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COMIC!-JAHRBUCH 2014

Mit Herzblut und bester Absicht
Seit 30 Jahren erscheint das herausragende Comic-Fanzine ZEBRA


Von Andreas Alt


Anfang der 1980er Jahre entstanden nach ZACK-Ära und Heftchen-Boom zahlreiche Comic-Fanzines. ZEBRA, dessen erste Ausgabe im Februar 1983 in Köln erschien, ragte aus der Masse von Anfang an heraus. Dieses Schwarzweiß-Magazin im großzügigen DIN-A4-Format bot nicht nur gut geschriebene und hervorragend gezeichnete Beiträge (was manche andere auch hatten), sondern pflegte einen eigenen, liebenswert ironischen Stil, der jedes Heft durchgängig prägte. In den ersten zehn Jahren erschienen zwölf Ausgaben, dann ließ die Frequenz deutlich nach. Jetzt, zum 30jährigen Bestehen von ZEBRA, war die 18. Ausgabe in Vorbereitung. Immerhin hat sich am typischen ZEBRA-Stil, der Andreas C. Knigge – damals Lektor bei Carlsen – einst zu dem Appell veranlaßte: "Wenn Sie ZEBRA einstellen, hören wir auch mit den Carlsen-Comics auf", in all den Jahren nichts geändert.
Deutlichster Ausdruck des ZEBRA-Stils war die rituelle Redaktionskonferenz, die meist auf der Heftrückseite abgebildet war. Die Redaktion bestand offenbar aus vier Typen, Georg K. Berres, Rudolph Perez, Bill GoGer und Ludwig Kreutzner. In sympathischer Selbstüberschätzung werkelten sie jeweils an der nächsten Ausgabe: "Also ich find’s geistreich, was ich hier mache." Wie sich herausstellte, verbarg sich hinter dem Quartett ein Brüderpaar. Außer Georg war Werner P. Berres beteiligt. Wer welches Pseudonym benutzte, ist nicht ganz einfach zu klären, aber GoGer ist ein Anagramm von Georg, und bei Rudolph Perez, dem Hauptzeichner in den frühen ZEBRA-Ausgaben, handelt es sich (zumindest bei Signierstunden) um Werner.
Daß ZEBRA so gekonnt durchkomponiert wirkt, liegt zum einen daran, daß die Berres-Brothers anfangs ausschließlich eigenes Material veröffentlichten und später nur Gastbeiträge zuließen, die zu ihrem Magazin genau paßten. Zum anderen hatten sie vor ZEBRA schon gut zehn Jahre an ihrem Stil gearbeitet. Bereits in den 60er Jahren hatten sie ihre eigenen Comics produziert – abgeschlossene Storys, aber auch Serien. Wie die meisten wußten sie anfangs nicht, wie man so einen Comic vervielfältigt; die Technik des Fotokopierens war neu und teuer, Farbdruck undenkbar. Eine Sammlung von Märchenparodien ließen sie einmal ihren Vater im Betrieb kopieren und verschenkten dann sechs selbst zusammengeklebte Exemplare an Freunde.
Als das deutsche MAD 1973 Mitarbeiter suchte, sandte Georg einige Promikarikaturen und eine Edgar-Wallace-Parodie ein und wurde von Redakteur Herbert Feuerstein zu einem Gespräch in die Redaktion eingeladen. "Einzelne meiner Portraits fand er 'hervorragend', die Figuren, Bewegungen, Hintergründe und Komposition aber 'eher nicht'", erinnert er sich. Ein Beitrag, "Der fallende Zweig in der Geschichte der Menschheit", erschien in MAD 58, alles andere fand aber vor den Augen von Feuerstein keine Gnade. Also zeichneten die Berres-Brothers weiter für die Schublade, bis ihnen Anfang der 80er Jahre "Love & Rockets" 1 in die Hände fiel, das selbst verlegte Comicheft des latino-amerikanischen Brüderpaars Gilbert und Jaime Hernandez. Es zeigte laut Werner, daß ein Magazin möglich war, das nicht den Mainstream (in USA Superhelden) bediente.
