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COMIC!-JAHRBUCH 2012

Bester Independent Comic:
«Die Toten» von Christopher Tauber und Stefan Dinter (Herausgeber)

Von Felix Giesa


Zombies, das gehört zur popkulturellen Allgemeinbildung, sind nur durch das Zerstören ihres Gehirns endgültig auszuschalten. Ansonsten haben sie die Eigenheit, sehr langlebig zu sein. Nach dem von George A. Romero eingeleiteten Zombie-Hype der 1970er und 80er Jahre wurde es etwas still um die ‹laufenden Toten›, aber sie waren nicht tot. Der endgültige Kopfschuß blieb aus. Eine längere Durststrecke ‹überlebten› sie in Computerspielen wie «Resident Evil» (1996), um dann wieder erfolgreich in modernen Klassikern wie «28 Days later» (2002) in Szene gesetzt zu werden. Am Comic ging das untote Treiben nicht spurlos vorbei und mit «The Walking Dead» (2003) läuft seit einigen Jahren eine der erfolgreichsten Indie-Serien auf dem US-amerikanischen Comicmarkt, die als Fernsehserie ebenfalls eine gute Figur macht. Und seither sind Zombies in allen medialen Bereichen so lebendig, wie ihnen das überhaupt möglich ist. Überraschenderweise spielen fast alle diese Geschichten im anglophonen Sprachraum, wenn nicht gleich in Amerika – der Rest der Welt scheint von der Plage verschont. Das fand man beim Zwerchfell Verlag nicht wirklich gerecht und so entschlossen sich Stefan Dinter und Christopher Tauber, einen deutschen Zombie-Comic zu machen. «Die Toten» sind eine gelungene Mischung aus klassischem Zombie-Horror und nationaler Gesellschafts- und Milieustudie. Bisher zwei Bände mit je drei Kurzgeschichten sowie einige Specials liegen mittlerweile vor, und das deutschsprachige Publikum scheint nur auf diese Serie gewartet zu haben. Band 1 wurde ein Verkaufsschlager, so man das im Indie-Comicbereich so nennen darf, und als Anerkennung des Erfolges erhielt die Serie auf dem Münchner Comicfestival den ICOM Independent Comicpreis als Bester Independent Comic.

Anfang September sprach Felix Giesa mit Stefan Dinter und Christopher Tauber über ihr untotes Comic-Baby, Zombietraditionalismus, schlechte Zombiefilme (im Unterschied zu guten Zombiefilmen), das Comickleinverlegertum, den späten Erfolg mit «Die Toten» und deren leichenduftumhüllte Zukunft.

COMIC: Wie auch bei einem Buch beginne ich das Interview mit einer Frage nach den Covern der «Die Toten»-Reihe. Diese fallen einem ja direkt auf und unterscheiden sich auch deutlich von üblichen Genre-Covern. Wie ist die Motivfindung gelaufen? War es von vornherein klar, daß ihr deutsche Uniformträger zombifizieren wollt?

Stefan Dinter: Das war einer der Punkte, bei dem wir schon in der Konzeptionsphase sofort einig waren. Der Polizist ist sogar schon auf dem Cover unseres Gesamtkonzepts abgebildet – allerdings noch von mir gezeichnet, lange nicht so cool wie Ingo Römlings fertiges Cover. Wir wollten eine sehr klare Covergestaltung. Einerseits durch den einfarbigen Background, der dann je nach Zeitzyklus andersfarbig sein wird; andererseits durch ein Motiv, das sofort klarstellt: Diese Storys geschehen hier. Bei uns. In Deutschland.

COMIC: Warum deutsche Uniformträger? Also dient das nur der weiteren Verortung im nationalen Kontext oder geht’s euch da schon auch um Gesellschaftskritik?

Christopher Tauber: Naja, wenn ein Postbote wie ein Zombie schlurft, dann ist das ja eher Kritik an einem Unternehmen, als an der Gesellschaft.

Stefan Dinter: (lacht) Genau – das mit den Uniformen sollte wirklich mehr der Klarheit dienen. Den olivgrünen deutschen Polizisten erkennt man halt gleich. Mit ’nem UPS-Mann hätten wir etwas zu international ausgesehen. Für die späteren Zyklen wird sich das Ganze dann sowieso mehr zu Mittelalter-meets-«Mad-Max»s-Charakteren verschieben, denke ich.

COMIC: Das Zombie-Genre ist ja nicht unbedingt neu, und auch in Comics sind Zombies keine Unbekannten. Was war der Anlaß für «Die Toten»? Und wo liegen eure eigenen Einflüsse im Horror- und speziell im Zombie-Bereich?

Stefan Dinter: Wir haben bei den unregelmäßigen Comiczeichnertreffen in Stuttgart – zu der Zeit, als Christopher noch hier gewohnt hat – schon gerne und ausgiebig über Zombiefilme und -comics geredet. Und natürlich weiß man da immer alles besser (lacht). Ich bin großer Fan von George Romeros Filmen, quasi Zombietraditionalist. Mir gefällt, daß die Zombies bei ihm hauptsächlich Katalysatoren des Beziehungshorrors der Überlebenden sind. Splatter ist natürlich auch mal okay. Irgendwann meinte Christopher, nur besserwissen wär’s jetzt auch nicht, wir sollten uns hinsetzen und ein Konzept für eine Comicreihe schreiben. Mit «unseren» Zombies, nach unseren Regeln ...

