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COMIC!-JAHRBUCH 2012

Im Schatten von Erika Fuchs
Comicübersetzer in Deutschland

Von Waldemar Kesler


Die Übersetzer von Comics gehorchen anderen Gesetzen als die Übersetzer anderer Textsorten. Das Comic!-Jahrbuch sprach mit einigen von ihnen über ihre Tätigkeit, die Arbeitsbedingungen und ihr Verhältnis zum Comic.
Wenn man in Deutschland über Comic-Übersetzungen spricht, spricht man eigentlich immer nur über die Verdienste von Erika Fuchs. Das ist kein Wunder: Durch ihr über vierzigjähriges Schaffen im Ehapa-Verlag zählen ihre Übersetzungen zu den meistgelesenen im deutschsprachigen Raum. Und welcher Übersetzer darf sich schon mit einer Auszeichnung wie dem Heimito-von-Doderer-Preis schmücken, den Erika Fuchs 2001 für ihren Beitrag zur Entwicklung der deutschen Sprache erhielt? Darüber geraten die Leistungen heutiger Comic-Übersetzer aus dem Blick, die unter deutlich schwereren Bedingungen arbeiten. Erika Fuchs hatte die Gelegenheit, dem Comic-Universum Entenhausen einen eigenen Sprachkosmos zu verpassen. Da sie 1951 die erste Chefredakteurin bei Ehapa geworden war, konnte sie sich einige Freiheiten erlauben, die Übersetzern sonst nicht zu Gebote stehen: Sie wich vom amerikanischen Urtext ab, wenn ihr ein Wort oder eine Wortschöpfung lieb waren. Die Übersetzungen von Erika Fuchs sind Nachdichtungen im besten Sinne. Sie vermengt virtuos Hochliteratur und Alltagssprache, läßt Pathos und Dialekt lustig aneinanderkrachen.
Comic-Übersetzer müssen heute von Auftrag zu Auftrag ganz verschiedene Genres bearbeiten und den Ton der jeweiligen Genres finden, also deren sprachliche Standards bedienen. Wenn sie persönliche Comic-Geschichten übersetzen, müssen sie einen deutschen Sprachduktus finden, der dem individuellen Sprachgebrauch der Vorlage entspricht. Obwohl es Erika Fuchs generell wichtig war, die Sprachebenen beizubehalten, die Carl Barks seinen Figuren in den Mund gelegt hatte, ging sie gerne über den Auftrag eines Übersetzers hinaus und kümmerte sich bisweilen ausschließlich um den Klang und den Rhythmus der deutschen Wörter. Ihr Mann Günter, der seit 1973 Honorarprofessor der Technischen Universität München war, half Erika Fuchs manchmal, wenn sie für Daniel Düsentrieb das Vokabular für technische Erklärungen brauchte. Während er sich wie ein redlicher Übersetzer darum bemühte, dem Original gemäß den Wahnsinn als Methode darzustellen, wollte sie den Entenhausener Erfinder anders akzentuieren: «Was er [Günter Fuchs] real und vernünftig macht, verwurschtle ich wieder, damit es ein bißchen verrückt wird.» Man kann eigentlich sagen, daß Erika Fuchs eigentlich gar nicht als Übersetzerin verehrt wird, sondern als Hüterin der deutschen Sprache und klangliche Sprachartistin. Konservativere Leser mögen den spielerischen Umgang mit Schillers geflügelten Worten schätzen, die sie oft dort einsetzte, wo Carl Barks Shakespeare zitiert hatte. Ihr Gefühl für den Klang von Wörtern