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COMIC!-JAHRBUCH 2009

Bester Kurzcomic (realistisch):
«Sperrbezirk» von Tobi Dahmen

Von Carmen Jonas


COMIC!: Tobi, bei der Verleihung des ICOM-Preises 2008 für deinen Comic «Sperrbezirk» hast du dich überrascht gezeigt, daß du in der Kategorie «Bester Kurzcomic realistisch» ausgezeichnet wurdest. Hättest du lieber in einer anderen Kategorie gewonnen?

Tobi Dahmen: Es hat mich vor allem überrascht, überhaupt gewonnen zu haben. Ich hab zwar schon vorher viel gutes Feedback bekommen, aber wenn man dann plötzlich so einen Preis unter die Nase gehalten bekommt, ist das schon eine ziemliche Überraschung. Zumal ich das Buch eigentlich nur gemacht habe, weil ich meinen Freunden und Leuten, die sich für meine Comics interessieren, eine einfache und günstige Möglichkeit bieten wollte, ohne den gesamten Herrensahne- und Panik-Elektro-Katalog nachzukaufen.
Über das Label «realistisch» hab ich mich anfangs gewundert, weil man das doch meistens eher auf den Zeichenstil bezieht, naturalistisch. Wenn man es allerdings auf mein Thema bezieht, paßt es schon. Alle meine Geschichten entstammen der Realität, meiner Realität, meinem Leben. Keine Elfen, keine Superhelden und nur ganz wenig Raumschiffe.

COMIC!: 2005 hast du mit deinen Kollegen der Düsseldorfer Künstlergruppe «Herrensahne» schon einmal den ICOM-Preis für das »Beste Fanzine» erhalten. Ist da ein Karrieresprung abzulesen oder eine Abnabelung?

Tobi Dahmen: Ich konnte mich leider in letzter Zeit nicht mehr so bei der «Herrensahne» einbringen, wie ich das gerne getan hätte. Ich war schon meistens derjenige, der die Leute in den Hintern trat – weil mir die Sache so sehr am Herzen lag – auch wenn es ansonsten überhaupt keine Hierarchien in der Gruppe gibt. Nicht alle Zeichner der «Herrensahne» würden sich ja selbst als Comiczeichner bezeichnen. Insofern gab es da schon immer ein sehr unterschiedliches Interesse daran, was man über seinen Beitrag hinaus machen könnte. Früher habe ich in «Herrensahne» meine einzige und einfachste Veröffentlichungsmöglichkeit gesehen. Jetzt, da ich mich ein bißchen besser in der Comicszene auskenne, steht einem natürlich auch viel mehr offen, das ich auch entsprechend nutzen möchte. Das heißt aber nicht, daß ich deswegen «Herrensahne» den Rücken kehre.

COMIC!: Wie steht’s denn zurzeit mit der «Herrensahne»?

Tobi Dahmen: Es ist insgesamt schwieriger geworden. Wir haben ja alle in recht studentischen Verhältnissen mit dem Projekt begonnen und hatten viel mehr Zeit. Heute guckt jeder erstmal, daß die Butter aufs Brot kommt, und, wenn dann noch Zeit ist, zusätzlich Comics zu zeichnen. Wir hatten letztens endlich mal wieder eine unserer berüchtigten Ausstellungspartys, und das werte ich als positives Signal dafür, daß der Dornröschenschlaf vorbei ist. Ich weiß auch, daß es ein neues Thema gibt, bis wann das aber fertig gezeichnet ist, kann ich noch nicht sagen.

COMIC!: Autobiografische Comics liegen derzeit enorm im Trend. Was unterscheidet «Sperrbezirk» von den autobiografischen Arbeiten anderer Comic-Künstler?

Tobi Dahmen: Viele Leute haben gelobt, daß mein Buch so ehrlich sei. Ich glaube auch, daß man beim autobiographischen Geschichten zeichnen auch mal dahin gehen muß, wo’s weh tut. Sonst wird’s fade. Ein bißchen Exhibitionismus gehört wohl schon dazu.
Generell geht es mir aber ein bißchen auf die Nerven, ständig von den «neuen autobiographischen Comics» zu sprechen. Wie gesagt, meine Geschichten aus «Sperrbezirk» entstanden zwischen 1999 und 2007, so neu ist das also gar nicht. Und ich war auch bei weitem nicht der erste, der so was gezeichnet hat. Ich habe den Untertitel «Autobiographische Comics» gewählt, weil es genau darum geht. Wenn ich einen Fantasyroman schreiben würde, würde ich wahrscheinlich auch «Ein Fantasy-Roman» darunter setzen. Und letzten Endes ist es doch auch nur ein Genre, wie jedes andere auch. Manchmal hat man ja das Gefühl, daß autobiographische Comics unfair bewertet werden, weil die Leute denken: «Schon wieder einer!» Wenn jetzt Abenteuercomics im Trend wären, würde sich doch auch keiner darüber beschweren. Ich geh ja auch nicht in den Buchladen und suche da nach Büchern, die mich nicht interessieren. Solange es Leser gibt, die sich für diesen oder jenen Stoff interessieren, ist doch alles gut. Jeder Jeck ist anders.

COMIC!: Scheinen dir deine Erlebnisse von besonderem Interesse für die Leser, oder wolltest du Bruchstücke deiner Vergangenheit aus deinem Leben zeichnen?

Tobi Dahmen: Natürlich beides irgendwie. Wenn ich meinen würde, das interessiert keinen, hätte ich’s nicht gezeichnet, auch wenn man natürlich immer nur darauf hoffen kann, daß es so ist. Wenn man sich die Entstehung der Geschichten anschaut, dann sind ja alle immer zu einem gewissen Thema entstanden, die von «Herrensahne» oder «Panik Elektro» vorgegeben waren. Ich habe dann einfach geschaut, was hab ich erlebt, was paßt dazu. Im Grunde ging es damit los, daß es bei «Herrensahne» das Thema «Tragische Kindheit» gab. Da wühlt man erstmal bei sich selbst.
Ich bin nicht so gut darin, Geschichten zu schreiben, die nicht viel mit meinen Erlebnissen zu tun haben. Wild darauflos fabulieren liegt mir nicht. Insofern brauche ich wahrscheinlich immer das Gerüst meiner Autobiografie. Von dort aus kann man dann auch was abwandeln.

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