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COMIC!-JAHRBUCH 2009

Vorwort

Von Burkhard Ihme


Wird der Computer das Buch und insbesondere das Comic-Heft oder -Album verdrängen? Eine Generation von Jugendlichen, die nach eigener Aussage kein Buch mehr anfassen, läßt Schlimmes befürchten. Andererseits ist bisher noch kein Medium restlos verdrängt worden, selbst Vinyl-Schallplatten erfreuen sich wieder großer Beliebtheit. Zwei Fragen stellen sich aber bei digitalen Comics: Wird sich das Lesen am Bildschirm durchsetzen oder werden handliche E-Books auch den Konsum von Farbcomics jederzeit und überall ermöglichen? Und werden digitale Inhalte von heute noch in Jahrzehnten lesbar sein, oder werden (wie es bei einigen Programmen schon von einer Version zur nächsten vorkommt) die aktuellen Programme das «Antiquariat» nicht mehr öffnen können? Für Online-Comics gilt dagegen: Werden die heute üblichen Bildauflösungen in einigen Jahren von den Lesern noch als state of the art akzeptiert werden, oder wird sich die Tendenz zur Miniaturisierung fortsetzen, so daß Comics nur noch als in Reihe geschaltete Thumbnails vorkommen? Schon länger wird diskutiert, ob und wie sich der Comic den technischen und formalen Vorgaben des Computers anpassen wird. Klaus Schikowski hat in seiner Bestandsaufnahme des «Comic in den Zeiten von Web 2.0» überwiegend ein eher konservatives Verständnis der Bilderreihung vorgefunden. Dies mag aber ein deutsches Phänomen sein. Daß die Künstler von ihren Veröffentlichungen im Internet nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist angesichts der Tatsache, daß amerikanische Kollegen zum Teil 250.000 $ verdienen, nicht zu verallgemeinern, trifft für unsere Breiten aber wohl noch ausnahmslos zu. Allerdings gibt es für Online-Comics außer Werbeeinnahmen und Spenden der Leser keine Vergütungen, die ausschließlich an der Publikation der Comics im Internet hängen; die Einnahmen werden überwiegend durch Merchandise-Artikel erzielt. Demnach sind Online-Comics, wirtschaftlich betrachtet, in erster Linie Werbung für ihre Schöpfer und deren Leistungs- und Warenangebote.
Ralf Palandts Beitrag «Braune Comics?! – Bilder vom rechten Rand der Gesellschaft» basiert auf seinem Vortrag «Comics von Rechts – Erkenntnisse aus der Betrachtung politischer Bilderwelten», den er auf der Tagung der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) am 18. November 2006 in Koblenz gehalten hat. Er enthält sich jeglicher Wertung, was dem Autor angesichts der menschenverachtenden Inhalte und der geballten zeichnerischen Inkompetenz sicher schwer gefallen ist. Auch der Herausgeber dieses Jahrbuchs hat nicht immer der Versuchung widerstehen können, die Zeichnungen wenigstens soweit geradezurücken, daß sie ins Gestaltungsraster paßten. Es sind aber zweifellos die schlechtesten Comics, die je im COMIC!-Jahrbuch abgedruckt wurden. Daß aber lausige Qualität dennoch erschreckend erfolgreich sein kann, zeigen sowohl das Beispiel von RechtsRock als auch allgemein das Niveau der Argumentation in rechter Propaganda.
Im COMIC!-Jahrbuch 2008 hatten wir über neue Comicverlage berichtet. Nachzutragen ist, daß der von Fans gegründete Verein und Verlag «Finix Comics» nicht nur bereits drei drucktechnisch hochwertige Alben vorgelegt hat (zwei weitere werden bis Ende des Jahres folgen), sondern für das kommende Jahr immerhin acht Titel fest eingeplant hat, darunter mit «Helden ohne Skrupel» eine Serie, die zu den Highlights ihres Genres zählt.
