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COMIC!-JAHRBUCH 2010

Hundert Prozent Pfälzer
Interview mit Steffen Boiselle

von Burkhard Ihme

COMIC!: Ich kenne dich als Zeichner, Verleger und Verlagsvertreter für Carlsen. Bei unserem ersten Treffen stand bei dir die Karriere als Zeichner sicher noch an erster Stelle. Deine Figur «Rudi» (die mit dem gleichnamigen und wohl etwa gleichaltrigen Punk von Peter Puck nichts zu tun hat) zeichnest du noch heute?

Steffen Boiselle: Seit 1984 zeichnete ich Cartoons und kürzere Comics mit der Figur «Rudi», einem Punker, der gerne trinkt und sich mit der Polizei anlegt (inhaltlich durchaus «angelehnt» an die damals sehr erfolgreichen Werner-Bücher). Fast zeitgleich startete Peter Puck in Stuttgart ebenfalls mit seinen «Rudi»-Comics, allerdings unabhängig von mir. Davor hatte ich schon einiges als Schüler in einem kleinen Eigenverlag veröffentlicht (z. B. Freak), das aber nur im Comic-Fandom seine Beachtung fand.
Im gleichen Jahr veröffentlichte der Comic-Händler Karl-Heinz Hörnig (Comicothek, Mannheim) zusammen mit seinem damaligen Schwager Uwe Löhmann meinen «Rudi» als Taschenbuch im frisch gegründeten Verlag «Edition Karton». Trotz eines relativ hohen Verkaufs-Preises konnten immerhin 1.000 Exemplare abgesetzt werden. Eine zweite und dritte Auflage fand dann auch noch Abnehmer. Die Figur Rudi habe ich mittlerweile eingemottet, ich gehe mal davon aus, daß da nichts mehr kommt. Irgendwie ist die Zeit dafür vorbei.
Obwohl ich schon mit 13 Jahren vorhatte, ein berühmter Comiczeichner zu werden, legte ich mit ca. 25 Jahren den Zeichenstift fast komplett zur Seite und widmete mich zunehmend der Vertriebsarbeit im eigenen Verlag, den ich zusammen mit Uwe Löhmann 1985 gegründet hatte.

COMIC!: Welches waren deine Favoriten bei den Comics, die du in deiner Jugend gelesen hast, welche Figur oder welcher Zeichner hat dich zum selber zeichnen angeregt?

Steffen Boiselle: Gelesen habe ich als Kind fast alle Comics, die ich bekommen konnte. Später entwickelte sich mein Comicgeschmack vornehmlich zu den Funny-Comics. «Gaston», «Asterix», «Spirou», aber auch realistische Serien wie «Valerian» und «Reisende im Wind», um nur einige zu nennen, hatten es mir angetan. Mit Superhelden konnte ich mich allerdings nie wirklich anfreunden. Angeregt zum Zeichnen haben mich viele verschiedene Richtungen, aber nach einigen Versuchen im realistischen Stil habe ich festgestellt, daß mir die lustigen Sachen einfach mehr liegen. Vorbilder wären wohl am ehesten Zeichner wie André Franquin (genial) oder Gerhard Seyfried (schön einfach).
Und zu der Frage, ob ich heute noch zeichne: Ja, nach Jahren, in denen ich nur ab und zu ein paar Glückwunschkarten für Freunde oder kleinere Illustrationen erstellt habe, bin ich vor ca. vier Jahren wieder an den Zeichentisch zurückgekehrt und produziere seitdem regelmäßig Cartoons. Vor allem für die hiesige größte Tageszeitung Die Rheinpfalz zeichne ich wöchentlich die Serie «100% Pälzer!», in der aktuelle Themen mit regionalen Gegebenheiten humorvoll kombiniert werden. Mittlerweile sind von dieser Serie auch ein Buch und zwei Kalender erschienen, die sich natürlich vor allem in der Pfalz gut verkaufen lassen. Unabhängig von «100% Pälzer!» zeichne ich auch Cartoons zu allen anderen möglichen Bereichen (Politik, Wirtschaft, Buchhandel etc.), diese erscheinen aber nur sporadisch in unterschiedlichen Publikationen. Hier fehlt mir einfach die Zeit, die Sachen anzubieten und zu verbreiten, deswegen bleiben die Gags meist bei mir in der Schublade.

COMIC!: In den 90er Jahren hatte man den Eindruck, der Boiselle & Löhmann Verlag stünde exemplarisch für Erotik-Funnys in Deutschland. Das war aber nicht immer so?

Steffen Boiselle: Der Boiselle & Löhmann Verlag, später B & L, produzierte anfangs Alben aus dem francobelgischen Bereich in den Themenbereichen Abenteuer («Archie Cash») bis Funny («Robert & Nina»). Besonders stolz bin ich bis heute auf zwei Bücher von Comic-Gott André Franquin, den wir schon sehr früh im Programm hatten («Alpträume» und «Nicki und der Elaoin», beide 1987). Ende der 80er Jahre spezialisierten wir uns vor allem auf lustige Comics, oft auch mit soft-erotischen Inhalten. Hier verkauften sich die Alben des Zeichners Dany am besten. Auflagen bis zu 30.000 Exemplaren waren über die Jahre möglich. Aus heutiger Sicht unvorstellbare Zahlen für einen Kleinverlag.

COMIC!: Uwe Löhmann hat übersetzt und du gelettert?

Steffen Boiselle: Ja, dadurch haben wir natürlich Kosten eingespart, nicht ganz unwichtig für einen Kleinverlag.

COMIC!: Aber trotz der hohen Auflagen bei kostensparender Produktion hast du den Erwerb deines Lebensunterhalts auf mehrere Sockel gestellt.

Steffen Boiselle: Ab 1989 war ich im Außendienst für den Comicvertrieb MSW Medien Service, Wuppertal, unterwegs, der auch unseren Verlag im Programm hatte. Parallel dazu arbeitete ich für diverse Comic-Verlage (Carlsen, Ehapa, Bastei etc.) als Letterer. Comic-Lettering wurde ja damals noch per Hand erstellt, mittlerweile läuft das alles mit Computer, Gott sei Dank, denn die Arbeit war definitiv nicht sehr gesund für den Rücken und die Augen.
Seit 2000 bin ich als Verlagsvertreter für Carlsen Comics im Südwesten unterwegs und dort auch voll ausgelastet. Im B & L-Verlag gab es 1999 einen personellen Wechsel: Clemens Ellert übernahm die Funktion von Uwe Löhmann als Verlagsleiter, und meine damalige Lebensgefährtin und jetzige Frau Ines Svrcina arbeitete auch mit. 2002 verkauften wir sowohl den Namen «B&L» als auch einige Lizenzen an Carlsen. Die übriggebliebenen Serien und Neuheiten veröffentlichen wir seitdem unter dem Namen BSE (steht für Boiselle/Svrcina/Ellert), einige wenige Abenteuer-Reihen erscheinen unter dem Label «Joker Comics» (namensgleich mit unserem belgischen Lizenzgeber), und seit 2007 bringen wir unter «AGIRO» regionale Bücher und mehr für die Pfalz heraus.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2009
240 Seiten S/W
EUR 15,25
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