Der Comicagent Hartmut Becker, damals Mitorganisator des Kölner Comictauschtags, riet von dem Projekt ab; ein Schwarzweiß-Heft ohne Werbung und ohne richtigen Vertrieb habe "null Chancen" auf dem Markt – und genaugenommen behielt er recht. ZEBRA 1 erschien in einer Auflage von 1.000 Exemplaren. Die Berres-Brothers warben mit ganzseitigen Anzeigen in Comic-Fachblättern und der Allgemeinpresse, sandten an alle Sekundärmagazine Rezensionsexemplare, die auf ein ausnahmslos positives Echo stießen, und belieferten zahlreiche Comicläden und Mailorders. Trotzdem mußte die Auflage dann auf 300 bis 500 zurückgenommen werden, um laut Georg geschäftlich zumindest auf eine schwarze Null zu kommen.
Die Macher sehen ihr Comicmagazin als "eine Art ZACK", nur eben schwarzweiß. Die Mischung aus humorgefärbten Abenteuer- und Science-Fiction-Storys, Genreparodien, Funnys und Semifunnys ist aber einzigartig. Die Brüder haben jegliches kommerzielles Kalkül konsequent ausgeblendet und stattdessen ihre eigenwillige Gestaltungsweise pfiffig ironisiert. Ab Ausgabe 4 nahmen sie Gastbeiträge hinzu. Die Gastzeichner waren namhaft: Volker Reiche, Bernd Pfarr, Hannes Neubauer, Hartmut Klotzbücher, Martin Frei, Peter Schaaff, David Boller und andere.
Anfangs brauchten die Berres-Brothers das Material, da die eigenen Werke nicht mehr ausreichten, das Heft zu füllen, obwohl sie nach Aussage von Werner fast die gesamte Freizeit in das Magazin investierten. Dann hielten berufliche Verpflichtungen Georg und Werner davon ab, ZEBRA häufiger als einmal im Jahr zu veröffentlichen. Georg studierte Medienwissenschaften, arbeitete als freier Journalist und Regieassistent beim WDR, Werner machte eine Ausbildung zum Bibliothekar. Leserkontakte wurden sehr professionell gehandhabt, was laut Georg auch Platzgründe hatte. Ausufernde Leserbrief-Diskussionen gab es in ZEBRA nie.
Mit der Zeit wurde Werner zum Rückgrat der Redaktion und sein Bruder Georg zum sporadischen Mitarbeiter. Auch wenn sie sich in der Fanszene selten blicken ließen, begannen sie, auch an anderen Fanzines wie Algier 1937, Sprühende Phantasie, Lippe oder Utopische Welt mitzuarbeiten. Neben ZEBRA entstanden Sonderausgaben, in denen die Fachpresse akribisch indexiert wurde, das 112-seitige Album "Katastropolis" (bei Zampano) und die SF-Serie "Commander Cork" (bei Gringo Comics). Im Gegensatz zu den stets abgeschlossenen Kurzgeschichten in ZEBRA ist dies erstmals eine echte Heftserie der Berres-Brothers.
ZEBRA wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: 2001 gab es den ICOM Independent Comic Preis als bestes Fanzine, 1992 wählten die Leser der Fachzeitschrift Comic Forum ZEBRA zum beliebtesten Magazin, und 1990 wurde es "best Adventure Title" der britischen Zine Zone. "Wir hatten und haben einen hohen Anspruch an die Geschichten, die wir den Lesern in ZEBRA anbieten wollen", resümiert Georg, "perfekt waren sie trotzdem nie, immer aber mit Herzblut, bester Absicht und Engagement geschaffen." Damit ist ZEBRA symptomatisch für die deutsche Comicszene: Es gibt exzeptionelle Zeichner- und Autorentalente, zumindest in den 80er Jahren gab es für sie aber kaum einen Weg, das Comiczeichnen zum Broterwerb zu machen. Sie konnten freilich aus der Not eine Tugend machen und ohne kommerzielle Zwänge Comics schaffen, die zwar vielleicht nicht in hohen Auflagen am Kiosk zu kaufen sind, aber von vielen geliebt werden.

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