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COMIC!-JAHRBUCH 2013

Da wächst was!
Der aktuelle Stand der deutschsprachigen Independent-Manga-Szene


Von Anne M. Delseit


Der Manga ist mittlerweile aus unserer Comicszene nicht mehr wegzudenken – zu zahlreich und zu engagiert sind die zahlreichen Künstler, die Projekte für die großen Verlage produzieren. Und beinahe noch ambitionierter sind die noch zahlreicheren Independent-Künstler, die immer häufiger die Zeichneralleen und Künstlermärkte vieler Messen, Börsen und Conventions bevölkern. Ein Blick über den Manga-Markt auf der Leipziger Buchmesse und der Connichi 2012 verrät den Stand und die Vielseitigkeit der Szene: Vom ambitionierten Herzblutprojekt, vom unscheinbaren, zweckmäßigen A-5-Heftchen mit Klammerheftung und zeichnerisch noch deutlich amateurhaften ersten Gehversuchen bis hin zum redaktionell betreuten und in 1.000er-Auflage produzierten Taschenbuch mit Farbseiten ist alles dabei. Und insgesamt ist die Qualität gestiegen, es läßt sich nicht mehr pauschal sagen, die Indie-Szene wäre der Pool für Zeichner, die noch nicht gut genug für «mehr» sind. Kleinverlage, Zirkel und Einzelkämpfer versuchen, ihre Produkte an den Käufer zu bringen. Für jeden Geschmack ist etwas dabei, vom knallharten Splatter-Heft über das Erotikbändchen bis hin zur klassischen Schulmädchenromanze. Und zum jeweiligen Druck gibt es in der Regel auch das passende Merchandise – Buttons, Aufkleber, Kühlschrankmagnete, Lesezeichen, Poster und Tassen sind nur eine Auswahl an Möglichkeiten.


Ziel: Verlagsvertrag?

Noch vor wenigen Jahren gab es für den überwiegenden Teil der Zeichner nur ein Ziel: ein Verlagsvertrag bei Carlsen, Egmont oder Tokyopop. Zu Beginn der immer wieder auch als «Germanga» bezeichneten Eigenproduktionen von deutschsprachigen Zeichnern hieß es gar vereinzelt, ohne Verlagsvertrag sei man kein richtiger Manga-Zeichner. Selbstverlag war als Eitelkeit verpönt, als würde der Zeichner nicht einsehen, einfach noch nicht gut genug zu sein. Das hat sich glücklicherweise geändert, vielleicht auch, weil einerseits selbstverständlich nicht alle der vielen guten Zeichner einen Platz bei Verlagen finden und sich andererseits viele der «Großverlagszeichner» wie David Füleki weiterhin für die Independent-Szene starkmachen. Auf den Manga-Märkten zeigen sich immer mehr Hobby-Künstler, die ihre Werke drucken, weil sie Spaß an ihrer Passion haben und sie mit anderen teilen wollen – ohne das Hobby zum Beruf machen zu wollen. Das heißt aber nicht, daß nicht immer noch ein ganz erheblicher Teil auf einen «großen» Verlagsvertrag hinarbeitet. Aber die Bedingungen sind schwieriger geworden: Gab es im ersten Jahrzehnt des Millenniums noch zahlreiche Magazine, die Banzai! (2001–2005) und die Daisuki (2003–2012) bei Carlsen, Manga Power (1996–1997 und 2002–2004) und Manga Twister (2003–2006) bei Egmont, so fehlen diese seit der Einstellung der Daisuki im Juni diesen Jahres völlig. Mit ihnen ging für die Szene eine Testplattform für neue Talente verloren. Im Windschatten der japanischen Serien durften sich zu Beginn der Eigenproduktionen etwa Judith Park (u. a. «Dystopia»), Christina Plaka (u. a. «Younen Buzz») und DuO (u. a. «Indépendent») den Lesern präsentieren, zuletzt wurden Nadine Büttner («A Kiss from the Dark») und die Schweizerin Evelyne Bösch («Feed me Poison») auf diesem Weg bekannt. Auch die Wettbewerbe, die früher fast ein sicheres Sprungbrett zum Verlagsvertrag waren, sind seltener geworden und die Konkurrenz größer. Und selbst die Zahl der Anthologien schwindet: Tokyopops «Manga Fieber» wurde nach drei Bänden eingestellt, «Paper Theatre» des Verlags Schwarzer Turm nach sieben Bänden. Um sich heute bei den Verlagen zu profilieren, müssen die Zeichner neue Wege gehen – und ein eigenes Independent-Projekt, sei es gedruckt oder als Webcomic, beweist Produktivität und Kontinuität. An genau diesen zwei Merkmalen fehlte es so manchem Talent in den letzten Jahren: Viele Projekte wurden abgebrochen oder erschienen erst mit deutlicher Verspätung. Mit dem wachsenden Angebot – quantitativ wie qualitativ – sind die Verleger zu Recht wählerischer geworden. Daß der Weg über die «Indie-Schiene» gut funktioniert, zeigen etwa Tokyopops überarbeitete Neuauflagen von David Fülekis Werken wie «Blutrotkäppchen», «Entoman: Serial Sausage Slaughter» und «78 Tage auf der Straße des Hasses», die ursprünglich in Heftform bei Delfinium Prints erschienen. Inga Steinmetz’ «Alpha Girl» (Tokyopop) startete ursprünglich als Webcomic auf Animexx. Und der vermeintliche Newcomer Martin Geier («Nightmare Hunter Nemo», Tokyopop) machte sich in der Independent-Szene u. a. durch Arbeiten für das «Shounen Go Go!»-Magazin und den Verlag Delfinium Prints («Chicken King») einen Namen.


