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COMIC!-JAHRBUCH 2014

Der niederländische Comicmarkt
Ein lachendes und ein weinendes Auge


Von Rik Sanders
Aus dem Niederländischen von
Marcus Kirzynowski


Ein Hohn: Das ist eine gute Bezeichnung für das Abblasen des Marten-Toonder-Comicpreises im Jahr 2013. Nachdem er drei Mal verliehen worden war, ist dieser Lebenswerkpreis, der mit einem Preisgeld von 25.000 € verbunden war, schon wieder abgeschafft worden. Grund: die Kultureinsparungen der niederländischen Regierung. Trotz dieser negativen Nachricht gab es zum Glück in den vergangenen zwölf Monaten noch genug, an dem man sich in der niederländischen Comicwelt erfreuen konnte.
Das bemerkenswerteste Comicereignis von 2013 wurde schon genannt. Jan Kruis, geistiger Vater von "Jan, Jans en de kinderen" ("Ulli, Ulla und die Kinder"), bekam den Preis 2010 als erster verliehen; danach folgten Peter Pontiac und Joost Swarte. Der Marten-Toonder-Preis war ein Preis für das Gesamtwerk, bestimmt für einen Comiczeichner, der einen besonderen Verdienst für die Bilderzählung geleistet hat.
Der Preis wurde nach kräftiger Lobbyarbeit durch eine Reihe von Leuten aus der niederländischen Comicwelt, darunter die Zeichner Jean-Marc van Tol ("Fokke & Sukke") und Hanco Kolk ("Meccano"), vom damaligen Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft und Comicliebhaber Ronald Plasterk ins Leben gerufen. Bis dahin hatte ein Staatspreis gefehlt, um den niederländischen Comic zu ehren und zu unterstützen.
Dem Ministerium zufolge mußte durch die Einsparungen auf kulturellem Gebiet die Zahl der Kunstpreise zurückgefahren werden. Zudem wurde der Kulturfonds, aus dem der Marten-Toonder-Preis finanziert wurde, aufgelöst und andere Fonds fühlten sich nicht berufen, sich des Comicpreises anzunehmen. Wenn man dazu auch noch die nicht gerade stark organisierte Comicbranche nimmt, die in der nationalen Politik in Den Haag nicht vernehmbar war, ist es nicht verwunderlich, daß der Toonder-Preis letztendlich durch den Rost fiel.


Das Toonder-Jahr

Zeugt das Streichen des Preises schon nicht von einer besonderen Zuneigung der Regierung gegenüber Comics, ist es zusätzlich beschämend, daß die Abschaffung des Preises ausgerechnet in den Zeitraum fiel, als Ende Januar 2013 das Marten-Toonder-Jubiläumsjahr gerade offiziell abgeschlossen war. Im Toonder-Jahr wurde der einhundertste Geburtstag Marten Toonders (1912–2005) ausgiebig gefeiert. Er wird als Taufpate des niederländischen Comics angesehen und ist Schöpfer von klassischen Comics wie unter anderem "Heer Bommel en Tom Poes" ("Tom Puss" und "Oliver Bommel"), "Panda" ("Panda und seine Freunde"), "Kappie" ("Käpten Kopp") und "Koning Hollewijn".
Das Toonder-Jahr sorgte für erfreulich viel Medien-Aufmerksamkeit sowie eine Flut an Veröffentlichungen (Sachbücher und Wiederveröffentlichungen), ein Bommel-Hochglanzmagazin, große und kleine Ausstellungen, Fachmessen, Seminare, Vorträge, Auktionen, aufgetauchte, noch unbekannte Arbeiten aus Archiven und sogar eine Wiedervereinigung ehemaliger Mitarbeiter der Toonder-Studios. Höhepunkte in diesem Jubeljahr waren die Veröffentlichung der Biographie "Marten Toonder" von Wim Hazeu und die Übersichtsausstellung "Marten Toonder. Een dubbel denkraam" im Literaturwissenschaftlichen Museum in Den Haag. Das Wort "denkraam" ist ein von Toonder erfundenes Wort aus der "Bommel"-Serie, das in die niederländische Sprache eingegangen ist. Es bedeutet Verstand oder Begriffsvermögen. Der Titel der Ausstellung – ein doppelter "denkraam" – verweist auf Toonder als einen Mann mit zwei Gesichtern: Autor und Zeichner, Geschäftsmann und Künstler, Realist und Magier, charmant und stumpf, ein offenes und geschlossenes Buch.
Auf der Ausstellung fielen sechs Illustrationen des Comiczeichners Erik de Graaf zu wichtigen Themen im Leben Toonders auf. Graaf verlieh den Zeichnungen Bewegung, indem er die Bilder auf 100 x 70 cm in einer Linsenraster-Technik druckte. Das ist eine Technik, bei der drei beinahe identische Zeichnungen in Lagen übereinander gedruckt werden, wodurch ein magischer Effekt entsteht. Besucher, die entlang der Illustrationen liefen, sahen, wie einige Details sich veränderten. Stellen Sie sich eine dieser altmodischen 3D-Karten vor, mit einer Frau, die Ihnen zublinzelt, wenn Sie an ihr vorbeilaufen. So gab es in jeder Zeichnung diverse magische Details, wie etwa eine Lampe in den Studios, die anging, Fledermäuse, die auf einen zuflogen und eine Pfeife auf einem Hocker, aus der Rauch kam, sowie ein gezeichneter Marten Toonder, der in der Kriegszeit eine Skizze von Hitler vollendete. Die sechs Bilder wurden in den Band "Een dubbel denkraam. Marten Toonder. Een hommage" aufgenommen, aber leider wäre es zu teuer geworden, auch hier die Linsenraster-Technik anzuwenden.
Ein Nachzüglereffekt des Toonder-Jubiläumsjahrs war im September 2013 die Herausgabe zweier Geschichten von "Kappie", einem beliebten Zeitungsstrip von Marten Toonder, der auch in Deutschland veröffentlicht wurde (als "Käpten Kopp"). Zwischen 1945 und 1972 sind 141 Abenteuer von Kappie und seinem Schlepper "De Kraak" (Der Krake), Steuermann "de Maat" (der Maat) und Chefmechaniker "de Meester" (der Meister) entstanden. Der Verlag Stripstift, der auch das Comicfachmagazin Stripschrift herausgibt, will bei ausreichendem Interesse alle Geschichten veröffentlichen, die noch nie in Buchform erschienen sind.

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