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COMIC!-JAHRBUCH 2009

Der US-Comicmarkt 2008

Von Christian Endres und Stefan Pannor


1. Wem gehört mein Comic?

So schnell wird man reich. Am 7. März 2008, schon deutlich nach Büroschluß, klingelte bei Jeff Smith, Autor und Zeichner des Indie-Bestsellers «Bone», das Telefon:
«Warner rief an und machte uns ein ernsthaftes Angebot, so einfach ging das. Sie gaben ihrer Ernsthaftigkeit Ausdruck, dem Geist der Hefte treu zu bleiben, und nach etwas Hin und Her war die ganze Sache in anderthalb Stunden über die Bühne. Vijaya und ich stießen darauf an, und gingen zu Bett.»1
Dieses ernsthafte Angebot war dem Vernehmen nach eine sechsstellige Summe für die Option, «Bone» zu verfilmen, und eine siebenstellige bei erfolgender Verfilmung.
Noch nie war es für einen Comiczeichner in den USA so leicht, Millionär zu werden. Noch nie war es zugleich aber auch so schwer. Der Grund: Hollywood und dieUrheberrechte. Denn gerade weil Hollywood vermehrt auf der Suche nach massentauglichen Comicstoffen für die filmische Adaption ist, kämpfen die Verlage (mitunter auch gegen ihre Künstler) verbissen um die gewinnversprechenden Rechte der bei ihnen publizierten Comics.
Traditionell ist die US-Comicindustrie spätestens seit dem Aufkommen der Comichefte in den 20er Jahren ein Work-for-hire-System. Legendär sind die Studios, in denen Zeichner am Fließband für fünf Dollar pro Comicseite ihre Geschichten herunterratschten. Will Eisner betrieb ein solches Studio, Jack Kirby lernte viel seiner Grundlagen dort. Nichts, was dort produziert wurde, gehörte dem Künstler oder Studio. Alles gehörte dem auftraggebenden Verlag.
Berüchtigt auch der Umgang von DC Comics mit Joe Siegel und Jerry Shuster, die ihre Kreation Superman, den allerersten Superhelden, für ein Taschengeld dem Verlag überließen, sich danach mit ihm überwarfen und jahrzehntelang zusehen mußten, wie DC Comics Millionen mit ihrer Schöpfung machte. Und noch in den 80er Jahren gab Neal Adams in einem Interview zu Protokoll, daß er in seiner Zeit als Werbegrafiker mehr Kontrolle über seinen kreativen Output gehabt habe als in seinen Comiczeichner-Tagen bei Marvel und DC.2
Auch wenn sich dieser Zustand inzwischen gebessert hat, nicht zuletzt aufgrund des massiven Engagements von Künstlern wie eben Neal Adams oder Frank Miller, so ist doch der Comic-Mainstream weiterhin ein Ort, an dem der Künstler nicht viel zu sagen hat.
Glücklich schätzen kann sich Bestseller-Autor Neil Gaiman, der mit DC Comics einen Deal hat, daß diese den von ihm geschaffenen «Sandman» nicht ohne Gaimans Erlaubnis verwenden. Rechte an der Figur hat Gaiman allerdings keine. Wie wenig so ein Deal bedeutet, sieht man am Beispiel von Frank Miller. Miller hatte in den 80er Jahren für Marvel Comics die Figur der Elektra geschaffen und schließlich überaus dramatisch umgebracht. Ein Deal garantierte ihm, daß auch Marvel nicht ohne Millers Einwilligung mit der Figur hantieren würde. Eine Absprache, die nur wenige Jahre später gebrochen wurde und zu einem bis heute anhaltenden Bruch zwischen Miller und Marvel sorgte.
Bis vor wenigen Jahren waren solche Geschichten nur für Insider interessant. Comics waren ein Markt mit sinkender Bedeutung und immer weniger Lesern. Mit dem Einstieg von Hollywood ins Medium hat sich die Situation allerdings grundlegend geändert. «300» und «Sin City» von Frank Miller oder «Hellboy» von Mike Mignola, alle mit großem Erfolg in den Kinos gelaufen, waren das Signal dafür, daß auch Comicverfilmungen abseits der Superhelden Blockbuster werden können. Comics sind demnach nicht mehr nur Comics, sondern Millionenversprechen auf den Konten cleverer Filmproduzenten. Weil man aber – erst recht nicht in den USA – einfach fremder Leute Ideen stehlen kann, gewinnt die Eigentumsfrage immer mehr an Bedeutung.
