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COMIC!-JAHRBUCH 2012

Grimmiger Humor
Das 18. Internationale Trickfilmfestival Stuttgart

Von Burkhard Ihme


Erstmals seit Jochen Kuhn 1998 mit seinem Film «Neulich 1» den Preis der Landeshauptstadt Stuttgart erhielt, gewann wieder eine Produktion aus Deutschland einen der Hauptpreise (diesmal sogar DEN Hauptpreis, denn seit 2007 gibt es nur noch einen, der dabei von seinerzeit 15.000 DM auf nun 15.000 € aufgestockt wurde): «The External World» von David O’Reilly wurde mit dem Grand Prix, dem Großen Animationsfilmpreis des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart ausgezeichnet.
Und dieser erste Film des Internationalen Wettbewerbs (auch in der Programm-Reihenfolge) ist fürwahr ein merkwürdiger Film, zwischen kaltem Aquarium-Flair und «Tom und Jerry Chainsaw Massacre»-Grausamkeiten angesiedelt. Wer lachen will, geht nicht unbedingt zum Stuttgarter Trickfilmfestival – oder hat einen sehr grimmigen Humor. Denn auch einer der komischsten Filmes des Wettbewerbs, die schwedisch-chinesische Koproduktion «The Mighty Hunter», spielt mit dem Schrecken oder besser gesagt mit einem Jagdgewehr, allerdings ohne dabei gefestigten Gemütern Alpträume zu bereiten. Dazu sind eher der stille spanische Film «Birdboy» über die Folgen eines Industrieunfalls, «The Origin of Creatures» aus den Niederlanden (krabbelnde Hände, die Spinnenphobiker kaum schlafen lassen) oder die Zerstörung New Yorks und sogar der ganzen Erde durch aus alten Computerspielen entwichenen 8Bit-Wesen in «Pixels» von Patrick Jean (Frankreich 2010) geeignet. Nicht alle Monster sind so friedlich wie das aus «Monstre sacré» (Jean-Claude Rozek, Frankreich 2010), nur im Film freunden sich der Weihnachtsmann und der Osterhase an («Preferably Blue» von Alan Dickson, Australien 2010); in der Wirklichkeit gibt es das Ghetto von Krakau («Overnight Stay» von Daniela Sherer, USA 2009), die Ermordung von 30.000 Hunden 1910 in Konstantinopel («Chienne d‘Histoire» von Serge Avédikian, Frankreich 2010) und die kindermordenden Zwillinge der Sunset Street («Les Besones del Carrer de Ponent» von Marc Riba und Anna Solanas, Spanien 2010). Aber natürlich auch die Hand Gottes («Hand of God» von Rune und Erik Eriksson, Norwegen 2010).
Auch der mit Foto-Cutouts der Schauspieler Oliver Korittke und Brigitte Zeh animierte Film «Hard Stuff» von Sebastian Peterson (Deutschland 2010) hat sich der Wirklichkeit verschrieben: der harten Berufswelt der Volksmusikanten Gitti und Hansi, der aber lieber ein Rockmusiker sein möchte. Und auch «Things You‘d Better Not Mix Up» (Joost Lieuwma, Niederlande 2010) stellt sich der harten Wahrheit: Speiseeis und Kettensägen sollte man nicht verwechseln, und Großmütter gehören nicht in den Müll.
Positiver dem Leben gegenüber stehen da zweifellos die Macher der Filme «Swimming Pool» (Alexandra Hetmerowa, Tschechien 2010) – ein poetischer Kurzfilm über die nächtliche Begegnung zweier Außenseiter im städtischen Schwimmbad – und «The Lost Thing» (Shaun Tan und Andre Ruhemann, Australien 2010), im Februar mit dem Academy Award für den besten animierten Kurzfilm ausgezeichnet, der die tröstliche Botschaft verbreitet, daß es auch für verlorene Dinge einen angemessenen Platz gibt, auch wenn er schwer zu finden ist.
Der Grafitti-Künstler Blu, der vor zwei Jahren mit dem Film «Muto» den internationalen Wettbewerb gewann, hatte diesmal mit «Big Bang Big Boom» einen Film am Start, der sogar ein Thema hatte: die Evolution. Doch notgedrungen schlechte Animationen auf dafür nicht freigegebenen Häuserwänden sind über die produktionstechnische Neuerung hinaus nicht sonderlich aufregend. Eigentlich könnte man auch das über den Film «Videogioco – A Loop Experiment» sagen, der aus bekannten Versatzstücken trotzdem keine wirkliche Geschichte erzählt, aber irgendwie sind diese Minimalanimationen auf zusammengeklebten Zetteln erfrischend anders und neu und bei einer Länge von 1:30 Minuten auch niemals langweilig.
Den Lotte-Reiniger-Preis für den besten Abschlußfilm gewann «The Boy Who Wanted to Be a Lion» von Alois di Leo (Großbritannien 2010). Der Film erzählt die Geschichte eines gehörlosen Jungen, der bei einem Zoobesuch seine Liebe für die große Raubkatze entdeckt und sich schließlich in einem Löwenkostüm in das Gehege schleicht. Für diesen Preis waren acht Filme des Wettbewerbs nominiert, drei davon ebenfalls für den Lena-Weiss-Animationspreis für Menschlichkeit im Trickfilm (und sechs wurden auch im Studentenprogramm Young Animation gezeigt). Der für beide Preise nominierte Film «A Lost and Found Box of Human Sensation» von Martin Wallner und Stefan Leuchtenberg beeindruckt vor allem durch seine Grafik, als Sprecher der Produktion der Hochschule Augsburg konnten Joseph Fiennes und Ian McKellen gewonnen werden.
Der Lena-Weiss-Preis wurde erstmals vergeben, und neu war auch das Prozedere und zudem recht ungewöhnlich: Jeder Besucher der Website des Sponsors hatte die Möglichkeit, sich als Jury-Mitglied zu bewerben. Die besten sechs Bewerber erlebten das Trickfilmfestival zwei Tage lang hautnah: In einem Workshop am 7. Mai wurde die Arbeit des Jury-Teams erläutert. Im Anschluß wurden zwei Bewerber in das fünfköpfige Jury-Team gewählt. Who watches the Watchmen: Wer da unter Anwendung welcher Kriterien die Juroren wählte, wurde nicht kommuniziert. Zumindest ein großer Aufwand, um letztendlich den Preisträger («Der Wechselbalg» von Maria Steinmetz, Deutschland 2011) aus lediglich fünf nominierten Kurzfilmen mit einer Gesamtlänge von 56:26 Minuten zu ermitteln. Insgesamt wurden beim ITFS 2011 15 Preise in einer Gesamthöhe von 67.000 € vergeben.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
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