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COMIC!-JAHRBUCH 2011

«Geschichten mit niedlichen Tieren sind die Spitzenreiter»
Interview mit Jörg Peter

Von Thees Carstens

COMIC!: Du hast Kommunikations-Design an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule in Nürnberg studiert. Welche drei Inhalte, die du dort gelernt hast, sind auch heute noch wichtig für deine Arbeit als Zeichner?

Jörg Peter: Das Designstudium an der Nürnberger FH war zu der Zeit nicht gerade ein Förderprogramm für Comiczeichner. Ich hatte eher das Gefühl, daß viele meiner Kommilitonen es für eine Verschwendung meines Talents hielten, daß ich Comics zeichnete. Als eine Art Trotzreaktion versuchte ich für den Rest des Studiums, jede irgendwie dafür geeignete Aufgabe als Comic-Illustration umzusetzen, was ich inzwischen etwas bereue, weil ich im Studium ja mal was anderes als Comics – nichts anderes zeichne ich nämlich seitdem – hätte ausprobieren können. Die für Illustration zuständigen Professoren hatten nur einen blassen Schimmer von Comics, einer kannte nicht einmal die Peanuts – für die Begleitung meiner Diplomarbeit, die natürlich ein Comic war, habe ich dann den anderen genommen. Der kannte immerhin Asterix und lag mit mir ständig im Clinch darüber, ob meine Hauptfigur ein Asterix-Plagiat sei, weil sie wie der Gallier eine dicke Knollennase hatte; daß es zig andere Comicfiguren mit solchen Nasen gibt, wußte er eben nicht.
Heute noch nützlich für meine Arbeit als Zeichner sind sicherlich die Anatomie-Kenntnisse aus den Aktzeichenstunden. Nützlich und manchmal auch hinderlich, weil es mir schwerfällt, die richtige Anatomie zu vergessen, um sehr cartoonhafte und stark überzeichnete Figuren zu entwerfen.
Viel über das Erarbeiten einer Comic-Story habe ich nach dem Studium beim Erlangener Comiczeichner-Seminar 1995 gelernt. Für mich neu und hilfreich war die Methode, die Geschichte erst Bild für Bild einfach fortzuschreiben und sie dann, wenn sie ganz fertig ist, auf die Seiten zu verteilen. So habe ich jahrelang die Szenarios für die Mister-Kläx-Comics erstellt. Irgendwann hast du dann ja das Schreiben der Kläx-Comics übernommen und mir beigebracht, die Geschichte vom Ende her zu entwickeln und gleich auf den Seiten zu planen. So ist es z. B. auch möglich, am Ende einer Seite Spannung aufzubauen, um den «Abgrund des Umblätterns» zu überwinden und nicht aus dem Lesefluß zu geraten. Eine Methode, die Alan Moore in einem Text über das Schreiben von Comics beschrieben hat und die z. B. Goscinny gekonnt eingesetzt hat.
Das dritte, wovon ich aber auch nichts im Studium mitgekriegt habe, ist das Erkennen und Loswerden von Manierismen. Eines deiner großen Vorbilder dafür ist ja Saul Steinberg, der seinen Strich an den Inhalt der Zeichnung anpaßt, z. B. wenn er die Teilnehmer einer Party je nach Persönlichkeit in unterschiedlichen Techniken zeichnet. Ich habe zu dem Thema bei einer Ausstellung auf dem vorletzten Comicsalon in Erlangen Wilhelm Busch wiederentdeckt, dessen Zeichnungen mich teilweise echt zum Staunen gebracht haben – so gekonnt locker und leicht, mit wenigen Strichen auf den Punkt gebracht und seiner Zeit meilenweit voraus (in der Ausstellung waren auch zeitgenössische Comics zum Vergleich zu sehen). Im Vergleich zu diesen Meistern stecke ich natürlich noch ziemlich fest in den Begrenzungen meines Zeichenstils und freue mich über kleine Ausreißer wie eine locker hingeworfene Würstchenfinger-Hand oder die eine oder andere anatomische Unkorrektheit.