Und es gibt eine weitere Neugründung: Der Piredda Verlag wird sich in Zukunft ebenfalls um die Fans frankobelgischer Comics bemühen. Dabei wird er vor allem Material anbieten, das Mirko Piredda zuvor als Redaktionsleiter von ZACK für die Magazinauswertung eingekauft hatte. Comics aus unseren westlichen Nachbarländern erfreuen sich also weiterhin großer Beliebtheit bei einer allerdings überschaubaren Menge von Fans. Selten gab es ein so großes Titelangebot (Dargaud vermeldet auf seiner Website, daß immerhin 66% seiner aktuellen Publikationen nach Deutschland lizensiert werden konnten) in so hoher Qualität. Dabei stiegen die bei Einführung des Euro zunächst leicht gesunkenen Verkaufspreise für Comicalben, die zuvor lange Zeit auf hohem Niveau stabil geblieben waren, zuletzt wieder etwas an (ein Carlsen-Comic wie «Valerian & Veronique» kostete 1978 5,80 DM, heute 10,00 €, dafür wurde aber die Druck- und Papierqualität stark verbessert, so daß sich ein Vergleich eigentlich verbietet). Damit sind Farbcomics aber auch zu Luxusgütern geworden, so daß Comichändler zunehmend den Wunsch ihrer Kunden nach 5-Euro-Comicalben weitermelden. Daß (vor allem Klein-) Verlage dem bei den heute zu kalkulierenden Auflagen nicht nachkommen können, muß hier wohl nicht weiter erläutert werden. À propos Auflagen: In Ergänzung zu Britta Madeleine Woitschigs Frankreich-Bericht sei erwähnt, daß ein neuer Titeuf-Band erschienen ist (der Vorgänger wurde 2006 mit 1,8 Millionen Auflage notiert) und in dessen Gefolge fünf weitere Titeuf-Titel wieder einen Platz unter den Top 15 erklommen. Glücklicher Zep, der wohl verschmerzen kann, daß seine Serie in Deutschland unter «ferner liefen» vermerkt ist.
Bei dem bescheidenen Boom frankobelgischer Comics bleiben die deutschen Zeichner, die unter diesen Bedingungen kaum mehr als die Materialkosten refinanzieren können, außen vor. Reinhard Kleists «Cash» gilt mit ca. 15.000 verkauften Exemplaren als Bestseller, die meisten anderen Comics liegen weit darunter. Zum Glück gelingt es immer mehr Künstlern, ihre Werke auch im Ausland zu verlegen (auch wenn es manchmal etwas dauert: Matthias Schultheiss’ Bukowski-Adaption von 1979 [1983 bei Heyne erschienen] fand 2005 einen Verlag in Italien). Ob die großen Verlage Carlsen und Egmont bei einer möglichen Erweiterung ihres Albenangebots (im Moment beschränkt sich diese auf Gesamtausgaben überwiegend bekannten Materials) auch wieder auf deutsche Zeichner zugehen, wird sich zeigen. Egmont-Ehapa hat gerade die Neu-Edition der «Rudi»-Comics von Peter Puck abgeschlossen, für den zweiten Band von «Chronik der Unsterblichen» steht vier Jahre nach Publikation des ersten Bandes immer noch kein Erscheinungstermin fest. Tokyopop schließt mit «Kleiner Thor» von Kim Schmidt und Patrick Wirbeleit die Lücke zwischen Jeff Smiths «Bone» und dem Manga-Programm. Von den «klassischen» und damit vorwiegend frankobelgische Lizenzen verwertenden Albenverlagen leisten sich nur Epsilon (dessen optimistischer Verlagsleiter Mark O. Fischer – zwischen 2003 und 2008 erschienen insgesamt 79 Titel, bis Mai 2009 ist nun die beachtliche Zahl von 63 angekündigt, – seit März 2008 auch für die Inhalte von ZACK verantwortlich ist) und der von den Comiczeichnern Horst Gotta, Delia Wuellner-Schulz und Dirk Schulz geführte Splitter Verlag Eigenproduktionen: Im Oktober erscheinen «Damian und Alexander 1 – Der grüne Jaguar» des Berliner Buchillustrators Thilo Krapp bei Epsilon und «Seide und Schwert» nach Kai Meyer von Ralf Schlüter bei Splitter. Daneben gibt es die Verlage, die eher den Graphic Novels zugerechnet werden und die (neben den halben Selbstverlagen wie Zwerchfell und Weissblech) die eigentliche Heimat deutscher Zeichner geworden sind: Reprodukt, Edition 52 und Schwarzer Turm (und als Verlag für Schweizer Zeichner die Edition Moderne).
