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COMIC!-JAHRBUCH 2009

Publishing abroad
Wenn eigene Werke nur im Ausland erscheinen

Von Britta Madeleine Woitschig


Vor der Globalisierung? Die Globalisierung!

In den 1990ern wurde Globalisierung zu einem allgegenwärtigen Schlagwort, durch das werbewirksam die Anforderungen einer enger gewordenen Welt vermittelt wurden. Gleichzeitig setzte sich die japanische Ästhetik in Manga und Anime auf dem westlichen Medienmarkt durch; aus der zunächst belächelten Welle wurde dabei eine Konkurrenz, die sich gegen die einheimischen Repräsentanten des Mediums (Superhelden und Bande Dessinée) behaupten konnte. Der Austausch zwischen den verschiedenen Traditionen sequentiellen Erzählens scheint etwas Neues zu sein, doch ein historischer Blick zurück zeigt, wie aufmerksam die neuesten Entwicklungen im Ausland verfolgt wurden – teilweise führte diese Konstellation dazu, daß die Werke nur dort erschienen und im Land der Autoren überhaupt nicht oder erst mit geraumer Verzögerung. Als unsichtbare Rahmenbedingungen bestimmen auf diese Weise juristische, politische und ökonomische Faktoren die Möglichkeiten des Mediums Comic.


Wo fängt das Ausland an? Eine historische Skizze

Der Begriff des Auslands hat sich in der Umgangssprache eingebürgert und scheint selbstverständlich, griffig und problemlos. Eine valide Analyse des zu untersuchenden Phänomens benötigt jedoch klare Definitionen, wodurch ein Überblick über den historischen Hintergrund inklusive der philosophischen und juristischen Diskurse wenigstens in groben Zügen notwendig wird. In dieser Dimension wird deutlich, wie die grundlegenden Konzepte von Volk, Nation und Staat im Abendland verortet sind und von dort aus als allgemeinverbindlich deklariert worden sind.
Solch ein komplexes Konzept entsteht nicht über Nacht, vielmehr artikuliert es sich in einem Prozeß, in dem juristische Normen in Worte fassen, was sich vorher faktisch durchgesetzt hat. Einen der Anfänge bildet die Schrift «De jure belli ac pacis» (Über das Recht des Krieges und des Friedens, 1625) des niederländischen Philosophen und Juristen Hugo Grotius (1583–1645), der sich mitten in einem Kriegsgebiet befand. Denn einerseits kämpften seit 1568 siebzehn niederländische Provinzen an der Nordsee und am Ärmelkanal gegen die Herrschaft des Hauses Habsburg, das den mächtigen spanischen König stellte, auf der anderen Seite tobte seit 1618 in Europa ein christlicher Religionskrieg, der 1648 in Münster und Osnabrück durch den Westfälischen Frieden beigelegt wurde. Dieses Datum gilt derzeit als Beginn des Völkerrechts. Während vorher der Alltag durch einen Status geregelt wurde, der von Vasallenpflichten gegenüber dem Lehnsherren und dessen religiöser Bindung geprägt wurde, setzte eine Säkularisierung ein, die auf neue Parameter angewiesen ist.
Der Krieg der dreizehn amerikanischen Kolonien gegen das Vereinigte Königreich mit der Declaration of Independance am 4. Juli 1776 und die Französische Revolution, die am 14. Juli 1789 mit dem Sturm auf die Bastille begann und am 10. August 1792 mit der Absetzung Ludwigs XVI. endete, forcieren den Prozeß der Nationenbildung.
In seinem Werk «Allgemeine Staatslehre» (1900) hält der Staats- und Völkerrechtler Georg Jellinek (1851–1911) drei Elemente zur Bildung einer Nation für unabdingbar: Erstens muß es eine feststellbare Bevölkerung geben (Staatsvolk), das sich auf einem topographisch abgrenzbaren Raum befindet (Staatsgebiet) und von einer stabilen Regierung effektiv verwaltet wird (Staatsgewalt). Am 26. Dezember 1933 einigten sich im Rahmen der Seventh International Conference of American States 19 Staaten auf die Konvention, daß erst die Anerkennung durch andere Staaten die Existenz einer Nation legitimiert. Langsam entstand so ein internationales Recht, das Völkerrecht. 1919 wird der Völkerbund gegründet, der 1945 von seinem Nachfolger, den Vereinten Nationen, abgelöst wird.
Die Medien begleiten diesen bislang unabgeschlossenen Prozeß, bei dem sich bildende, existierende und zerfallende Staaten gleichzeitig nebeneinander bestehen. Sobald die Presse selbst Partei ergreift, nimmt sie aktiv an geschichtlichen Entwicklungen teil, und davon ist auch der Comic im weitesten Sinne nicht ausgenommen. Diese politische Dimension findet sich beispielsweise in den «Desastres de la Guerra» (ca. 1810–1814), einem Zyklus aus 82 Grafiken von Francisco de Goya (1746–1828), der die Verwüstung während der französischen Besatzung Spaniens drastisch schildert. Mit den Nationen lassen sich Klischees verbinden, die bei Bedarf zu Feindbildern ausgeschmückt werden können. In seiner «Histoire Pittoresque, Dramatique et Caricaturale de la Sainte Russie» (1854) zeichnet Gustave Doré (1832–1883) die russische Geschichte als ununterbrochene Abfolge von Kriegen und Massakern, Aberglauben und Dummheit, Grausamkeit und Gewalt. Diese Traditionslinie läßt sich inzwischen bis in das Genre der Comic-Reportage fortsetzen, für die der Name Joe Sacco (Palestine, Safe Area Gorazde) steht. Reisen in Kriegs- und Krisengebiete werden dabei auf journalistischem Niveau von einem subjektiven Standpunkt aufbereitet, wobei der Stil zwischen Sachlichkeit und Zynismus schwankt. Meist in eigenem Auftrag wird aktuelles Geschehen im Ausland für ein einheimisches Publikum aufbereitet, das ja zahlungskräftiger ist als die notleidende Bevölkerung in den Korrespondenzgebieten.
Im folgenden wird es um Comics gehen, die jenseits des Geburts- und/oder Wohnortes des Autoren veröffentlicht werden, oder bei denen der Autor aus seinem Ursprungsland ausgewandert ist. Dieser Artikel kann lediglich einen Überblick verschaffen, bei dem treffende Beispiele vorzugsweise aus Europa und dem deutschsprachigem Raum im Vordergrund stehen. Es geht mir darum, die Strukturen dieses Phänomens sichtbar werden zu lassen.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2008
240 Seiten S/W
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