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COMIC!-JAHRBUCH 2012

Der Comic im Kopf
Interview zu Blog und Buchprojekt mit Frank Spong Plein

Von Burkhard Ihme


COMIC!: Du hast 2009 den ICOM Independent Comic Preis in der Kategorie «Herausragendes Szenario» für «Tara oder Der Marterpfahl, der Leben heißt» bekommen. Ich will jetzt nicht fragen, ob das dein Leben verändert hat, aber geht man mit einem anderen Selbstbewußtsein an das nächste Projekt oder mit größeren Zweifeln («Nicht groß genug», wie John Irving in «The Hotel New Hampshire» Lilly Berry in ihrem Abschiedsbrief schreiben läßt)?

Spong: Oh, es HAT mein Leben verändert.
Es wird wohl generell unterschätzt, was für einen Preis man in Deutschland zahlt, wenn man Graphic Novels machen möchte. Die allermeisten längeren Geschichten sind Abschlußarbeiten für Kunsthochschulen, und in vielen Fällen sind das auch die längsten Geschichten, die diese Zeichner jemals machen werden. Ansonsten sind Comicromane das, was du in der Zeit machst, die dir nach Abzug von Job, Beziehungen, Freundschaften, Haushalt und Erholung noch bleibt. In meinem Fall habe habe ich sieben Monate an «Tara» gesessen und jeden anderen Aspekt meines Lebens vernachlässigt oder komplett verwahrlosen lassen. Ich hatte einen mittelschweren Burnout nach «Tara», und wußte aufrichtig nicht, ob ich überhaupt noch einmal Comics machen würde. Da war der Preis eine großartige Bestätigung und Ermutigung.
Ich habe aus «Tara» enorm viel gelernt, mein Stil hat für mein Empfinden einen Riesensprung nach vorne gemacht, und ich habe unzählige neue Anregungen und Sichtweisen bekommen. Ich bin jetzt ein besserer Erzähler und ein besserer Zeichner. Die beste Erfahrung an «Tara», abgesehen von dem Preis, war, daß ich in der Lage war, ein derartiges Projekt zu stemmen und zu beenden. Ein weiteres John Irving-Zitat: Man wächst nur, indem man eine Sache zum Abschluß bringt.

COMIC!: Du hast Ralf König dein großes Vorbild genannt, was man bei der Betrachtung deiner Zeichnungen auch gerne glaubt. War und ist er als Autor noch wichtiger für dich?

Spong: Am wichtigsten ist er für mich als Mensch, wobei man bei Ralf den Autor und den Mensch nicht trennen kann. Die größte Inspiration für mich ist die Konsequenz, Ehrlichkeit und Integrität, mit der er sein Leben lebt und die man auch in seinen Geschichten findet. Seine Comics sind ehrliche Bücher um echte Menschen, die von Liebe, Glück und Tod handeln. Kein «Das wollen die Leute lesen»-Scheiß. Er ist in vielerlei Hinsicht der mutigste Mensch, den ich kenne.
Abgesehen davon ist er ein vollkommener Maestro im Timing von Szenen, und das Storytelling war auch der Schwerpunkt des Unterrichts bei ihm. Er schaute sich meine gescribbelten Seitenabläufe an und sagte ganz instinktiv «Hier muß noch ein Panel hin», «Verteil die Sätze auf zwei Sprechblasen». Er ist ein geborener Erzähler mit einem schlafwandlerischen Gespür für Rhythmus. Meine Stil entwickelt sich in eine andere Richtung, aber was das Takten einer Geschichte betrifft werde ich nie aufhören, von ihm zu lernen.

COMIC!: Du unterrichtest seit 2007 an der Comicademy das Fach «Szenario». Wie hat man sich so eine Lehrstunde vorzustellen?

