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COMIC!-JAHRBUCH 2013

Ausgezeichnet!
Ein neues Schweizer Comicmagazin


Von Tom Drexl


Im Sommer 2011 riefen die Herausgeber von Epidermophytie und Moga Mobo einen Wettbewerb unabhängiger Magazine zum Thema «Sinn des Lebens» aus – den «Comic-Clash». Elf der zwanzig teilnehmenden Hefte wurden eigens für den «Clash» gegründet, darunter Ausgezeichnet!. Das neue Comicmagazin der Schweizer Zeichner Beni Merk und Boris Zatko setzt den Schwerpunkt nicht nur auf Comics, sondern auf illustrierte Interviews und Künstlerporträts. Es soll auch über den Wettbewerb hinaus Bestand haben – und es hat Potential.
Den Sinn des Lebens zum Thema der ersten Ausgabe zu machen, zeugt von gesundem Selbstbewußtsein. Und auch der wenig bescheidene Titel hängt die Latte hoch. Was zunächst als schlichtes Kopierheft in schwarzweiß und bescheidener Auflage angedacht war, entwickelte sich schnell zu einer ambitionierten Form. Mit 80 Seiten im großzügigen Format 30 X 23 und mit einer Auflage von 1.500 Stück (dem Dreifachen der geforderten Auflagenhöhe) betritt hier ein Riese unter den Zwergen die Bühne. Beim «Comic-Clash» selbst räumte Ausgezeichnet! schließlich mit dem dritten Platz in der Gesamtwertung «Bronze» ab.
«Woher nehmen Sie bloß ihre Ideen?» Eine scheinbar unvermeidbare Standardfrage, die Comiczeichnern gestellt wird. Eine Frage, deren Beantwortung oft wenig über den Künstler und seine Arbeitsweise aussagt. Denn Ideen allein machen noch keine Story. Die individuelle Arbeitsweise beginnt, wenn die Ideen auf dem Tisch liegen. Mit den Interviews in Ausgezeichnet! wollen Merk und Zatko die ausgetretenen Pfade verlassen. Nicht die immer gleichen Fragen abzuspulen, sondern die Künstlerseele tiefer ausleuchten. Sie verstehen ihr Heft als Plattform für Künstler und Comicschaffende, wollen Platz bieten für «lange Gespräche, einen Austausch unter Gleichgesinnten, leidenschaftlich geführt, ausufernd und tief schürfend. Es geht weniger um die Beantwortung konkreter Fragen, als vielmehr um die Befriedigung gegenseitiger Neugierde, das Kennenlernen verschiedener Lebenseinstellungen», wie die Homepage des Projekts verrät. Ausgezeichnet! lädt handverlesene Künstler ein und präsentiert sie in Porträts und Interviews, die je nach Person und Thema formal variieren. Das geschieht mal als illustrierter Fließtext, mal in Form von Comics und Bildgeschichten. Das Ganze soll unterhalten und nicht «verbissen künstlerisch» daherkommen. Mit dieser Mischung will das Magazin im Idealfall auch Leser jenseits der überschaubaren Comicszene gewinnen und für das Medium interessieren.
Durch eine ungewöhnliche formale Umsetzung fällt in der ersten Ausgabe besonders ein Interview mit dem Züricher Illustrator und Grafiker Jerzovskaja auf. Das Frage-und Antwortspiel zwischen ihm und Boris Zatko wurde als Comic realisiert, indem Fragesteller und Interviewter sich Panels zusendeten. Über sechs Seiten unterhalten sich zwei Zeichner über das Unbewußte, Träume und über das universell Gültige und seine Darstellung im Comic. Hier kann das Medium Comic seine Stärken ausspielen und den verbalen Gedankenaustausch durch Bildfolgen bereichern und ergänzen.
Aber es sind auch ganz klassische Comics vertreten, wie Zatkos «Die Herausforderung», Merks «Fügungen», «Kurskorrektur» von Gerg oder die Kurzgeschichte von Michael Meier, der 2009 für sein Debüt «Die Menschenfabrik» mit einem Sondermann ausgezeichnet worden war.
Illustrative One-Pager-Cartoons von Claudio del Prinzipe und Patrick Widmer lockern die teilweise recht textlastigen Passagen auf. Um das ästhetische Gesamtkonzept nicht zu stören, wurden sämtliche Werbeanzeigen im Heft (teils als Comic) gezeichnet. Auf der Internetseite des Projekts ist die Veröffentlichung weiterer bereits geführter Interviews angekündigt. Auch im Netz will Ausgezeichnet! mit verschiedenen formalen Ansätzen, mit Video oder Audio spielen.
Obwohl Merk und Zatko den Zeichnern kein Honorar anbieten können, bekamen sie bei ihren Anfragen an die Künstler fast nur Zusagen. Und bei den Beiträgen handelt es sich keineswegs um «recycelte» Storys, es sind alles Erstveröffentlichungen. Auch die Macher selbst scheuten weder Arbeit noch Mühen: Für ein Interview mit Sascha Wüstefeld und Ulf S. Graupner über deren neues Comicprojekt «Das UPgrade» flogen die beiden Initiatoren nach Berlin. Neben den vielen mehrstündigen Gesprächen mit den Interviewpartnern mußten Ausstellungen in Basel und Winterthur organisiert und eine Präsenz auf dem Erlangener Comicsalon unterhalten werden. Das alles geht nicht ohne eine gehörige Portion Idealismus aller Beteiligter.
Vielfaches positives Feedback der Leser und eine gute Presse, die Merk und Zatko zuteil wurden, ist neben der Leidenschaft für die Sache selbst der Sprit, der sie das Projekt in die nächste Runde bringen läßt. Das Thema für die zweite Ausgabe steht bereits fest, wird aber von den Herausgebern noch nicht verraten. Geplanter Erscheinungstermin der Nummer zwei: das Comicfest München 2013.
Der Comic-Clash hatte zum Ziel, der deutschsprachigen Magazinszene neuen Schwung zu verleihen. Das ist zweifelsohne gelungen. Mal sehen, ob sich das Nebenprodukt Ausgezeichnet! mit seinen formalen und inhaltlichen Experimenten wird etablieren können. Es wäre es wert.

http://ausgezeichnet-magazin.ch

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Ausgezeichnet!
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