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COMIC!-JAHRBUCH 2012

Man fährt vorerst mehrgleisig
Der «Comic Report» 2011

Von Andreas Alt


Im Comicjournalismus wird weiter nach dem Stein der Weisen gesucht. Im Mai haben Volker Hamann (REDDITION) und der bisherige Rezensent Matthias Hofmann (www.splashpages.de) in der Überzeugung, daß ein solches Sekundärwerk bisher gefehlt hat, den «Comic Report» 2011 auf den Markt gebracht. Was ist das für ein Magazin, und welche Lücke soll es füllen?
Die Broschüre im handlichen Comic-book-Format bietet auf 144 Seiten eine Menge Informationen. Das läßt sich schon auf den ersten Blick unschwer feststellen. Eingeteilt ist der «Comic Report» in vier große Rubriken: Dossier, Events und Jubiläen, Entwicklungen und einen Marktreport. Dabei sehen die Macher die Publikation als Jahrbuch; abgesehen vom Dossier (das aus Anlaß der vor kurzem bei Ehapa gestarteten «Jerry Spring»-Gesamtausgabe dem einflußreichen belgischen Zeichner Jijé gewidmet ist und sehr an die umfangreichen Analysen der REDDITION erinnert) wird versucht, eine Bilanz des Jahres 2010 zu ziehen.
Ereignisse in der Comicszene, mit denen sich die CR-Autoren unter dem Titel «Events» beschäftigen, sind neben dem Comicsalon und dem ersten Gratis Comic Tag 2010 auch Jubiläen des Verlags comicplus+, des Magazins STRAPAZIN und des Sammlervereins INCOS. Unter «Entwicklungen» findet der Leser unter anderem eine kritische Betrachtung des Marketingphänomens Graphic Novel, des Webcomics «Wormworld» und von Comicverfilmungen, die im vergangenen Jahr im Kino liefen.
Immerhin etwa 60 Seiten nehmen die Marktanalysen ein, wobei die Schnittlinien entlang der Genres und Vertriebskanäle verlaufen: Manga, Superheldencomics, Sonstige – und dann Buchhandel und Comicläden (mit dem Fachhandel will die Redaktion besser ins Gespräch kommen; der Zugang zum Pressegrosso wird noch aufgebaut). Ausländische Comicmärkte sind weitgehend ausgeblendet – es geht laut Magazintitel um den «deutschsprachigen Comicmarkt». Den Abschluß bilden eine Betrachtung der Aktivitäten der einzelnen Verlage wie Carlsen, Panini oder Salleck mit Stimmen der Verlags- oder Programmleiter und in winziger Schrift eine Auflistung aller Comic-Neuerscheinungen 2010.
Das einleitende Dossier und die bekannteste Jijé-Figur Jerry Spring auf dem Cover lassen an die Herkunft von der REDDITION denken, aber Hamann widerspricht: Geistiger Vater des «Comic Report» ist nach seinen Worten Matthias Hofmann, der ursprünglich aus der Science-Fiction-Fanszene kommt und in den letzten Jahren begonnen hat, für spashcomics Rezensionen zu schreiben. Beim Comicsalon gewann er Hamann für seine Idee, ein Fachmagazin mit besonderem Blick auf den Comicmarkt zu gründen. Das Konzept ist nach Hamanns Worten offen. Ihm ist bewußt, daß vermutlich mehrjährige Arbeit nötig ist – die genaue Beobachtung von Markttendenzen, Veränderungen in Verlagsprogrammen, Entwicklungen bei Verlagen und Handel –, bis man ein «wirklich transparentes und verläßliches Bild der Szene» erhält.
Allerdings betritt der «Comic Report» keineswegs Neuland. Pionierarbeit haben seit Mitte der 70er Jahre vor allem Hartmut Becker und Andreas C. Knigge mit ihrem Fanzine COMIXENE geleistet, das sich schnell zum ersten ernsthaften Comic-Fachmagazin in Deutschland mauserte. Noch etwas früher erschien «Comics – Anatomie eines Massenmediums» von Wolfgang J. Fuchs und Reinhold Reitberger, ein Standardwerk vorrangig über Comics als Kunstform, aber auch als Marktprodukt, das wissenschaftlichen Ansprüchen genügte. Knigge gab dann von 1986 bis 1991 das «Comic Jahrbuch» (bei Ullstein und später Carlsen) heraus, das mit ähnlichem Konzept von Joachim Kaps als «Comic Almanach» fortgesetzt wurde (ComicPress 1992 und 1993) und zugleich diesem COMIC! Jahrbuch des ICOM (das allerdings eine deutlich andere Zielsetzung hat) als Anregung diente. Das COMIC! Jahrbuch liefert schon seit 11 Jahren fundierte Marktanalysen, und zwar auch ausländischer Comicmärkte. Eine große Anstrengung, den damals boomenden Comicheft-Markt ökonomisch zu beleuchten, unternahm in den 90er Jahren Martin Jurgeit mit HIT-COMICS. Daneben gab und gibt es eine große Anzahl weiterer Sekundärliteratur und seit einigen Jahren zudem eine Riege von Fachautoren, die in Zeitungen und Zeitschriften über Sprechblasenliteratur schreiben.