Auch Mark Millar hat diese Erfahrung in diesem Jahr gemacht. Im Comic-Fandom war er zuletzt vor allem als Autor des Millionensellers «Civil War» für Marvel und weitere Blockbuster-Prügeleien im gleichen Verlag aufgefallen. Alles – natürlich – Auftragsarbeiten, aber aufgrund des Erfolges gut bezahlte. Wohlhabend wurde Millar allerdings erst jüngst durch «Wanted». Die 2003 bei Image erschienenen sechsteilige Miniserie galt jahrelang als eher moderater Erfolg in Millars Bestseller-Autorenkarriere. Ihre Verfilmung 2008 – mit Angelina Jolie und Morgan Freeman – spielte allerdings über 200 Millionen Dollar Umsatz an den Kinokassen allein in den englischsprachigen Ländern ein.3 Eine Fortsetzung ist ebenso im Gespräch wie eine Leinwand-Adaption von «Kick-Ass» – noch ein Millar-Comic. In Folge kündigte Millar denn auch an, sich in naher Zukunft verstärkt um seine eigenen Comics zu kümmern. 2009 soll kein Marvel-Comic von ihm erscheinen.
Der Dritte im Bunde, der nach Smith und Millar 2008 die Erfahrung machte, wie beliebt Comicautoren in Hollywood sind, war Brian K. Vaughan. Wie auch Millar balanciert der Autor zwischen Auftragsarbeiten, ebenfalls vor allem für Marvel, und eigenen Serien, die vorrangig bei Vertigo und Wildstorm erscheinen. Für eine halbe bis eine Million Dollar verkaufte er im Sommer 2008 die Rechte an der von ihm erdachten übernatürlichen Komödie «Roundtable» an Dreamworks. Gleichzeitig steht bei New Line die Verfilmung seines Vertigo-Titels «Y – The Last Man» in den Startlöchern.4
Natürlich hat so viel Erfolg auch seine Schattenseiten. Während die Begehrtheit der Comicstoffe einerseits die Position der Autoren stärkt, versuchen die eingesessenen Comicverlage natürlich andererseits um so mehr, ihre Rechte zu bewahren. Exemplarisch zeigt sich das am Beispiel von «Watchmen». Die auf der für das Medium zentralen Graphic Novel basierende Verfilmung von Zack Snyder («300») soll 2009 in die Kinos kommen. Es ist inzwischen die vierte Comicverfilmung basierend auf einem von Alan Moore geskripteten Comic.
Rund um das Buch spinnt sich ein bereits jahrzehntelanger Streit zwischen Moore und DC Comics betreffend die Rechte am Titel. Moore ist der festen Überzeugung, DC die Nutzungsrechte nur für einen bestimmten Zeitraum überlassen zu haben. Dies zeigt sich für den britischen Autor bereits am originalen Vertrag, laut dem sämtliche Rechte an «Watchmen» an Moore und seinen Zeichner-Kompagnon Dave Gibbons zurückfallen, sobald das Buch nicht mehr von DC nachgedruckt wird.
Dies wird aber wohl kaum basieren. Bereits seit vielen Jahren ist «Watchmen» ein Steadyseller auf dem amerikanischen Comicmarkt, mit jährlich 50.000 bis 100.000 verkauften Exemplaren in mehreren Versionen. Für 2008 ist sogar ein Rekordverkauf angedacht: Eine Million Exemplare hat DC Comics allein dieses Jahr drucken lassen. Bereits der im Juli präsentierte erste Filmtrailer hat eine Nachfrage von mehreren hunderttausend Exemplaren des Buches erzeugt.
Moore selbst zieht daraus keinen Gewinn. Nicht nur hat er seinen Namen von sämtlichen Verfilmungen seiner Werke zurückgezogen. Auch die Annahme der Tantiemen für verkaufte «Watchmen»-Bände verweigert er seit Jahren konsequent.
Aber nicht nur Moore und DC liegen im Clinch über «Watchmen». Auch Fox und Warner Brothers streiten sich um die Verfilmung. Mit härtesten Bandagen: Im Februar reichte Fox eine Klage gegen den Film ein. Sie betrifft den gesamten Herstellungsprozeß, von der Planung bis zum Verleih des Films. Fox behauptet, ihnen gehörten sämtliche Filmrechte an «Watchmen».


1 www.boneville.com/2008/03/13/bone-to-warner-bros (Alle hier genannten Links auf www.comic-i.com/Jahrbuch09.html)
2 «Will Eisner’s Shop Talk», Dark Horse, 2001, S. 20
3 Diese und alle weiteren Einnahmezahlen von Kinofilmen von www. boxofficemojo.com.
4 http://pwbeat.publishersweekly.com/blog/2008/06/24/vau ghan-at-midtown-this-thursday

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