Spong: Das ist sehr schwer generell zu sagen, weil ich jedes Thema – Figurenentwicklung, Plot, Inszenierung – jeweils anders angehe, so wie das Thema es verlangt. In der Regel beginne ich mit allgemeiner Theorie, beim Plotting zum Beispiel mit Strukturtheorien von Aristoteles bis Hollywood. Danach analysieren und besprechen wir praktische Beispiele in Comics, Literatur und Filmen, die wir kennen. Danach kommt mein liebster Teil, die Übungen und praktischen Umsetzungen. Ich versuche, diesen Teil so spielerisch wie möglich zu gestalten. Ich teile z. B. Fotos von Tieren oder Gesichtern aus, auf deren Basis wir uns Charaktere ausdenken. Oder wir nehmen das Gerüst eines Plots und bekleiden es neu. Eine Beziehungskomödie wird zum Fantasyabenteuer. Oder zum Krimi. Ich hatte Schüler, die die großartigsten Charaktere aus dem Hut zaubern konnten. Oder endlos viele originelle Plotwendungen im Kopf hatten. Wenn die Chemie stimmt, inspirieren wir uns gegenseitig und erreichen diesen genialen Zustand, den man als Kind beim Spielen hat, wenn man Zeit und Raum um sich herum vergißt und sich komplett in seiner Vorstellungskraft verliert.
Einen Aspekt, den ich in meiner nächsten Unterrichtsreihe verstärkt einbringen werde, ist Zeitmanagement und Organisation einer Geschichte.
Abgesehen vom allgemeinen Unterricht ist es für mich auch sehr wichtig, daß ich viele Einzelgespräche mit den Schülern habe. Jeder hat seine eigenen Stärken und Schwächen, Vorlieben und Abneigungen, und wenn ich einem Schüler helfen konnte, seine Stimme und seine Richtung zu finden, ist das die befriedigendste Erfahrung, die man als Lehrer machen kann.

COMIC!: Über das Schreiben von Drehbüchern gibt es meterweise Literatur, über Akte, Setup, Plot Point, Zentraler Punkt. Sind diese Herstellungsanleitungen auch auf Comics anwendbar? Auch auf Graphic Novels, die sich in ihrer Struktur ja eher am Roman orientieren?

Spong: Ich beschreibe diese Plot-Konzepte, und ich diskutiere sie. Ich finde es wichtig, daß man sich mit Plotstrukturen auskennt, damit man sich seine eigene Landkarte für die eigene Story schreiben kann. Aus künstlerischer Sicht sind manche dieser Ansätze allerdings extrem starr und formelhaft: Eine Geschichte «muß» drei Akte und soundso viele Plot Points und Turningpoints haben. Wenn man als junger Autor erstmal mit Regeln und Terminologie bombardiert wird, ist das nur entmutigend und frustrierend. Storytelling soll Spaß machen und inspirieren und sich nicht anfühlen wie eine Fahrprüfung.
Es mag sein, daß solche Strukturmuster für manche Filme Sinn machen, immerhin muß man ja auf möglichst effiziente Weise mit der Aufmerksamkeit des ausgelieferten Zuschauers umgehen. Aber im Comic haben wir alle Freiheiten der Welt, und im Idealfall findet die Geschichte von selbst ihren Ton, ihren Rhythmus und ihre Struktur. Aber es hilft sehr, wenn man diese Struktur sehen und auf sie hinarbeiten kann.
Wirklich interessant finde ich, was diesen Konzepten zugrundeliegt, denn da liegt die Verbindung zwischen den erzählten und ganz ursächlichen Prinzipien und Wahrheiten des Lebens. Die Dreiaktstruktur geht auf Aristoteles zurück, von dem wir bis heute noch sehr viel lernen können, und die «Reise des Helden», die Campbell und Vogler ausformuliert haben, beruht auf Prinzipien, die sich in den Mythen aller möglicher Völker finden, die Jahrtausende alt sind. Diese Prinzipien sind sehr offen und sehr universell. Syd Field sagt, eine Geschichte braucht drei Akte. Aristoteles sagt, eine Geschichte braucht einen Anfang, eine Mitte und einen Schluß. Da bin ich eher im Boot mit Aristoteles.
Ich werde im Buch auch sehr ausführlich auf die Prinzipien und Konzepte von Kurzgeschichten eingehen, denn die Realität von 99 % der Comiczeichner in Deutschland ist nicht die Graphic Novel mit 100+ Seiten. Die Realität sind kurze Geschichte von drei bis vierzig Seiten.