COMIC!: Der vermutlich am weitesten verbreitete Comic für Kinder, den du zeichnest, erscheint in der Apotheken-Kinderzeitschrift Junior: «Die Borstels» Ich erinnere mich noch daran, wie du an diesen Job gekommen bist ...

Jörg Peter: Ja, 2004 gab es einen Wettbewerb, der auch über den ICOM ausgeschrieben wurde. Es ging darum, der traditionsreichen und beliebten Serie «Papa Moll» eine Rundumerneuerung zu verpassen. Man mußte sich für die Teilnahme bewerben, und für die Einreichung der Wettbewerbs-Entwürfe gab es dann sogar Honorar. Du warst daran ja auch beteiligt, denn als ich gerade an den vier Hauptfiguren Vater, Mutter, Tochter und Hund arbeitete, kamst du vorbei und wir hatten die Idee, die Entwürfe zweifach einzureichen, einer von dir, einer von mir (das Inking beide Male von mir, damit es einheitlicher aussah), um die Gewinnchance zu erhöhen. Der Plan ging auf, wir teilten uns das Preisgeld und die endgültige Familie ist jetzt eine Mischung aus beiden Entwürfen: der Vater ganz von dir, die Mutter aus Elementen von beiden, die Tochter von mir, und der Hund ist inzwischen eine Katze. Und aus «Papa Moll» wurde «Willibald Borstel», weil sich der Verlag nicht mit den Erben der «Papa Moll»-Erfinderin und Zeichnerin Edith Oppenheim-Jonas einigen konnte. Bei Willibald habe ich übrigens immer noch etwas Probleme mit seinen anatomisch nicht möglichen kurzen Beinen, mit denen er eigentlich nicht rennen kann. Sie wachsen und schrumpfen jetzt halt je nach Bedarf, was du wahrscheinlich auch so gezeichnet hättest.

COMIC!: Schreibst du auch die Borstels-Geschichten?

Jörg Peter: Nein, die bekomme ich vom Verlag. Am Ende des Comics gibt es immer einen Aufruf an die Kinder, selbst Geschichten für «Die Borstels» zu erfinden – ich kann mich aber nicht erinnern, jemals eine solche Geschichte gezeichnet zu haben. Die Manuskripte muß ich häufig comicgerecht überarbeiten, da werden schon mal die Aktionen und Emotionen für drei Bilder in eines gepackt nach dem Motto: «Bild 1: Willibald Borstel kommt frierend, aber guter Dinge, weil er einen Witz gehört hat, den er aber nicht ganz versteht und deshalb eine Augenbraue fragend hochzieht, zur Türe herein, läuft durch den Flur ins Wohnzimmer, wobei er über den Staubsauger stolpert und auf die Nase fällt, so daß der Garderobenschrank um und der Putz von der Decke fällt, Willibald mit schmerzverzerrtem Gesicht, aber guter Dinge, weil es immer noch das gleiche Bild ist und er ja den Witz gehört hat, und da kommt Trixie um die Ecke, auch sie stolpert über den Kater Zambolo, der eine Maus jagt im immer noch gleichen Bild, und sagt: – Bild 2 ...» Aber die Skripte comicgerecht umzusetzen ist ja mein Job.
Eher ungewöhnlich für eine Comicserie: Mit dem JUNIOR werden regelmäßig Zielgruppen-Tests gemacht, so daß ich für jede Geschichte eine Rückmeldung habe, wie gut sie bei der angestrebten Altersgruppe der jüngsten Leser angekommen ist. Eindeutiges Fazit dieser Tests: Geschichten mit niedlichen Tieren sind die Spitzenreiter, selbst dann, wenn die Story an sich nicht funktioniert (was schon mal vorkommt) oder von den Kindern nicht verstanden wird.
Das war übrigens schon der zweite Versuch, der Zeichner von Papa Moll zu werden. Beim ersten Mal, 1995, veranstaltete der Globi-Verlag/Zürich einen Wettbewerb und suchte damit jemanden, der die Bücher mit den Papa-Moll-Geschichten weiter illustrierte. Auch da war ich der Gewinner, mußte aber der Zweitplatzierten weichen, weil ich kein Schweizer bin.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
EUR 15,25
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