (BAO Publishing) des römischen Autors Zerocalcare und die Bände der Serie "Walking Dead" (von Saldapress in Italien vertrieben). Wie läßt sich diese schon fast widersprüchliche Situation erklären?
In den 1990er Jahren erlebte der Fumetto-Markt den Aufschwung. Die zwei größten Comic-Verlage, Walt Disney Italia und Bonelli glänzten in der ersten Hälfte der neunziger Jahren mit Verkaufsrekorden, jeweils mit den Titeln Topolino (dem italienischen Micky-Maus-Magazin) und "Dylan Dog". Nach den erfolgreichen 1990er Jahren sanken aber die Verkaufszahlen von Fumetti, insbesondere die Quoten der bereits genannten Verlage. Mit der Krise des Zeitungskiosk-Modells fanden Comics neue Wege zu den Lesern. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahren blühten die sogenannten Independent Comics. Diese Entwicklungen setzten sich im neuen Millennium fort. Ab 2000 feierte das Phänomen der sogenannten "Graphic Novels" einen Aufschwung. Diese gaben dem Comic-Markt neue Impulse.


Comics an den Kiosken: Bonelli, Astorina und Disney

Diese drei Verlage sind die ältesten und heutzutage noch auflagestärksten in Italien. Was Bonelli, Astorina und Disney darüber hinaus verbindet, ist der Vertrieb. Sie alle verteilen ihre Comics in den Zeitungskiosken und weniger in Fachgeschäften (Fumetterie) oder Buchhandlungen.
Wenn man in Italien von Comics spricht, denkt man zuallererst an Bonelli. Der Verlag wurde 1940 gegründet und beherrscht seitdem den Comic-Markt in Italien. Bonelli veröffentlicht die älteste Comic-Serie Italiens: "Tex". Das erste Abenteuer des Cowboys wurde 1948 von Gian Luigi Bonelli und Aurelio Galleppini kreiert. Heute ist "Tex" immer noch die auflagestärkste Serie des Verlags. Ein weiterer wichtiger Charakter des Verlags ist "Dylan Dog". Der "Ermittler der Alpträume" wurde 1996 von Tiziano Sclavi ins Leben gerufen. Heute veröffentlicht Bonelli insgesamt vierzehn Titel. Außer den bereits erwähnten "Tex" und "Dylan Dog" sind dies "Zagor" (seit 1961), "Martyn Mistère" (seit 1982), "Nathan Never" (seit 1991), "Collana Almanacchi" (seit 1993), "Brendon" (seit 1998), "Julia" (seit 1998), "Dampyr" (seit 2000), "Romanzi a fumetti" (seit 2007), "Lilith" (seit 2008), "Saguaro" (seit 2012), "Le storie" (seit 2012) und "Dragonero" (seit 2013). Die Comics von Bonelli beschäftigen sich mit Abenteuern in verschiedenen Formen und drehen sich alle um einem Hauptcharakter, der den Name der ganzen Serie vorgibt. Jede Serie wird dann von einer kleinen Gruppe von Künstlern (ca. 12 für jede Serie) gestaltet. Diese arbeiten in den Bonelli-Studios immer zu zweit: ein Zeichner und Drehbuch-Autor. Das Format der Comics ist sofort erkennbar: 16 X 21 cm groß, ca. 96 Seiten broschiert, Schwarzweißdruck. Darüber hinaus gibt es eine regelmäßige Aufteilung der Panels auf der Seite und einen günstigen Verkaufspreis (heute ca. 3,10 €). Einzige Ausnahme sind die verschiedenen Nachdrucke und die sogenannten "Giganti" (Riesen), d. h. unregelmäßig veröffentlichte Alben im größeren Format, die oft auch von Gast-Autoren gezeichnet werden.
Der langjährige Vorsitzende der Firma, Sergio Bonelli, verfolgte eine traditionstreue Linie: sowohl was die Inhalte als auch die editorische Form der Comics betrifft. Diese Strategie wurde mit der Treue der Leserschaft belohnt. Heute werden von "Tex" monatlich 215.000 und von "Dylan Dog" 140.000. Exemplare verkauft. Die andere Alben haben eine Auflage zwischen 45.000 und 23.000 Exemplare. Diese Comics haben aber weniger Appeal für die jüngeren Generationen. Die Auflage der Alben ist heute noch relativ gut, aber sie verzeichnet seit rund einem Jahrzehnt einen negativen Trend. Durchschnittlich verlieren die Comics von Bonelli jährlich 2–6 % ihrer Leser. Ein Grund dafür könnte der geringe Austausch mit anderen Medien, wie Fernsehen und Kino, sein. Trotz der großen Menge an Materialien hat sich Sergio Bonelli immer geweigert, ihre Figuren für eine Fernsehserie oder für einen Film verwenden zu lassen. Vielleicht ist die Entscheidung doch nicht so falsch gewesen, wenn man an die wenigen Ausnahmen denkt: "Tex e il signore degli abissi", (von Duccio Tessari, 1985) und die von "Dylan Dog" inspirierten Filme "Dellamorte Dellamore" (von Michele Soavi, 1994) und "Dylan Dog: Dead of Night" (von Kevin Munroe, 2010). Der neue Vorsitzende des Verlags Davide Bonelli, der Sohn von Sergio, könnte sich für neue Vorschläge und Perspektiven begeistern. Die Entwicklung des Verlag ist aber nicht zur Bewegungslosigkeit erstarrt. Es gibt Anzeichen, daß sich das Haus Bonelli langsam modernisiert. Seit einigen Jahren sind auch Frauen im Olymp der Bonelli-Helden vertreten: die Protagonistinnen der gleichnamigen Serien "Julia" (seit 1998) und "Lilith" (seit 2008).

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Der Comicmarkt in Italien 2001
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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2013
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