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COMIC!-JAHRBUCH 2013

Bester Kurzcomic:
«The Quest» in «Biografiktion 3: ABBA»
Interview mit Till Hafenbrak und Edition Biografiktion


Von Felix Giesa


Nachdem bereits im vergangenen Jahr Till D. Thomas einen ICOM-Preis für den ‹Besten selbstverlegten Comic› erhalten hat, wird nun in diesem Jahr Till Hafenbraks Geschichte «The Quest» als ‹Bester Kurzcomic› ausgezeichnet. Wiederum also ein Zeichner aus dem Bereich der Selbst- und Kleinverleger. Jetzt von einer Trendwende in der Vergabepraxis des ICOM-Preises, der sich ja eben als ‹independent› versteht, zu sprechen, ist sicherlich ebenso verfrüht wie unnötig. Aber auf diese Weise erfahren Comics und ihre Macher eine Aufmerksamkeit – auch finanzieller Art –, die ihnen ansonsten nicht so leicht zukäme, da sie in einer kleinen, aber feinen Nische des Comicmarktes erscheinen. Dabei geht es Till Hafenbrak und seinen Freunden aus der Edition Biografiktion – Ana Albero und Paul Paetzel – gar nicht so sehr um den finanziellen Erfolg ihrer Arbeit. Der ist bei ihren Kleinstauflagen eh nicht zu haben. Vorrangig geht es, das sagt Till deutlich im Interview, um die Freiheit des künstlerischen Schaffensprozesses. Alle drei funktionieren dabei als Einheit, die Ergebnisse harmonieren entsprechend, wenn sie nebeneinander im Druck erscheinen. Diese Freiheit und Unabhängigkeit geht dabei soweit, daß alle Produktionsschritte selbständig durchgeführt werden. Der künstlerische Prozeß erfährt hierbei in der Herstellung des eigentlichen Produkts – des fertigen Comics – einen handwerklichen Aspekt, der den Comics des Massenbetriebs fremd ist. Die entstandenen Arbeiten sind haptische Kleinode und bibliophile Schätze. Eher Gesamtkunstwerk als lediglich nur eine Comicgeschichte.
Der Kollektivcharakter ist für die drei Künstler so zentral, daß Till, als Preisträger zum Einzelinterview gebeten, selbstverständlich Ana und Paul bei Fragen zur gemeinsamen Edition hinzuzieht. Es wurde von ihrer Seite zwar nicht angesprochen, aber man kann durchaus vermuten, daß sie sich über die Einzelauszeichnung doch gewundert haben. Zumal in dieser Kategorie, wurde doch im vergangenen Jahr extra die Sparte ‹Bester selbstverlegter Comic› aus der Taufe gehoben, da hätte die gesamte Edition natürlich sehr gut hineingepaßt. Die einzelnen Ausgaben von Biografiktion sind, anders als das bei den meisten Anthologien der Fall ist, nicht nur die Summe ihrer Einzelgeschichten, sondern eben als ein Gesamtkunstwerk zu verstehen. Konzeptkunst, geschaffen von drei Künstlern gemeinsam. Wobei sie die Bezeichnung ‹Konzept› sicherlich vehement ablehnen würden, es engt mit seiner Wortgeschichte viel zu sehr ein.
Bei solchem Willen zum gemeinsamen Arbeiten überrascht es deshalb auch kaum, daß sich die Zeichner für den Vertrieb ihrer Comics zu einem weiteren, größeren Kollektiv, der Treasure Fleet, zusammengeschlossen haben. Als solches sind sie im deutschsprachigen Raum hervorragend vernetzt und haben auch den Anschluß zu ähnlichen Kollektiven im Ausland gefunden. So haben etwa alle drei schon zu den renommierten Sammelbänden Nobrow beigetragen, einer comickünstlerischen Anthologie, die gerade im englischsprachigen Raum sehr angesehen ist.
Felix Giesa stellte im Spätsommer Till Hafenbrak per E-Mail ein paar Fragen zu dessen Arbeitsweise, seinem Comicverständnis und ähnlichem, die dieser teilweise im Kollektiv beantworten ließ.

COMIC!: Vielleicht kannst du erst einmal damit anfangen, dich vorzustellen, wer du bist und was du machst.

Till Hafenbrak: Mein Name ist Till Hafenbrak, ich bin Illustrator und lebe und arbeite in Berlin. Neben meiner selbständigen Tätigkeit als Illustrator bin ich Teil der Künstlergruppe Edition Biografiktion. Unter diesem Namen bringen Ana Albero, Paul Paetzel und ich seit 2008 im Eigenverlag selbstgestaltete Comic- und Illustrationsmagazine heraus.

COMIC!: Wie bist du zu den Comics gekommen?

