Lektüre
 Independent Comic Shop   ICOM-Publikationen   Kosteipj_2013_23nlos   Fachmagazine   Sekundärliteratur 
Das COMIC!-Jahrbuch | Das ICOM!-Handbuch | Der ICOM!-Ratgeber
FILMRISS | Das verbandseigene Fachmagazin
COMIC!-JAHRBUCH 2013

Nicht nur Sequels
Trickfilm-News


Von Heiner Lünstedt


In letzter Zeit kamen fast mehr Fortsetzungen wie «Kung Fu Panda 2», «Happy Feet 2», «Madacascar 3» oder «Ice Age 4» in die Kinos als Trickfilme mit neuen Figuren und Ideen, was zumindest bei mir zeitweilig zu einer gewissen Trickfilmmüdigkeit führte. Auf dem San Diego Comic Con präsentierte die Firma Disney als einer der Hauptsponsoren zwei ebenso unterschiedliche wie vielversprechende Trickfilmprojekte und bewarb diese massiv.

Mit «Frankenweenie» verarbeitet Tim Burton einen kurzen Spielfilm, den er 1984 für Disney drehte, in einen abendfüllenden Trickfilm. Die mehr als leicht morbide Geschichte um einen kleinen Jungen, der seinen verstorbenen Hund à la Frankenstein wiederbelebt, wurde genau wie «Nightmare Before Christmas» und «Corpse Bride» inmitten riesiger Kulissenbauten in Stop Motion Technik realisiert. Fast schon selbstverständlich ist hierbei 3D-Technik, aber Burton bestand darauf, den Film in Schwarzweiß zu drehen, weil er selbst neugierig darauf ist, wie ein schwarzweißer High-Tech-3D-Film aussieht.
Das zweite Trickfilm-As im Ärmel bei Disney heißt «Wreck-It Ralph». Hierbei handelt es sich – nach «Rapunzel – Neu verföhnt», «Winnie Puuh» und vor «Frozen», einer Adaption des Andersen-Märchens «Die Schneekönigin» – um den 52. Disney-Animationsfilm. Der Titelheld ist eigentlich ein Schurke. Doch «Wreck-It Ralph» ist es leid, der Bösewicht des Videogames «Fix-It Felix Jr.» zu sein. Er bricht zu neuen Ufern bzw. zu neuen Spielen auf und versucht, Gutes zu tun. In San Diego waren neben dem zuvor für die Simpsons und Futurama tätigen Regisseur Rich Moore auch die Darsteller John C. Reilly und Sarah Silverman anwesend, die den Hauptfiguren ihre Stimmen leihen. «Wreck-It Ralph» ist eine Art Videogame-Gegenstück zu «Falsches Spiel mit Roger Rabbit», denn anstatt Trickfilmfiguren aus anderen Studios wie Bugs Bunny werden hier Figuren aus Videospielen wie «Pac-Man» oder «Sonic» Gastauftritte absolvieren.

Zwar scheinen originell konzipierte abendfüllende Trickfilme wie «Frankenweenie» oder «Wreck-It Ralph» eher die Ausnahme zu sein, doch es gibt innerhalb des Genres weiterhin immer wieder Perlen wie Studio Ghiblis «Arrietty – Die wundersame Welt der Borger» oder Javier Mariscals «Chico & Rita» zu entdecken.


Hier Anmerkungen zu ausgewählten Kinotrickfilmen und DVD-Premieren der letzten Monate.

Die Abenteuer von Tim und Struppi:
Das Geheimnis der Einhorn
von Steven Spielberg
USA 2012 © Sony Home Entertainment

