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COMIC!-JAHRBUCH 2009

Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Comicpublikation:
«Didi & Stulle» von Fil

Von Stefan Pannor


Früher gab es mal Phil und Fil – mit ph für die Auftritte als Bühnenkünstler, mit f für die Comics. Aber das hat er schon lange abgelegt. Philip Tägert, geboren 1966 in Berlins Märkischem Viertel, heißt heute nur noch Fil. Als solcher liefert er seit über zehn Jahren vierzehntägig eine ganze Seite seines Comics «Didi & Stulle» für das Berliner Stadtmagazin zitty ab. Auch sonst konzentriert sich sein Leben auf Berlin. Dort hat er seine Ateliergemeinschaft mit Mawil, Reinhard Kleist und Naomi Fearn. Und dort tritt er als Entertainer und Sänger auf, dessen Programme meist mindestens so skurril sind wie seine Comics.

COMIC!: Vermutlich lebst du eher von deinen Auftritten als von deinen Comics?

Fil: Ja! Mit den Comicstrips verdiene ich sehr wenig.

COMIC!: Dabei hast du doch angeblich einen relativ guten Vertrag bei der zitty.

Fil: Nee. Ich kriege 580 € pro Monat. Davon kann ich natürlich nicht leben.

COMIC!: Aber angefangen hast du als Comiczeichner.

Fil: Ich habe 1981, mit 14 Jahren, meine ersten Comics an die ZITTY geschickt. Die hatten damals den jüngsten Zeichner von Berlin veröffentlicht, und der war zwölf oder dreizehn. Und mein Gedanke war: Ich bin nur ein Jahr älter, kann aber viel besser zeichnen. Allerdings hatte ich total vergessen, mein Alter zu den Bildern dazuzuschreiben. Und die ZITTY hat meine Sachen solange weitergedruckt, bis sich irgendwann Wolfgang Köglmeier, der Redakteur für Cartoons, bei mir gemeldet hat und gefragt hat, ob ich eigentlich auch mal Honorar für meine Sachen will. Seitdem habe ich da immer weitergemacht.
Vermutlich werde ich sowieso ewig bei der ZITTY sein, sofern die mich nicht rausschmeißen. Ich mach das ja jetzt schon 28 Jahre. Viel Geld hab ich aber nie da verdient. Ich mach das vor allem, weil diese Lieferfrist alle zwei Wochen mein Leben erdet und ihm Struktur gibt.

COMIC!: Touren und Theaterauftritte bilden ja auch eine Struktur.

Fil: Aber eher eine des Wahnsinns. Auf der Bühne ist man mit Adrenalin voll. Dann kann man abends nicht schlafen. Früher habe ich auch sehr viel getrunken. Es ist auf jeden Fall ein sehr ungesundes, unregelmäßiges Leben. Man hebt auch total ab. Da hilft mir das Zeichnen, weil es eben so unspektakulär ist. Und wenn mal ein Auftritt nicht so gut läuft, dann weiß ich immer, ich habe noch meinen Bürojob, wo mir keiner was kann.

COMIC!: Wie wird man eigentlich als Comiczeichner zum Entertainer?

Fil: Es war Anfang der Neunziger Jahre, da hab ich als Verkäufer im Groben Unfug gearbeitet. Damals war von mir gerade «Pawel Tropotkin» erschienen. Der kam zwar insgesamt nicht so gut an. Aber zwei Mädchen, die Fans von mir waren, haben mich gefragt, ob ich bei ihnen im Haus eine Lesung daraus machen würde. Weil ich die eine gut fand, hab ich zugesagt. Als der Termin dann immer näher rückte, kriegte ich Bammel, weil: Man kann ja nicht einfach so ’nen Comic vorlesen. Darum hab ich dann mein Heft «The Return of Ernst» mit Overhead-Projektor an die Wand geworfen und dazu Lieder von meiner damaligen Punk-Band gesungen.
Das war meine erste Show. Die hat dann eine Frau aus der Scheinbar gesehen und gefragt, ob ich bei ihnen auftreten will. Da hab ich dann da gespielt, dann hab ich noch mal da gespielt, und dann gings sowieso immer weiter. Das ging nie von mir aus. Ich wollte nie Liedermacher werden. Ich wurde einfach immer weiter gefragt.

COMIC!: Nennst du dich wirklich Liedermacher?

Fil: Ich denk da gar nicht drüber nach. Weil ich eigentlich immer sag, ich bin Comiczeichner. Obwohl ich mit den anderen Sachen viel mehr verdiene. Aber so eine Show denke ich mir in zwei Monaten aus, da mach’ ich mich dann auch nicht kaputt bei. Für Comics brauch’ ich viel mehr Zeit.

COMIC!: Du hast eine sehr bewegte Vergangenheit. Wie war das: Jugendknast auf einem Schiff?

Fil: Genau. Für «schwer erziehbare Jugendliche». Ich bin damals von der Schule geflogen und für ein halbes Jahr auf dieses Schiff gekommen. Das war super! Ein totales Abenteuer! Ich bin auch der einzige Typ von denen, wo man sagen kann, der hat’s zu was gebracht. Die anderen sind alle Zuhälter geworden und sowas. Aber ich war ja auch aus ’ner Mittelschichtsfamilie. Meine Eltern waren eher so Intellektuelle. Deswegen ist es kein Wunder, daß ich mich wieder berappelt hab.

COMIC!: Wie lief das ab? Deck schrubben mit der Zahnbürste?

Fil: Das war original Deck schrubben, aber nicht mit der Zahnbürste. Und die Strickleiter vom Mast flicken. Das war ein alter Schoner von 1920, ein richtig geiles Schiff mit richtigem Holzdeck. Und eben mit so blöden Problemjugendlichen, die alle vorher als Strichjungen gearbeitet haben. Am ersten Tag meinte der eine gleich zu mir: «Du bist meine Schwuchtel und ich fick’ dich heut’ nacht!». Und ich so: «Das wirste mal schön nich’ machen.» Ich wurde dann zum Glück nicht gefickt, weil wir jeden Abend Armdrücken gemacht haben. Und ich war zwar total schmächtig. Aber ich hatte ’nen langen Unterarm und immer den besten Hebel. Das haben die andern nie kapiert. Deswegen galt ich, was völlig absurd ist, auf dem Schiff als der Stärkste. Ich war ganz oben in der Rangfolge.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2008
240 Seiten S/W
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