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COMIC!-JAHRBUCH 2010

«This is my space»
Die schwierige Selbstbehauptung der Frauen in den Comics

von Britta Madeleine Woitschig

Kein Klischee: Männliche Domäne Comic

Zur Sicherung ihres Lebensunterhalts arbeitete die flämische Belgierin Erika de Ceuckelaire in der kleinen Stadt Wijnegem als Verkäuferin in einer Filiale des französischstämmigen, transnationalen Medienkonzerns fnac. 1997 entdeckte sie ein Reporter der Zeitung Gazet van Antwerpen, dem diese eigentlich nicht verwunderliche Tatsache seltsamerweise eine Schlagzeile wert war. Was bewog ihn dazu? Unter ihrem Pseudonym Erika Raven war die Verkäuferin in den 1980er Jahren die erste weibliche Comicautorin in Flamen und gelangte mit ihren wenigen Alben und Serien, die sich mit der internationalen Konkurrenz messen konnten, innerhalb ihres Sprachraums rasch zu Ruhm. 1987 erreichte ihre Karriere einen Höhepunkt, denn am 5. Dezember überreichte ihr die belgische Gewinnerin des Kurzfilm-Oscars, Nicole van Goethem, in Turnhout im Kulturzentrum de Warande den wichtigsten flämischen Comicpreis, den Bronzen Adhemar, als ersten und bislang einzigen Frau. Obwohl die damals blutjunge Autorin damit über die Szene hinaus prominent wurde, gelang ihr mit ihrem Studio Raven kein internationaler Durchbruch, so daß sie sich vom Comicschreiben zurückzog1. Ihre künstlerischen Tätigkeiten verlagerten sich auf andere Bereiche: Sie beteiligte sich mit ihren Gemälden an Ausstellungen und schrieb Romane. Erst Anfang 2009 kehrte sie als Szenaristin in das Comicmetier zurück, indem sie mit dem Zeichner Maarten Vande Wiele bei dem kleinen Verlag Oogachtend die Trash Graphic Novel «I love Paris» veröffentlichte, eine schwarzhumorige Groteske über die Karriereträume dreier Frauen in der grimmigen Seinemetropole.

Ihre brüchige Biographie weist über den Einzelfall hinaus, denn die einzelnen Stationen ihrer Karriere finden sich in ähnlicher Weise bei anderen Comicautorinnen wieder und können als symptomatisch eingestuft werden. Die Situation ist jedoch komplex, weshalb sich eine Verkürzung der Analyse allein auf das Merkmal Geschlecht verbietet, denn auch männliche Comicautoren wie der Steirer Chris Scheuer ziehen sich enttäuscht aus der Szene zurück, um anderswo leichter über die Runden zu kommen. Die Lage der weiblichen Kreativen im Comicbereich unterliegt zahlreichen Einflüssen, die sich je nach Nation und Kulturbereich extrem unterscheiden und in der historischen Perspektive dynamisch wandeln. Neben der Lage der Frauen, dem Status des Mediums Comic in einer Gesellschaft und der Stellung des jeweiligen nationalen Comicmarktes respektive Vertriebsgebietes im globalen Comicmarkt müssen außer Schichten und Klassen auch die Verwicklungen mit den Bereichen der sogenannten &Mac220;Rasse&Mac221; und des Antisemitismus berücksichtigt werden.
Eine internationale Forschung mit weithin anerkannten Ergebnissen und Publikationen gibt es derzeit (noch) nicht, vielmehr klaffen enorme Forschungslücken innerhalb des breiten Feldes, weil die vorliegenden Studien lediglich von einer kleinen Schar von Einzelkämpferinnen stammen, die namentlich bekannt sind: Trina Robbins, Cat Yronwode und Roz Warren in den USA, Ana Merino in Spanien und den USA, Mira Falardeau im kanadischen Quebec, Ilse Kilic und Petra Nachbaur aus Österreich sowie Hélène Lazar, Virginie Talet, Annie Pilloy und Chantal Montellier im frankobelgischen Bereich; ihre Anliegen werden von männlichen Sympathisanten wie Thierry Groensteen im frankobelgischen Bereich, Paul Gravett im Vereinigten Königreich und amerikanischen Independent-Verlagen wie Fantagraphics, Slave Labor Graphics und Drawn & Quarterly unterstützt.
In den folgenden Absätzen referiere ich nach bestem Wissen und Gewissen den heutigen Forschungsstand, wobei es der manchmal dürftigen Quellenlage geschuldet ist, wenn gewisse Fakten mehrfach erwähnt werden. Europa sowie die USA und Kanada bilden den Fokus meiner Analyse, weshalb ich auf das eminent wichtige Beispiel Japan nicht so intensiv eingehen kann, wie ich es mir gewünscht hätte, weil mir die Sprachkenntnisse fehlen. Wenigstens in Ansätzen werde ich das Mißverhältnis zugunsten des christlichen Abendlandes auflösen, indem ich Autorinnen aus Asien, Afrika und Lateinamerika bei sich bietender Gelegenheit erwähnen werde. Um verständlich zu bleiben, werde ich meine Hypothesen klar und deutlich formulieren, was manchmal &Mac220;zugespitzt&Mac221; bedeutet, obwohl mir manchmal der Raum für sämtliche Argumente fehlen wird. Fakten und Debatten werde ich so ausführlich dokumentieren, daß die Zusammenhänge deutlich und Hypothesen damit ausreichend belegt werden.
Das Thema Frauen und Comics ist seit gut zwei, drei Jahren jedoch überproportional in den Medien präsent, sowohl im Feuilleton als auch in Fachpublikationen. In seinem neuesten Vademekum stellt zum Beispiel der Redakteur der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, Andreas Platthaus, in seinem Kapitel über Bildaufbau die elfte seiner 101 wichtigsten Fragen über Comics und Manga:

Gibt es Comic-Zeichnerinnen?
Ja, und zwar mittlerweile sehr viele. Einer der jüngeren, der Amerikanerin Alison Bechdel, gelang 2006 sogar etwas, was keinem ihrer männlichen Kollegen zuvor geglückt war: Ihr Comic «Fun Home» wurde vom TIME MAGAZINE zum Buch des Jahres gewählt. Aber immer noch besteht der weit überwiegende Teil der Comic-Schaffenden aus Männern, und es war eine große Sensation, als mit Jeanette Kahn [sic!] in den achtziger Jahren erstmals eine Frau in die redaktionelle Führungsriege des amerikanischen Großverlags DC vorstieß. Gefolgt ist ihr seither niemand.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2010
Links zum Artikel

Zu Fußnote 31:
http://de.wikipedia.org/wiki/Token
http://de.wikipedia.org/wiki/Tokenismus



Quellen (Online)

ACBD: www.acbd.fr
Actua BD: L’actualité de la bande dessiné: www.actuabd.com
Association Artémisia: associationartemisia.blogspot.com
Association Mnémosyne: La bande dessinée: un noveau chantier pour l’histoire des femmes et du genre. Journée d’études 1er octobre 2005, www.mnemosyne.asso.fr/uploads/Journee-etudes/BD_intro.pdf
Comic Guide NET: www.comicguide.net
du9 – L‘autre Bande Dessinée: www.du9.org
Eichholz, Daniel / Dierks, Andreas (2007): Comic-Szene. In: Jugendszenen.com, www.jugendszenen.com
Friends of Lulu: friendoflulu.wordpress.com
Groupement BD du SNAC: www.syndicatbd.org
Kilic, Ilse / Nachbaur, Petra (2002): Strip-Teeth – Der Reiz am Comic, http://elib.at/index.php?title=Comic_-_Strip-Teeth_-_Weibliches_Comicschaffen_-_Kilic_-_Nachbaur_-_2002#Volltext
Lambiek Comiclopedia: lambiek.net/artists
Sequential Tart – A Comics Industry Web Zine: www.sequentialtart.com
Talet, Virginie: Le magazine Ah!Nana: Une épopée féministe dans un monde d‘hommes? In: Clio no. 24 (2006), clio.revues.org/index4562.html
Wikipedia, de vrije encyclopedie: nl.wikipedia.org
Wikipedia, die freie Enzyklopädie: de.wikipedia.org
Wikipedia, L’enciclopedia libera: it.wikipedia.org
Wikipédia, L’encyclopédie libre: fr.wikipedia.org
Wikipedia, The Free Encyclopedia: en.wikipedia.org
Wikipedia [japanische Fassung]: ja.wikipedia.org
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