Mit modernster Tricktechnik wäre es wohl denkbar, eine «werkgetreue» Verfilmung von Hergés «Tim und Struppi» auf die Leinwand zu zaubern, doch dies darf nicht erwartet werden, wenn Steven Spielberg inszeniert. Dieser erweist im schönen flächig animierten Vorspann und gleich danach in einem Gastauftritt – ein computeranimierter Hergé porträtiert als Flohmarkt-Karikaturist den computeranimierten Tim in seinem typischen Ligne-Claire-Stil – dem belgischen Comicmeister seinen Respekt. Danach jedoch zieht der Erfolgsregisseur auch in seinem ersten selbst in Szene gesetzten Trickfilm voll sein Ding durch.
Das ist zunächst etwas anstrengend, denn die Figuren sehen weder wie ihre Ebenbilder aus dem Comic aus, aber auch nicht – trotz zahlloser Details – wie richtige Menschen. Zudem ist auch noch die Kamera ständig in Bewegung, damit es im Kino auch ja schön plastisch wirkt. Die zunächst aus Hergés Album «Das Geheimnis der Einhorn» übernommene Geschichte beginnt – durchaus werkgetreu – etwas lahmarschig und erzählt von Schiffsmodellen, die Schatzkarten enthalten. Doch wenn dann zusätzlich noch Elemente aus dem Comic «Die Krabbe mit den goldenen Scheren» – jenem Album, in dem Tim den beliebten Polter- und Trunkenbold Haddock kennenlernt (und das bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Puppentrick verfilmt wurde) – eingebaut werden, gewinnt der Film ganz schön an Fahrt.
Im Laufe der munter neu remixten Geschichte gibt es reichlich aus den Comics übernommene Situationen, aber auch eine wild-turbulente Verfolgungsjagd durch einen afrikanischen Küstenort, die alle Indiana-Jones-Actionszenen blaß aussehen lassen. Jene Sequenz, in der Kapitän Haddock sich in seinen gegen Piraten ankämpfenden Vorfahren hineinversetzt, kann hingegen locker mit den besten Momenten aus «Fluch der Karibik» mithalten. Wenn es um das In-Szene-Setzen von lustigen Turbulenzen geht, ist Spielberg immer noch unerreicht und zeigt ganz nebenbei den Pixar-Leuten, die sich gerade mit «Cars 2» lächerlich machten, daß es doch möglich ist, mit computeranimierter Action zu unterhalten.
Aus Hergés «Einhorn»-Fortsetzung «Der Schatz Rackhams des Roten» übernimmt der Film nur Fragmente und spart sich den Ausgang der Geschichte (sowie den ersten Auftritt von Professor Bienlein) für eine von Peter Jackson in Szene gesetzte Fortsetzung auf. Insgesamt richtet sich der Film eher an das große Publikum als an die Fans der «Tim und Struppi»-Comics. Doch unterhaltsamer als die brave TV-Trickfilmserie oder die sonstigen Kino-Auftritte von Hergés Helden ist das Ganze allemal.


Arrietty – Die wundersame Welt der Borger
von Hiromasa Yonebayashi
Japan 2010 © Studio Ghibli/Disney Enterprises Inc.

Der 17. Film des japanischen Animationsstudios Ghibli ist ein Projekt, das dem Zeichentrick-Guru Hayao Miyazaki schon seit Jahrzehnten am Herzen lag. Er hat ein großes Faible für die «Borger»-Romane der englischen Autorin Mary Norton. Diese handeln von kleinen Wesen, die sich in den Häusern der Menschen ansiedeln und sich jene Dinge «borgen», die sie zum Überleben benötigen. Von Nortons insgesamt vier Romanen gab es bereits TV- und Kinoadaptionen, am bekanntesten dürfte der auch bei uns gelaufene Spielfilm «Ein Fall für die Borger» mit John Goodman sein.
Die Ghibli-Version konzentriert sich auf die problematische Freundschaft zwischen dem Borger-Mädchen Arrietty, die mit ihren Eltern unter den Dielen eines Landhauses lebt, und dem herzkranken Menschenjungen Sho. Als dieser die kleine Arrietty entdeckt, ist ihrem Vater sofort klar, daß die Familie weiterziehen muß. Arrietty versucht zu vermitteln und gerät dabei nicht nur selbst in Gefahr, sondern ihre Mutter wird von der hinterhältigen Haushälterin Habu gefangen ...
Hayao Miyazaki schrieb zwar das Drehbuch, setzte den Film aber nicht selbst in Szene, sondern beauftragte den zuvor nur als Animator tätigen Hiromasa Yonebayashi alias Maro damit. Auf dem Bonusmaterial der DVD und Blu-ray lästert Hayao Miyazaki ganz schön über seinen jungen Regisseur. Da es Miyazaki der japanischen Jugend nicht mehr zutraut, einer Geschichte zu folgen, die nicht in der eigenen Heimat (oder auf fremden Planeten) spielt, verlegte er die Handlung aus dem England der fünfziger Jahre in das Japan der Gegenwart. Dies stört nicht weiter, denn moderne Autos und Handys sind zwar zu sehen, spielen aber keine große Rolle. Zudem sorgt der Soundtrack dafür, daß der Film trotzdem über genügend europäisches Flair verfügt, denn der stammt diesmal nicht vom Ghibli-Hauskomponisten Joe Hisaishi, sondern von der französischen Folk-Sängerin und Harfenistin Cécile Corbel (im Abspann der Synchronfassung singt sie sogar deutsch!).
Mit «Arrietty – Die wundersame Welt der Borger» gelang dem Studio Ghibli ein weiteres Meisterwerk, das Jung und Alt viel Freude bereiten dürfte. Die wunderschönen Hintergrundgemälde, die spannende Geschichte und die perfekt gesetzten Toneffekte lassen fast vergessen, daß «Arrietty» im Grunde genommen ein ganz schön trauriger und sehr pessimistischer Film ist. Er zeigt, daß es oftmals nahezu unmöglich ist miteinander auszukommen. Daß eine Freundschaft zwischen der klitzekleinen Arrietty und dem im Verhältnis dazu riesigen Sho nicht eben unproblematisch ist, erscheint noch verständlich. Die Beziehung zwischen Arriettys Eltern jedoch hat im Grunde gar keine gemeinsame Basis. Was den pragmatischen coolen Schweiger Pod und die aufgekratzte Schwätzerin Homily aneinanderbindet, dürfte eins der größten Geheimnisse dieses ergreifend erzählten Animationsfilmes sein.