Akteure der deutschsprachigen
Independent-Manga-Szene

Der folgende Abschnitt soll einen groben Überblick über regelmäßige Vertreter der deutschsprachigen Independent-Manga-Szene bieten. Eine vollständige Darstellung ist leider nicht möglich, schon deshalb, weil die Szene nach wie vor hauptsächlich über die Plattform animexx. de agiert und die Künstler häufig nur über schwer zugängliche Profile verfügen.


Verlage

Mit viel Elan bieten diverse Kleinverlage den Zeichnern die Möglichkeit, erste Erfahrungen in Sachen professionelles Comic-Zeichnen zu sammeln. Die Arbeit zahlt sich nicht immer finanziell aus – sowohl für die Autoren als auch für die Verleger und Redakteure. Aber die Autoren haben Aussicht auf redaktionelle Betreuung und ihnen bleiben in der Regel die Druckkosten und der Vertriebsaufwand erspart.

Verlag Butter and Cream
Der Berliner Verlag mischt seit 2006 in der Szene mit und ist das Zuhause von Fahr Sindram und ihrer aktuell zweibändigen Manga-Serie «Losing Neverland». Nachdem es nach dem Kinderbuch «Puka & Spooks» in den letzten Monaten ein bißchen still um Projekte wie Julia Schlax’ «Memento Mori» und Fahr Sindrams «Cave Canem» geworden ist, erschien zur Frankfurter Buchmesse das «Losing Neverland Storybook».
butter-and-cream.com

Comicwerk und Comic-Culture-Verlag
Das Berliner Comicwerk und der Comic-Culture-Verlag sind in der Manga-Szene vor allem mit Marika Herzog und ihrer Fantasy-Manga-Serie «Grimoire» verknüpft, die kommendes Jahr mit dem vierten Band abgeschlossen wird. Auf der Connichi präsentierte der Verlag jetzt eine neue Serie: «Nachtläufer», ein Vampir-Manga von Katharina Kirsch. Redaktionell betrachtet läßt sich an «Grimoire» die Entwicklung des Qualitätsanspruchs der Manga-Szene bei Independent-Verlags-Produkten ablesen: So merkt man den ersten Bänden eine weniger gründliche redaktionelle Betreuung noch deutlich an, im aktuellen dritten Band bekommt die Handlung ein ganz neues, flüssigeres Tempo. Es bleibt mit Spannung zu erwarten, welchem Projekt sich Marika Herzog mit ihren jetzt gereiften Fähigkeiten widmen wird.
comic-culture-verlag.de
comicwerk.de

Cursed Side
Entstanden 2010 aus der Fusion der Boys-Love-orientierten Verlage The Wild Side und Cursed Publishings, veröffentlicht Cursed Side aktuell verstärkt Boys-Love- bzw. Gay-Romance-Romane, die sich an das Manga-Publikum richten. Im September erschien etwa «Koch zum Frühstück», das von Rona Cole geschrieben und von der Independent-Künstlerin Lancha illustriert wurde.
cursed-side.de

Delfinium Prints
Der Independent-Verlag aus Krumhermersdorf ist das Zuhause von David Füleki und nach eigener Aussage der Verlag «fürs Grobe und Schöne». Aber Delfinium Prints ist mehr als nur David Füleki, dessen Serien wie «78 Tage auf der Straße des Hasses» zunächst bei Delfinium Prints als Hefte erschienen und zurzeit bei Tokyopop in überarbeiteter Fassung neu aufgelegt werden. Wie das Magazin «Shounen Go Go!» (siehe dort) fördert der Verlag vor allem Zeichner des Shounen- und Action-Genres und hat ein besonderes Auge für ungewöhnliche, skurrile Stoffe, die nach einem Independent-Verlag schreien. So ist der mit dem Max-und-Moritz-Publikumspreis ausgezeichnete Vampir-Manga «Grablicht» von Daniela Winkler jetzt bei Delfinium Prints wieder verfügbar. Zu den weiteren Talenten des Verlags gehört Marcel «Hugi» Hugenschütt, der bereits mit Heften wie «Die traurige Geschichte vom Elefanten, der so gerne Fleisch aß» und seinem aktuellen Taschenbuch «Go in and Win» von sich hören macht.
delfinium-prints.de

