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COMIC!-JAHRBUCH 2012

«Leichte Allergie gegen Blödheit»
Ein Interview mit Schwarwel

Von Nana Wallraff


Eigentlich muß man ihn nicht vorstellen. Thomas Meitsch (43) alias Schwarwel, oder Tommy Schwarwel, ist längst bekannt: als Erfinder des borstig-frechen «Schweinevogels», als Hauszeichner der besten Band der Welt, von 1996 bis 2006 als Mitherausgeber und Chefredakteur der Extrem Erfolgreich Enterprises (EEE).

COMIC!: Unser diesjähriger Schwerpunkt sind Comics aus dem Teil unseres Landes, der früher einmal «Deutsche Demokratische Republik» hieß. Dazu die erste Frage: Wann und was waren deine ersten Comic-Berührungen? Und wer deine ersten Idole?

Schwarwel: Die ersten Comics brachte mir mein Onkel Steffen mit, als ich 7 und er 11 Jahre alt war. Es waren drei Hefte «Familie Feuerstein» (die deutschen mit den dicken Pappcovern) und ein Heft Gespenstergeschichten mit einer Werwolf-Story drin. Davor hatte ich zwar schon meine Digedags-Sammlung – aber das waren Bildergeschichten, also zählen die nicht. Diese ersten Comics haben mich echt geflasht, und so hatte mein Onkel etwas, das er mir als Dauerbrenner immer aufstocken konnte. Die nächsten Hefte waren MV Comix (sowas magazinmäßiges wie Zack) mit Asterix drin, Yps (zerfleddert und ohne Gimmick) und – TUUUSCH! – «Der erstaunliche Hulk» Nr. 1. Spätestens bei «Hulk» war es um mich geschehen. Dieser Charakter mit seinem Jekyll/Hyde-Problem war und ist einer meiner Lieblingshelden. Daß mir im ersten deutschen Heft die Russen als die Bösen vorgestellt wurden, hat sicher auch seinen Eindruck auf meiner Jungpionier-Seele hinterlassen. Das Heft hat mich verdorben, und Stan Lee und Jack Kirby haben entscheidenden Einfluß auf meine Menschwerdung.

COMIC!: Wie bist du dann zum Zeichnen gekommen?

Schwarwel: Laaahme Frage. Gezeichnet habe ich schon immer. Am liebsten Piratenschlachten, Ritterschlachten, Indianerschlachten, Römerschlachten, Wikingerschlachten und niedliche Tiere. Durch meinen relativ frühen Kontakt mit dem Medium Comic versuchte ich schon in sehr jungen Jahren, das Zeichnen als Mittel zum Zwecke des Geschichtenerzählens zu nutzen. War in einer polytechnischen DDR-Schule nicht das, was man im Kunstunterricht am liebsten sah, aber mit meinen Lehrern hatte ich wohl Glück, auch wenn ich so manchen Comic an den Giftschrank des Direktoriums verlor.
Meine Eltern brachten mich zu jedem Zeichenkurs, den man in jungen Jahren mitnehmen konnte. Vom Leipziger Zoo übers «Haus der jungen Pioniere» bis zum «Klub der Kosmonauten» war da alles dabei.

COMIC!: Du hast dann Comicstrips in der Leipziger Untergrundzeitung Messitsch veröffentlicht – sicherlich nicht ohne Risiko. Was hat dich angetrieben?

Schwarwel: Über irgendein Risiko haben wir beim Machen der Messitsch (so eine Art Ostzonen-Spex) eigentlich nie nachgedacht. Wenn uns jemand anpissen will, wird er das schon tun. Angetrieben hat mich da genau wie heute das Machen als solches. Das Tun.
Daneben gab es für mich nicht den «offiziellen» Weg in den «Verband der Karikaturisten», da man dafür ein Kunststudium vorweisen mußte. Da ich aber auf Grund meiner Betragenszensur gar nicht erst für die Erweiterte Oberschule und damit zum Abi zugelassen wurde, um dann ein Studium zu machen ... Egal, heute arbeite ich auch als Karikaturist. Wenn man es will, schafft man‘s also auch.

COMIC!: Welchen Weg bist du dann gegangen?