Batman: Year One
von Sam Liu und Lauren Montgomery
USA 2012 © DC/Warner Bros. Entertainment

Das nach «Superman: Doomsday», «Justice League: The New Frontier», «Batman: Gotham Knight», «Wonder Woman», «Green Lantern – First Flight», «Superman/Batman – Public Enemies», «Justice League: Crisis on Two Earths», «Batman: Under the Red Hood», «Superman/Batman: Apocalypse», «All-Star Superman» und «Green Lantern: Emerald Knights» zwölfte «DC Universe Animated Original Movie» ist etwas ganz besonderes.
Erstmal wurde hier – «All-Star Superman» hin oder her – ein wirklich bedeutender DC-Comic als Zeichentrickfilm adaptiert und das auch noch so werkgetreu, daß er bei uns (genau wie der Kinofilm «The Dark Knight») eine FSK-16-Freigabe bekam. 1987 – ein Jahr nach seinem bahnbrechenden Comic «The Dark Knight Returns» – widmete sich Frank Miller erneut dem Dunklen Ritter Batman. Diesmal jedoch nicht im Alleingang und nicht in Form einer außerhalb der regulären Serie stehenden düsteren Zukunftsversion mit einem desillusionierten Batman. «Batman: Year One» erzählte davon, wie Bruce Wayne erstmals zu Batman wurde. Miller ließ diese Geschichte recht eigenwillig von David Mazzucchelli (»Stadt aus Glas») in Szene setzen und innerhalb der regulären Serie in den Batman-Heften 404 bis 407 erscheinen.
Bemerkenswerter ist jedoch, daß noch stärker als die Batman-Werdung von Bruce Wayne (oder die ebenfalls integrierte origin story von Catwoman) Jim Gordons erstes Dienstjahr in Gotham City im Zentrum der Geschichte steht. Wie dieser sich im Alleingang gegen eine fast durch und durch korrupte Kollegenschar behaupten muß, ist noch um einiges spannender erzählt als die ersten Fledermaus-Fehlstarts vom finanziell bestens ausgestatteten Bruce Wayne. Der ganz offensichtlich von enthusiastischen Fans des Comic-Meilensteins in Szene gesetzte Zeichentrickfilm ist erstaunlich werkgetreu, kommt ganz ohne Superhelden-Quatsch aus und ist so spannend wie ein Filmklassiker aus Hollywoods Schwarzer Serie. Das Bonusmaterial (vor allem der Blu-ray) ist ebenfalls exquisit, auch wenn in den Berichten leider weder David Mazzucchelli noch Frank Miller, der sich zeitgleich gerade mit dem eigentlich für Batman vorgesehenen Comic «Holy Terror» blamierte, zu Wort kommen.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2013
Links zum Artikel

Übersicht der Linklisten
  Alle Jahrbücher
Comic Jahrbuch 2013
Comic Jahrbuch 2012
Comic Jahrbuch 2011
Comic Jahrbuch 2010
Comic Jahrbuch 2009
Comic Jahrbuch 2008
Comic Jahrbuch 2007
Comic Jahrbuch 2006
Comic Jahrbuch 2005
Comic Jahrbuch 2004
Comic Jahrbuch 2003
Comic Jahrbuch 2001
Comic Jahrbuch 2000
COMIC!-Jahrbuch 2013
Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2012
240Seiten, davon 34 redaktionelle Farbseiten
EUR 15,25
BESTELLEN