Experienze Verlag
Unter dem Dach des Experienze Verlags entstanden etwa «Holy Blasphemy» von Jasmin Klier und Sophie Kaldinski, ProtoTypes Hentai-Serie «Böse Mädchen» sowie Nicole Hofmanns Erotik-Manga «Osiris». Ob der Verlag noch existiert, ließ sich nicht ermitteln. Die Webseite www.experienze.com ist jedenfalls zurzeit nicht mehr zu erreichen. Die Autorinnen von «Holy Blasphemy» hatten sich nach Veröffentlichung des ersten Bandes von dem Verlag getrennt und arbeiten nun auf eigene Faust an der Fortsetzung.
Leseprobe «Holy Blasphemy»: desu.de/dj_36106
Leseprobe «Osiris»: desu.de/dj_33740
«Böse Mädchen»: desu.de/dj_12113

Fireangels Verlag
Als der Boys-Love-Boom 2004 hierzulande noch in den Kinderschuhen steckte, entschied sich Myriam D. Engelbrecht, zunächst einen Verein und dann einen Verlag zu gründen, um dem Genres Boys Love und Girls Love und den zahlreichen Zeichnern, die in diesen Genres publizieren wollten, eine Plattform zu bieten. In den Anthologien «Lime Law» (zwei Bände, 2006–2007) und «Lemon Law» (aktuell fünf Bände, seit 2007) erscheinen Fortsetzungsgeschichten und Kurzgeschichten – unter der Beteiligung von Künstlern aus der ganzen Welt. So war der Fireangels Verlag eine Wiege für spätere Großverlags-Künstler wie Martina Peters (u.a. «Lilientod», Carlsen), Nina Nowacki («Guns and Swords», Droemer-Knaur) und Diana Liesaus («Musouka», Egmont) und fördert weiterhin ambitionierte Independent-Autoren wie SlippedDee («China Blue») und MaRlicious («Emerald Rising»).
fireangels.net


Irrlicht-Verlag
Unter dem Banner des Irrlicht-Verlags verlegt die Zeichnerin Safaia-Millenion («Atlantis FT») vor allem sich selbst. In der Boys-Love-Anthologie «Kureijí» erscheint neben «Atlantis FT» auch «Incubus Desaster» aus der Feder von ScreenDragon. Daneben zählt auch Tanja «Alekto» Curth zu den Zeichnern des Verlags.
irrlicht-verlag.lima-city.de

Verlag Jurgeit, Krismann & Nobst/JNK Media
Das Magazin COMIX von JNK Media enthält seit Ende letzten Jahres nun auch eine feste Manga-Strecke – in japanischer Leserichtung von rechts oben nach links unten. Neben einem teilweisen Vorabdruck von Christina Plakas fünftem «Younen Buzz» (Tokyopop), wurden auch schon Kurzgeschichten aus der Feder von David Füleki und die Gewinner des letzten MangaMagie-Wettbewerbs veröffentlicht. Im September startete der Vorabdruck von «Lieben$wert». Der Manga von Sami06 erscheint dann im Dezember als Taschenbuch beim Verlag Schwarzer Turm.
comixene.de

Verlag Schwarzer Turm
Insbesondere durch das Taschenbuchmagazin «Paper Theatre» und der vielseitigen «Turm Spezial»-Reihe (u.a. mit «Blütenträume» und «Es war keinmal») gab der Verlag Schwarzer Turm der jungen Manga-Szene mehr als nur eine Veröffentlichungsmöglichkeit. Unter den vielen Zeichnern, die beim Turm verlegt wurden, finden sich spätere Großverlagszeichner wie Natalie Wormsbecher, Anne Pätzke und Anna Hollmann. Das Erotik-Magazin «Hungry Hearts», herausgegeben von Beatrice Beckmann, erscheint – ebenfalls im Taschenbuchformat – weiterhin, zur Connichi ist der sechste Band erschienen. In jüngerer Zeit, nach Einstellung von «Paper Theatre», beweist Verleger Michael «Mille» Möller erneut Pioniergeist und bringt mit Titeln wie Kamineos «Beware of the Dog» und «Alpha2» in der Reihe «Yaoi Hearts» klappenbroschierte A5-Manga mit 64 Seiten für einen angemessenen Preis von sieben Euro heraus.
schwarzerturm.de

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2013
Links zum Artikel

Verlag Butter and Cream
Comicwerk
Comic-Culture-Verlag
Cursed Side
Delfinium Prints
Experienze Verlag
Leseprobe «Holy Blasphemy»
Leseprobe «Osiris»
Leseprobe: «Böse Mädchen»
Fireangels Verlag
Irrlicht-Verlag
Verlag Jurgeit, Krismann & Nobst/JNK Media
Verlag Schwarzer Turm

Animexx e. V.
Manga Mix
A Story to Tell
Baito Oh!
crow13
Elf
FuguNami
Lancha
Mullana
Isabell Ristow
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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2012
240Seiten, davon 34 redaktionelle Farbseiten
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