Till Hafenbrak: Ich habe seit meiner Kindheit gerne Comics gelesen und hatte auch schon immer Freude am Zeichnen, war aber nie ein wirklicher Experte oder Comiczeichner. Im Studium an der Universität der Künste Berlin lernte ich dann Kommilitonen kennen, die sich sehr für Comics begeisterten und ihre eigenen Geschichten im kleinen Rahmen produzierten und veröffentlichten. So zeichnete ich einen Beitrag für ein selbstverlegtes Kurzcomic-Sammelheft. Ich hatte großen Spaß an der Entwicklung und Umsetzung und war begeistert, als die Idee aufkam, mit meinen Freunden und Kommilitonen Ana und Paul weitere Comics zu zeichnen und zu veröffentlichen.

COMIC!: Wie ist deine Ausbildung als Zeichner konkret abgelaufen?

Till Hafenbrak: An der Universität interessierte ich mich anfangs sehr für figürliches Zeichnen. Ich besuchte Aktzeichenkurse und ging nach der Uni mit einem Freund in die Abguß-Sammlung Antiker Plastiken Berlin, um dort zu zeichnen. In der Illustrationsklasse bei Professor Henning Wagenbreth hatte ich dann die Möglichkeit, mich in verschiedenen Projekten auszuprobieren. Dabei entstanden u. a. Comics, Plakate, Animationen und auch dreidimensionale Arbeiten. Ich lernte mit reduzierter und graphischer Bildsprache zu arbeiten. Ich nutzte vor allem die Druckwerkstätten der Uni, in denen ich unter anderem das Siebdruckverfahren kennenlernte. Die Arbeit für den Siebdruck prägte auch meinen Illustrationsstil und meinen Umgang mit Farben.
Ab 2008 entstanden dort auch die farbigen Seiten unserer Biografiktion-Hefte. Die Zusammenarbeit mit Ana und Paul hatte sicherlich auch großen Einfluß auf meine zeichnerische Entwicklung. Meine Abschlußarbeit 2009 war dann ein Buch, eine Bildergeschichte mit dem Titel «Professional Wrestling».

COMIC!: Du bist ein Drittel der Edition Biografiktion, wie habt ihr zusammengefunden, wie entstehen eure Comics?

Edition Biografiktion: Kennengelernt haben wir uns in der Illustrationsklasse des Studiengangs Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin. Wir waren schnell befreundet und hatten das gemeinsame Interesse, unsere Arbeiten zu veröffentlichen. Wir fanden auch, daß unsere Zeichenstile in einem gemeinsamen Heft harmonieren würden. Also probierten wir es einfach aus und planten gemeinsam unser erstes Heft: Biografiktion Reinhold Messner. Wir kamen gut miteinander zurecht und waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Also machten wir weiter. Wir sind sehr froh, daß die Zusammenarbeit zwischen uns so gut funktioniert, da das bei kreativer Arbeit nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Wenn wir für unsere Hefte arbeiten, stehen wir ständig miteinander im Kontakt. An jedem Entwurfsschritt lassen wir die anderen teilhaben. Die Gestaltung des Heftlayouts sowie die Arbeit bei der Produktion bewältigen wir gemeinsam.

COMIC!: Vor zwei Jahren gab es eine Strapazin-Nummer (99), in der einige Arbeiten aus französischen Mikro-Editionen vorgestellt wurden. Hervorgehoben wurde an diesen das buchbinderische Handwerk, dieses Betonen des Gegenständlichen, das natürlich auch einen Comic ausmachen kann. Im letzten Jahr hat Till D. Thomas den ICOM-Preis für die ‹Beste Eigenproduktion› erhalten. Im Interview für das COMIC!-Jahrbuch berichtet er von amerikanischen Kleinverlagen, die ihn in seiner Arbeit beeindruckt haben. Auch hierzulande kann man so eine Hinwendung zu selbstverlegten, anspruchsvoll gestalteten Comics beobachten. Ihr nehmt daran ja als Edition Biografiktion teil. Wie beurteilst du diese Entwicklung, daß sich neben Riesenverlagen und reinen Digitalverlagen das Buchhandwerk in solch einer künstlerischen Nische behauptet? Siehst du darin einen Widerspruch?

Till Hafenbrak: Ich denke, die Comickultur war immer auch eine Sammelkultur, bei der das Objekt eine große Rolle spielt. Ich erinnere mich noch, wie ich auf der Bereits-erschienen-Seite im «Lucky Luke»-Heft geschaut habe, welche Hefte ich schon habe und welche ich noch «brauche».
Ich denke, mit den Produktformen verhält es sich ähnlich wie bei der Musik. Denn trotz der noch weiter fortgeschrittenen Digitalisierung von Songs reicht es dem echten Liebhaber meist nicht, mp3s seiner Lieblingsbands zu haben, wenn es eine limitierte Vinylversion des Albums gibt. So wie das Klangerlebnis einer Schallplatte besonders ist, denke ich, ist es auch besonders, ein handgedrucktes limitiertes Farbcover eines Comics in den Händen zu halten.
Ich sehe nicht unbedingt einen Widerspruch in den verschiedenen Präsentationsformen, da je nach Absicht des Autors jede der Möglichkeiten angebracht sein kann. Die Entwicklung ist für mich auch kein Widerspruch, da ich denke, daß gerade beim Konsum von Massenprodukten ein Verlangen nach einem besonderen, individuelleren Objekt entstehen kann.

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