hat Tausenden von jungen Lesern der Micky Maus-Hefte beim Lesen Freude an der deutschen Sprache vermittelt. Da im Detail danach zu fragen, wie angemessen nun diese oder jene Formulierung im Vergleich zum amerikanischen Original ist, wäre Erbsenzählerei. Niemand stört sich daran, daß aus einer Statue von George Washington eine Statue vom Turnvater Jahn wird und aus einem Hamburger ein Obsttörtchen. Für Erika Fuchs gelten nicht immer die gleichen Kriterien wie sonst für Übersetzer.
Das Handwerk des Übersetzers ist es, soweit wie möglich alles in seine Sprache zu übertragen, was sich im Ausgangstext findet: Gags, Wortspiele, Informationen, das Sprachniveau oder klangliche Muster. Da man zwischen den Sprachen schnell auf Grenzen stößt, muß manches ersetzt werden. In diesem Fall geht es dann darum, daß die Sprechblasen auf Deutsch funktionieren und beim Lesen einen ähnlichen Gesamteindruck hinterlassen. Eben dieser Eindruck geht bei Erika Fuchs manchmal ganz eigene Wege. Wenn Dagobert in der Geschichte «Wiedersehn mit Klondike» über seine große Liebe spricht, sagt er: «She was spangled and flashy, and her heart was as hard as the ice on the tundra… the only live one I ever knew.» In der Übersetzung gehen zwei Dimensionen verloren: «Sie war schön wie eine Moosrose, aber ihr Herz war kalt wie Eis… wie das Eis auf dem Yukon.» Amerikanische Leser können die Adjektive «spangled» (etwa: «mit Flitter übersät») und «flashy» («auffallend», «glitzernd», oder auch «schrill») mit dem Glitzern der Münzen in Dagoberts Geldspeicher assoziieren – durch den Gang der Erzählung auch dadurch unterstützt, daß die besagte Frau sich von Dagobert Geld geliehen hatte. Und der zweite Satz, den Erika Fuchs ohne die Not fehlenden Sprechblasenplatzes wegließ, verleiht dem ersten eine ganz andere Bedeutung: Dagoberts Liebe war ein emotionsloses Ding, sie war wie er. Und deswegen kommt ausgerechnet sie ihm als Einzige lebendig vor. Das ist der Gag in der Sprechblase, den Erika Fuchs unter den Tisch fallen läßt. Bei Barks unterscheidet sich der Gefühlshaushalt Dagoberts ebenso wie sein Vermögen von unsereinem. Bei Erika Fuchs sind ihm romantische Anwandlungen nicht fremd. Die Vokalklänge in «Moosrose» und «Yukon» tauchen die Szenerie in dunkle Schwermut, die Dagobert ob der Erinnerung an die Verflossene packt.
In der Geschichte «Das Hypnotisierspiel» fügt sie dem Panel eine Pointe hinzu, die im Original nicht zu finden ist. Sie läßt einen offensichtlich unleidlicheren Zeitgenossen mit spitz hervorragenden Zähnen und einem massiven Unterkiefer sagen: «Jaja, werter Herr, wenn unsereins studiert, dann hat er was davon!» Dabei schmeißt er Dagobert das Buch «100 Wege im Verkehr mit Schuldeneintreibern» an den Kopf. Auf Amerikanisch heißt es: «After readin‘ that book, I hate billl collectors! Scram!» Wo sie bei der verflossenen Liebe einen lustigen Kontrast wegließ, fügte sie hier einen hinzu: Der Bildungspathos kommt aus dem Mund eines Krawallbruders.