COMIC!: Seit November 2010 betreibst du zusammen mit Markus Hockenbrink das Blog «Der Comic im Kopf – Erzählen in der Neunten Kunst». Was war die Intention, und was bringt jeder von euch ein?

Spong: Den Blog und das Textliche im Buch betreibe ich komplett alleine. Bei der Umsetzung im Buch wird mir Markus bei den Illustrationen zur Seite stehen und mich zurückpfeifen, wenn ich zu sehr ins Dozieren verfalle. Markus ist ein fantastischer, sehr routinierter Comiczeichner, und ich freue mich, daß seine Arbeit durch das Buch etwas bekannter wird.
Intentionen für den Blog gibt es mehrere. Erstmal ist der Blog für mich eine Art Skizzenblock für das spätere Buch. Außerdem kann ich weitaus mehr abschweifen und interessante Anekdoten einbringen, wenn ich denke, daß das Sinn macht. Der Blog schafft hoffentlich Aufmerksamkeit und Interesse am Buchprojekt, und durch das Feedback bisher habe ich auch einige Einsichten gewonnen, was Comicautoren sich in einem solchen Buch wünschen würden. Darauf kann ich dann im Buch besser eingehen.
Und zuguterletzt möchte ich eine Ressource für Comic-Storytelling im Internet schaffen, die auch da ist, wenn aus dem Buch, aus welchem Grund auch immer, nichts werden sollte. Die Idee und die Inhalte des Buches sind wichtiger als ich. Ich würde mich natürlich freuen, wenn das Buch kommerziell erfolgreich würde und/oder mir weitere Möglichkeiten eröffnen würde. Aber wenn das alles nicht passiert, ist am Ende immer noch DER COMIC IM KOPF als Blog da, der immer frei verfügbar und kostenlos sein wird.

COMIC!: Wie wird sich die geplante Buchausgabe vom Blog unterscheiden?

Spong: Den Blog schreibe ich oft schnell runter. Die Texte im Buch werden weitaus konzentrierter und auf dem Punkt sein, und es werden sehr viel mehr praktische Beispiele und Umsetzungen aus Comics angeführt. In einem Kapitel wird komplett, Schritt für Schritt, der Weg vom Skript einer Szene zur visuellen Umsetzung vollzogen, mit vielen Beispielen, welche anderen Umsetzungen möglich wären und welchen Effekt sie hätten. Außerdem wird das Buch einen ausführlichen Übungsteil enthalten.

COMIC!: Es gibt sehr unterschiedliche Herangehensweisen an das Schreiben von Geschichten, je nachdem ob der Autor auch Zeichner ist oder nicht (und auch die Ergebnisse werden unterschiedlich ausfallen, wenn man für sich selber schreibt). Sind die Übungen auch auf die verschiedenen Typen und Voraussetzungen der Autoren ausgerichtet? 

Spong: Tatsächlich geht jeder Comiczeichner oder -Autor seine Geschichten auf ganz eigene Weise an. Wenn man David Mack, Jason und Alan Moore fragen würde, bekäme man wahrscheinlich drei komplett unterschiedliche Herangehensweisen. Die Übungen gehen daher nie ins konzeptionelle. Es sind eher spielerische Ideen auf der Seiten- oder Panelebene, wie das visuelle Umsetzen kürzerer Textpassagen oder die Entwickung eines Charakters aus einem Gesicht oder umgekehrt.
Was das Konzeptionelle betrifft, werde ich verschiedene Ansätze darstellen und noch sieben weitere Zeichner und Autoren zu Wort kommen lassen. So hat man genug Anhaltspunkte für den eigenen Weg zur Story.

COMIC!: Wann wird «Der Comic im Kopf» erscheinen?

Spong: Ab Oktober lege ich alles andere erstmal auf Eis und widme mich ausschließlich dem Buch. Wenn nichts unvorhergesehenes dazwischenkommt, sollte «Der Comic im Kopf» im März in Druck gehen und zu Erlangen 2012 erscheinen.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
EUR 15,25
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