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COMIC!-JAHRBUCH 2013

Herausragendes Szenario:
«Trommelfels» von Marijpol


Von Gerhard Schlegel und Burkhard Ihme


COMIC!: Dein Pseudonym unterscheidet sich phonetisch nicht von deinem bürgerlichen Namen, verleitet aber Holländer zu einer abweichenden Aussprache. Hat dich in erster Linie die Optik gereizt?

Marijpol: Als 1996 die neue deutsche Rechtschreibung beschlossen wurde, war ich 14 und hatte das mir heute unverständliche Bedürfnis, meinen eigenen Namen zu reformieren. Außerdem war mir aufgefallen, daß beim Rückwärtslesen meines Namens sich plötzlich ein Paar Buchstaben in den Weg stellten, die man beim Vorwärtslesen nicht unbedingt hörte und die ich deshalb nicht mehr schreiben wollte.
Wenn ich mein Pseudonym heute benutze, denke ich manchmal peinlich berührt an mein 14-jähriges Selbst. Dann nehme ich mich aber im Geiste selber in den Arm dafür, so starrköpfig die andere Schreibweise benutzt zu haben.

COMIC!: Du hast sowohl an der Hochschule für bildende Künste als auch an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg studiert. Was hat dich zum Wechsel veranlaßt?

Marijpol: In Hamburg tat sich damals ein Graben auf zwischen den künstlerischen Haltungen an der Kunsthochschule und der HAW. An der Kunsthochschule dachte man, an der HAW studierten nur unselbständige Langweiler, die ohne vorgegebene Themen nichts zustandebringen. Das stimmte natürlich alles nicht. An der HAW fühlte man sich den «echten» Künstlern von der Kunsthochschule unterlegen, war aber stolz auf bessere handwerkliche Fertigkeiten.
Ich habe sehr früh im Studium angefangen, Geschichten zu zeichnen, und habe dafür an der HAW viel mehr Anregung bekommen. Bei den nur vermeintlich offenen Kunstprofessoren an der HfbK bin ich aber damit nicht gut angekommen. Verständliche, figürliche Zeichnungen zu machen, die dann auch noch relativ lineare Geschichten erzählen, war ihnen «zu angewandt» und nicht experimentell genug. Einzig bei den Trickfilmern bin ich nicht auf Unverständnis gestoßen. Ich habe mich eine Weile im Zeichentrickfilmen versucht, der Arbeitsprozeß war mir aber zu langsam.
An der HAW fand ich dann in Anke Feuchtenberger die beste Professorin, die ich mir vorstellen konnte. Ich habe wegen ihr die Hochschule gewechselt.

COMIC!: Laut deiner Website hast du zwischen 2004 und 2007 fünf Comics im Selbstverlag herausgegeben. Welches Format und welchen Umfang hatten sie? Hast du dabei die besonderen Möglichkeiten einer Kunsthochschule (Offset, Siebdruck, Radierung, Steinlithographie) genutzt oder schlicht die eines Copyshops?

Marijpol: Diese Geschichten (zwischen 30–100 Seiten, A4–A5 groß) habe ich im Copyshop vervielfältigt, mit selbst siebgedruckten Umschlägen versehen und dann auf Comicmessen verkauft. Manche dieser Geschichten sind in Kursen an der Hochschule entstanden.
«Die Abenteuer vom Herzchen, Händchen und den Äugelein» ist eine sehr freie Bearbeitung eines unbekannten Grimmschen Märchens. Eine Frau entledigt sich einiger Körperteile und Organe, die dann alleine in die Welt hinausziehen.
«Die singende Lunge» ist die Geschichte einer mißglückten Fernsehaufnahme der legendären singenden Lunge. Wieder ein Organ mit Charakter, das eine besonders schöne Singstimme hat.
«Hatschumm! Oder der heimgesuchte Mantel» handelt von einem langhaarigen Jugendlichen, dem beim wiederholten Niesen ein alter Mann erscheint, der als Geist in seinem gebraucht gekauften Mantel wohnt.
In diesen Geschichten ging es also um die Vorstellung, daß einzelne Teile aus dem zusammenhängenden System «Körper» oder dem Körper nahe Dinge wie ein Mantel ein Eigenleben entwickeln. Das Gruselige an diesen Ideen hat mich beim Zeichnen angefeuert, die Darstellung ist aber dennoch weit von Horror entfernt, obwohl man das vielleicht annehmen würde, wenn man von abgetrennten Körperteilen hört. Die Frau vereint sich am Ende wieder glücklich mit ihren Körperteilen, und der Geist aus dem Mantel wird befreit.

COMIC!: Als Jahrgang 1982 gehörst du rein altersmäßig zur ersten Generation der deutschen Mangaka. Welche Comics waren dein Zugang zum Medium, hast du immer Comics und Manga gezeichnet oder erst im Studium das Interesse wiederentdeckt?

Marijpol: Den Drang, mir längere Geschichten auszudenken, hatte ich schon als Kind, als Jugendliche habe ich angefangen, Geschichten auch zu zeichnen. Ob das nun Comics waren, hat mich damals nicht interessiert. Ich habe zwar begeistert «Tim und Struppi» gelesen, habe aber auch nie versucht, Hergé nachzuahmen.
Bildergeschichten zu zeichnen, hat sich dann im Studium einfach als meine natürlichste Form des Ausdrucks herausgestellt. Es paßt zu mir. Ich kann den ganzen Tag alleine in einem Zimmer sitzen, mir Welten ausdenken und mich in ihnen aufhalten. Das ist grandios.
Für Mangas habe ich mich bis jetzt ehrlich gesagt noch nicht interessiert.

COMIC!: Wie kam es zu deiner Zusammenarbeit mit dem avant-verlag? Hast du den fertigen Comic angeboten, oder wurde die Geschichte gemeinsam entwickelt bzw. vom Verlag redaktionell betreut?

Marijpol: Der avant-verlag war schon früher auf meine Arbeit aufmerksam geworden, vor allem durch eine Ausstellung auf dem Comicfestival in Bologna. «Trommelfels» habe ich selbst entwickelt und dem Verlag als fertiges Buch präsentiert.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2012
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