Schwarwel: Da ich nach der Schule etwas lernen mußte, schleppte mich meine Mutter am letztmöglichen Tag zu einer Baubude um die Ecke, und ich hatte die freie Wahl zwischen Maurer, Zimmermann oder Dachdecker. Da Jesus Christus Zimmermann war und Erich Honecker Dachdecker, entschied ich mich für den Beruf des Dachdeckers. Am letzten Tag der Lehre habe ich meine Kündigung abgegeben und meinen Resturlaub genommen.
Danach war ich ab und an in Lohn und Brot, weil mein Vater es nicht ertrug, daß ich mein Leben anders leben wollte (also so lange ich noch im Haushalt meiner Eltern verankert war). Ich war Essenausträger bei der Volksolidarität und später als ewiger Praktikant ohne Berufsperspektive (fehlendes Stuuudium!) bei den Theatermalern an den Theaterwerkstätten, die für Oper, Schauspielhaus und Musikalische Kömodie die Kulissen herstellten. Sehr hilfreich, das alles! Hauptamtlich habe ich währenddessen mein Leben zwischen Zeichenabendkursen an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, meiner Band «The Tishvaisings» und meiner Bodybuilding-Trainingsgruppe aufgeteilt. Naja, und Szenetreffpunkte und Frauen gabs ja auch noch ...
Mit der Wende gab‘s da einen Riß. Danach war ich zwar von jetzt auf gleich freier Grafiker und Illustrator (und Musiker), aber sich in dem neuen System zurechtzufinden hat ein Weilchen gedauert ... einen Wessi verstehe ich bis heute nicht. Und da bilden meine Westcousins auch keine Ausnahme, obwohl sie auch in künstlerisch-handwerklichen Berufen tätig sind (Schauspieler und Kirchenrestaurator).

COMIC!: Im System der DDR war keine eigenständige Jugendkultur vorgesehen, und doch war es die junge Generation, die maßgeblich am Umbruch beteiligt war. Wie hast du Jugend in der DDR kurz vor der Wende erlebt?

Schwarwel: Meine Jugend in der DDR war herrlich. Nicht rückblickend durch die rosarote Brille, sondern einfach die reinen Fakten. Ich wundere mich immer über die westlich geprägte Darstellung der letzten Jahre der DDR, wo der Unrechtsstaat beschworen wird, in dem die Hälfte der Leute wegen Staatsfeindlichkeit in Röntgental im Stasi-Knast hungert, während die andere Hälfte als informeller Mitarbeiter den ganzen Tag seine Umgebung beim Abschnittsbevollmächtigten ankreidet. So ein Quatsch.
Ja, es gab Stasi, IMs, den Schießbefehl und die Mauer. Na und? Es gab auch Gegenkultur und genug Ecken und Nischen, wo jede Menge Leben stattfand. Und Werte (innere, nicht Geld und Besitz) waren ungleich mehr wert in einer Gesellschaft, in der der Große Bruder Wache hält. «1984» und «Die Farm der Tiere» von George Orwell waren kein theoretisches Geschwafel, über das ein paar Randgruppen-Sponti-Studenten beim Kiffen gelabert haben. Diese Bücher waren für mich ein Abgleich mit der Welt, in der ich lebte. Aber es waren eben Bücher, die mit Dramatisierung arbeiten. Die Grautöne, in denen das wahre Leben stattfindet, stehen da nicht drin.
Wegen meiner politischen, nur unsauber verschleierten Liedtexte ist meine Band nur einmal bei der offiziellen Band-Einstufung angeraunzt worden. Ich solle «vorsichtiger» sein. Hab ich nicht drauf gehört. Bin trotzdem noch hier. Und unsere Band hatte trotzdem die «Mittelstufe» erhalten, was ziemlich gut war. Die Einstufung bzw. sogenannte «Spielerlaubnis» mußte jede Ostband durchmachen, um in den Jugendklubs oder im FDGB-Heim (Gewerkschaft) bzw. überhaupt öffentlich auftreten zu dürfen. In aller Regel gab‘s bei der ersten Einstufung grundsätzlich nur die «Grundstufe», mit der man für ’n Appel undn Ei auftreten durfte. Daß «The Tishvaisings» eine Stufe höher errang, war beinahe sensationell und bedeutete vor allem, daß wir ein paar mehr Ostmark für unsere Auftritte bekommen durften – die Gagen wurden ja staatlich geregelt, was mir im Nachhinen gar nicht so blöd vorkommt, wenn ich daran denke, was wir mit «Born Cool» 15 Jahre später für lächerliche Gagen bekamen und wie aufstrebende Bands ganz allgemein verheizt werden, damit sie sich später auch wieder an den aufstrebenden Bands rächen können, sollten sie die Stufen zum Olymp allen Widernissen zum Trotz errungen haben. Klingt wie «Selbsterziehung in der Truppe» ... 

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
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