Es gibt Fans, die ihre Comicleidenschaft aufarbeiten, Sammler, die sich über ihre Sammelgebiete austauschen, und Händler oder Verlagsmitarbeiter, die das Renommee der Comics heben und für sie werben wollen. Es gibt auch professionelle Autoren und Journalisten, die nebenbei Rezensionen oder wirtschaftlich orientierte Artikel über Comics verfassen. Was es aber nicht gibt, ist eine Fachpublikation, die sich wirtschaftlich trägt und es Autoren ermöglicht, sich hauptberuflich mit Comics zu befassen, etwa als angestellte Redakteure. Das liegt freilich nicht daran, daß noch niemand auf die Idee gekommen ist, etwas wie das «Börsenblatt für den deutschen Buchhandel» auf die Beine zu stellen, sondern daß der Comicmarkt zu klein ist, um ein solches Unternehmen zu finanzieren. Es fehlen dafür sowohl die Werbekunden als auch die Leser. Die CR-Startauflage ist laut Hamann mit 2.000 Exemplaren großzügig gestaltet worden. Das ist für ein Comic-Fachmagazin viel, aber doch viel zu wenig.
Man hat für den Anfang mit einem sehr günstigen Coverpreis von 9,95 € kalkuliert. Ein möglichst großer Kundenkreis soll die Broschüre «einfach mal mitnehmen» und sich den CR auch zu einem höheren Preis im kommenden Jahr wieder zuzulegen. Aus diesem Grund ist auch der jedem Leser klassischer frankobelgischer Comics bekannte Westernheld Jerry Spring aufs Cover gekommen.
Hamann und Hofmann sind sich augenscheinlich über die Richtung ihres Jahrbuchs selbst noch nicht ganz klar. Das Jijé-Dossier spricht einen ganz anderen Leserkreis an als etwa Georg F. W. Tempels Beitrag «Manga in Deutschland. Eine Geschichte der Mißverständnisse». Man versucht einen Spagat zwischen dem an Auflagen und Verkaufszahlen interessierten Fachpublikum und an Inhalten orientierten Kultur- und Comicfreunden. Daß die 25 beteiligten Autoren unterschiedlich schreiben, ist unvermeidlich. Dieser Kreis habe sich ergeben, sagt Hamann. Er ist daran interessiert, daß sie längerfristig «ein gutes Abbild der Szene widerspiegeln».
Und in einer anderen Hinsicht hat man sich noch nicht richtig festgelegt: Zur Promotion des neuen Magazins wurde eine Internetpräsenz aufgebaut. Aus ihr hat sich, nach Aussage der Macher, ein Nachrichtenportal entwickelt, in dem inzwischen täglich ein bis drei Texte neu veröffentlicht werden. Die Redaktion verrät zwar nicht, wie viele Besucher die Seite hat, ist aber stolz darauf, daß mehr als die Hälfte von ihnen sich hier mehrmals pro Woche umsieht. Parallel hat sich ein Diskussionsforum unter dem Dach des comicforums etabliert, das rege genutzt wird, um etwa Themen des Comichandels zu besprechen.
Der Handel soll überhaupt vom «Comic Report» genauer betrachtet werden. Die Fachhändler seien sehr interessiert, mehr als bisher zu Wort zu kommen. Umgekehrt ist von den Comicläden vielleicht noch besser als von den Verlagen zu erfahren, welche Comics beim Leser ankommen, nach welchen Kriterien er einkauft und wie sich die Vorlieben ändern. Ursprünglich seien die meisten Comichändler Fans gewesen, sagt Hamann dazu, und viele von ihnen seien seit den 80er Jahren auf der Strecke geblieben – das sei auch ein Grund, warum sich Fachautoren nur in geringem Maß an sie gewandt hätten. Diejenigen, die überlebten, hätten sich inzwischen professionalisiert und hätten daher auch weniger Vorbehalte, über ihre wirtschaftliche Lage zu sprechen. Ähnliches gelte für einige Buchhändler, die bekanntlich über die Manga und neuerdings über die Graphic Novels mit dem Comicgeschäft näher in Kontakt gekommen sind.
Sollte der «Comic Report» dieses Feld erschließen, so würde er tatsächlich einen wertvollen Beitrag zur Information in der und über die Comicszene leisten.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
EUR 15,25
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