Christopher Tauber: ... die haben wir bei irischem Bier und englischen Chips dann auch in einer legendären Nacht festgehalten. Ich glaube, was uns daran gereizt hat, war vor allem die Vorstellung: Wie sieht das in dem Land, in dem wir leben, tatsächlich aus, wenn auf einmal eine neue Spezies auf den Plan tritt und unseren menschlichen Fortschritt aufhält. Was wird für Überlebende dieser Katastrophe hier wirklich von Relevanz sein. Dieses Gedankenspiel ist natürlich vor der eigenen Haustür um Längen interessanter und greifbarer, die Gedanken, die man sich dazu macht, sind weit weniger fantastisch, als man annehmen könnte. Wie war noch mal die Frage? Ach so, ja ... die Einflüsse. Für mich auch Romero, speziell Zombies im Kaufhaus, diese unautorisierte Schnittfassung von «Dawn of the Dead». Das hat irgendwie meinen Blick auf Zombies zementiert. Aber in der Zeit waren solche Filme, ungeschnitten und beschlagnahmt, auch noch schwer zu bekommen und ich glaube, in dieser ewigen Gralssuche nach Filmen wie «Texas Chainsaw Massacre» und auch üblem Italo-Horror, die ich in meiner Jugend durchgemacht habe, liegt irgendwo der Grund für mein Interesse an Horror begraben.

COMIC: Den Zeitpunkt für den Beginn der Serie finde ich auch sehr gut und auch eher unüblich. Klassischerweise hat man ja den Ausbruch der Seuche zuerst oder es ist schon längere Zeit vergangen. Auf dem diesjährigen Fantasy Film Fest wurde «Viva Berlin!», ein Abschlußprojekt von Filmstudenten, als erste wahre deutsche Genreproduktion gepriesen. Filmästhetisch mag diese Einschätzung ja noch angehen, aber die inhaltliche Anlage hinkt meines Erachtens doch sehr: Die Seuche bricht halt nur in Berlin aus und man dämmt sie ein – indem man erneut eine Mauer hochzieht und diese mit scharfschießenden Wachen besetzt, die Bevölkerung wird schlicht belogen. Die Zombies dienen hier also, um deine Worte zu verwenden, Stefan, als Katalysatoren dafür, nachzuzeichnen, wie aus einem demokratischen Staat ganz schnell ein diktatorisches System wird. Das finde ich, die Parallelen zur aktuellen Krise sind ja mehr als offensichtlich, sehr dick aufgetragen und halte es im Angesicht einer Zombieapokalypse für eher unwahrscheinlich. Was meint ihr?

Stefan Dinter: Ja, na ja, wenn man die Zombies auf eine einzige Stadt beschränkt, geht so eine Sicht vielleicht. Ich hab den Film noch nicht gesehen, kann dazu direkt also nichts sagen. Was sicher stimmt, ist, daß Zombies sich als Monster anbieten, wenn man im weitesten Sinne gesellschaftskritische Ansätze verfolgt. Weil man sie nicht romantisieren kann, wie zum Beispiel Vampire oder Werwölfe. Weil sie der Negativentwurf zum «normalen» Menschen sind. Und weil eben nur sehr wenige Menschen übrigbleiben und man mit diesen kleinen Gesellschaften sehr gut seine Theorien und Storyideen in die Tat umsetzen kann. Das mit der Mauer um Berlin wäre mir jetzt auch zu platt, also, sollte einer unserer Autoren mit dieser Idee kommen. Aber wir haben sehr verschiedene Autoren und damit sehr verschiedene Ansätze, von sehr straighter, «zombietraditionalistischer» Struktur wie die Geschichte von Yann Krehl und Michael Vogt in Band 1, bis zu Tilman Raus Skizze einer nachapokalyptischen Gesellschaft, die Benjamin Höllrigl zeichnerisch umgesetzt hat (Special 2, Preview auf Band 3). Dadurch können wir verschiedene Aspekte des Überlebens dokumentieren, ich denke, das hält die gesamte Geschichte ausgewogen. Von den Filmen, die ich in letzter Zeit gesehen habe, war «Stake Land» am ehesten so dokumentarisch angelegt und hatte diese verschiedenen Episoden von Überlebenden – ohne dabei ein Episodenfilm zu sein.

Christopher Tauber: Von «Viva Berlin!» habe ich nur eine Episode in der Midnight Madness beim Fantasy Filmfest gesehen. Das netteste, was ich sagen kann, ist, daß das Make-Up gut war und die Auswahl eines Liedes von Ryan Goslings sehr charmantem Musikprojekt Dead Man’s Bones zumindest gepaßt hat. Nee, also da hat mir «Rammbock» besser gefallen. Wo für mich halt so ein Szenario aufhört, ist die Annahme, daß noch irgendwas funktionieren kann. Allein die Reaktion, eine Mauer aufzubauen in so kurzer Zeit, ist in Deutschland doch purer Blödsinn. Versuch hier mal eine Gartenhütte genehmigt zu bekommen. Da werden dann wieder «coole» Ideen einer durchdachten Geschehnisabfolge gegenüber bevorzugt, und das hat man halt oft genug gehabt. Abgesehen davon, ist die Idee halt nicht cool. So.

Stefan Dinter: Ja, «Rammbock» fand ich auch sehr fein.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
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