Entenhausen als deutsches Kulturgut

Solch verfälschende Eingriffe in die Vorlage fallen nicht so sehr ins Gewicht, weil Erika Fuchs ihr Übersetzungsprogramm von vornherein weniger als getreuen Texttransfer definierte, sondern (in den Grenzen der Barks‘schen Geschichten) als Spiel mit den Bausteinen, die sie aus dem Fundus der deutschen Sprache herausfischte. Welchem Leser der Fuchs’schen Texte ist es nicht so ergangen, daß er voller Wiederhörensfreude schon einmal einem der vielen regionalen Wörter begegnete, die sie in die Entenhausener Geschichten eingeflochten hatte? Ihre Leser haben es ihr zu verdanken, daß sie Worte wie «blümerant» oder «betuppt» kennen, obwohl sie gar nicht in der Sprachgemeinde aufgewachsen sind oder gelebt haben, in der die Wörter benutzt werden. Und wer erinnert sich nicht daran, daß nach einer besonders lustigen Duck-Geschichte auf dem Spielplatz alle damit anfingen, sich als «Knilch» zu beschimpfen, obwohl das Wort vorher noch nie die Runde gemacht hatte. Ob sie nun im Alltag genau hingehört hatte oder ob sie sich bei Klassikern wie Wilhelm Busch bediente, von dem sie das Lautwort «Klickeradoms» entliehen hatte: Die Möglichkeit, die Bilder sprachlich auszumalen, wog schwerer als die Verpflichtung, dem Original treu zu bleiben. Dadurch sind ihre Übersetzungen natürlich von einer Originalität gezeichnet, an die kein texttreuer Übersetzer heranreicht.
Bei einem Aspekt seiner Arbeit wird jeder Übersetzer von Comics Erika Fuchs im Hinterkopf haben: der lautmalerischen Sprache des berühmten «Erikativs». (Nicht-Comicleser sprechen vom «Inflektiv».) Im «Wörterbuch der Verhaltensbiologie» wird Erika Fuchs sogar unter dem Stichwort «Onomatopoietikon» als die Urheberin der meisten deutschen Neuschöpfungen erwähnt. Ihr den Inflektiv auf die Fahne zu schreiben, ist allerdings ein wenig zu viel der Ehre. Sicherlich kann man sagen, daß es ihr und vor allem der Popularität der Geschichten aus Entenhausen zu verdanken ist, daß er in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist. Erika Fuchs hat diese Verbbeugung nicht erfunden, sie wurde bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert von Übersetzern eingeführt, die Texte aus dem Englischen ins Deutsche übertrugen. Wer genau der erste war, ist leider nicht bekannt. Das Konzept des Inflektivs beruht auf den englischen Infinitiven. Im Deutschen werden die Wortendungen weggelassen («mampf» anstatt mampfen), wodurch es sich anhört wie ein Imperativ ohne Befehlsfunktion. Erika Fuchs nutzte die Inflektive von Anfang an in ihren Übersetzungen von Disney-Comics, um den lautmalerischen Charakter der Verben hervorzuheben. Heute sind sie nach wie vor State of the Art der Lautsprache in Comics.
Daß Donaldisten wie Patrick Bahners und Andreas Platthaus inzwischen das FAZ-Feuilleton besetzt haben und ihre Artikel und Überschriften mit Fuchs’schen Kleinodien schmücken, dürfte den Personenkult um Erika Fuchs befeuert haben. Ihr immenser Erfolg überstrahlt unglücklicherweise die Meriten gegenwärtiger Übersetzer. Die Verbreitung der Micky Maus-Hefte bescherte ihr natürlich eine Aufmerksamkeit, die kein Getöse um Graphic Novels wettmachen kann, da mag die Übersetzung noch so virtuos gelungen sein. Durch ihren Status erlaubte ihr der Verlag, ihre Übersetzungen für folgende Auflagen zu überarbeiten. Das kam den Texten natürlich oftmals sehr zugute, ist aber nicht mehr mit den Arbeitsbedingungen heutiger Übersetzer zu vergleichen. Für die mag man sich wünschen, daß die Manie, alles über die Arbeit von Erika Fuchs zu erfahren, ein wenig öffentliche Neugierde für das eigene Schaffen hervorkitzeln könnte.
Das Credo des im Juli dieses Jahres verstorbenen Übersetzers Kai Wilksen war: «Einer guten Übersetzung merkt man nicht an, daß sie eine Übersetzung ist.» Damit brachte er ein Berufsethos zum Ausdruck, das sich sehr davon unterscheidet, wie Erika Fuchs arbeitete, die Entenhausen zu einem deutschen Kulturgut machte. Ohne Folge für die Wahrnehmung von Leistungen wie seiner konnte das allerdings nicht bleiben: Selbst als beim Comicsalon Erlangen der von Kai Wilksen übersetzte «Pinocchio» von Winshluss mit dem Max-und- Moritz-Preis ausgezeichnet wurde und der Moderator während der Verleihung die Leistung des Übersetzers hervorhob, verschwieg er den Namen. Aber nicht nur durch den unterschiedlichen Ansatz unterscheidet sich Erika Fuchs von heutigen Übersetzern: Sie schätzte Comics als Medium nicht übermäßig. Von ihr ist der Satz überliefert: «Ich lese freiwillig keine Comics. Wenn ich lese, will ich keine Bilder sehen.» Daß ihr Worte näher als Bilder standen, erklärt vielleicht auch, daß sie so manche Text-Bild-Schere billigend in Kauf genommen hat. Gegenwärtige Übersetzer von Comics sind oftmals als Liebhaber des Mediums zu ihrem Beruf gelangt und sind dem grafischen Anteil gegenüber bisweilen sensibler.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
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