Große Anstrengungen, deutsche Zeichner zu pushen, unternahmen auch die Manga-Verlage, in erster Linie Tokyopop und Carlsen mit der eigenen Germanga-Reihe CHIBI. Andererseits scheint nun langsam das ein-zutreten, was lange vorausgesagt wurde: Der Manga-Markt expandiert nicht mehr weiter, geht sogar merklich zurück, zumindest, was die reine Anzahl der neuveröffentlichten Titel angeht. So reduzierte EMA seinen monatlichen Ausstoß von 24 auf 12 Taschenbücher. Auch Planet Manga halbierte seine Neuerscheinungen, nur Carlsen und Tokyopop scheinen bisher unbeeindruckt. Andererseits finden japanische und koreanische Comics abseits der dominierenden Teenie-Themen verstärkt Eingang in die Programme anderer Verlage (z. B. bei Schreiber und Leser und dessen Shodoku-Label). Neben einer Liste der abgebrochenen Comic-Serien, die etwa 400 Serien umfaßt und viel zur Gründung von Finix Comics beigetragen hat, kursiert intern mittlerweile eine Liste, die abgebrochene Manga-Reihen notiert. Demnach hat Planet Manga knapp ein Fünftel seiner 122 auf www.comic guide.de aufgeführten Serien abgebrochen oder auf Eis gelegt, EMA etwa jede siebte (von 246). Die Gründe waren vielfältig (so auch wegen Indizierungsgefahr, andere Serien wurden in Japan nicht fortgeführt), dennoch sind dies keine vertrauensbildenden Maßnahmen. Der Comicmarkt leidet schon genug unter der zunehmenden Schar von Sammlern, die sich eine Serie erst zulegen wollen, wenn sie abgeschlossen ist.
Dramatisch kleiner wird dagegen die Schar der Käufer der MICKY MAUS. Auf dem Höhepunkt anfangs der 90er Jahre noch dank des erweiterten Absatzmarktes bei einer Rekordmarke von 650.000 verkauften Hefte, wurde das älteste bis heute erscheinende deutschsprachige Comic-Heft erstmals in seiner Geschichte von einer anderen Kinderzeitschrift überholt: Im zweiten Quartal dieses Jahres brachen die Verkäufe im Vergleich zum ersten Quartal um knapp 67.000 Hefte pro Ausgabe ein, so daß das ebenfalls Leser verlierende GEOlino mit 253.329 verkauften Exemplaren an der Disney-Postille (249.210) vorbeizog. Gewinner waren übrigens Prinzessin Lillifee (plus 22.189 = 15,7%) und Sesamstraße (plus 15.798 = 61,4%!!!). Hingegen wird in der Comicszene schon als Erfolg vermeldet, daß das Fachmagazin COMIXENE nicht eingestellt werden mußte.
Zum Schluß zwei Jubiläen: Superman, der 1938 in ACTION COMICS 1 seinen ersten Auftritt hatte, wurde 70 (zum Prozeß der Erben seiner Schöpfer gegen den Verlag mehr im Artikel zum Comicmarkt USA) und Deutschlands seltenstes Comicfanzine, ZEBRA, feierte den 25. Geburtstag sogar mit einem Farbcover der 17. Ausgabe, obwohl das Heft 1983 mit einem unverbrüchlichen Bekenntnis zu Schwarzweiß angetreten war.
Verwiesen sei noch auf unseren Zusatzservice, die Internetseite www.comic-i.com/Jahrbuch09.html, auf der alle Weblinks aus diesem Buch zu finden sind.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2008
240 Seiten S/W
EUR 15,25
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