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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2005
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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COMIC!-JAHRBUCH 2006

Die niederländische Comic-Szene:
Schwimmen gegen den Strom

Von Rik Sanders
Aus dem Holländischen von Mark O. Fischer


Der Niederländische Comic-Markt steckt in einer Krise: Der Vertrieb stockt, der Konsument hält die Hand über das Portemonnaie und Comicshops laufen mühsam. Verleger und Comic-Zeichner ließen sich jedoch nicht von ihrem Weg abbringen: Zahlreiche besondere Ausgaben und Projekte kamen im letzten Jahr ans Licht. Außerdem lockten viele Comic-Veranstaltungen die regionale Presse an und es gab viel Anteilnahme am Tod von Marten Toonder, dem größten Comic-Autor der Niederlande.

In der zweiten Hälfte von 2004 machten die ersten Gerüchte die Runde: Der Amsterdamer Comic-Vertrieb Het Raadsel geriet in finanzielle Schwierigkeiten wegen der ökonomischen Flaute, gipfelnd in einem Konkurs zu Beginn Januar 2005. Das brachte die niederländische Comicwelt in helle Aufregung, da Het Raadsel ein wichtiger Verteiler von Comic-Alben und small-press-Ausgaben war. Comicläden bekamen Probleme in der Zulieferung, wodurch ein Teil des Umsatzes wegfiel. Das konnten einige Ladenbesitzer gar nicht gebrauchen, da der ökonomische Abstieg dort auch schon dafür sorgte, daß Konsumenten weniger Geld für Comics ausgaben. An den Stammkunden liegt es nicht, es ist vor allem das normale Volk, das in besseren Zeiten auch Alben kauft, aber heutzutage die Comicläden links liegen läßt. Der Vertrieb von Het Raadsel wurde inzwischen von verschiedenen Parteien mit unterschiedlichen Lieferbedingungen übernommen, wodurch die Verbreitung immer noch zäh verläuft. Es hat eine Anzahl Läden den Kopf gekostet, wie z.B. die Kette Atomik, die in Süd-Niederlande operierte. Doch ist das Bild nicht überall negativ: der berühmte Comic-Shop Lambiek in Amsterdam konnte Ende 2004 mit einem neuen Eigentümer durchstarten.


Medienspektakel

Um beim Positiven zu bleiben: der Gewinner des Stripschapprijs, dem wichtigsten niederländischen Preis für die Bildergeschichte, ging Ende Oktober 2004 an Mark Retera. Er hat in den Niederlanden mit seinem Gagstrip über den Ex-Studenten Dirkjan Furore gemacht. Was im letzten Jahr – Sommer 2004 bis Sommer 2005 – namentlich auffiel, war das regionale Medien-Interesse, das Comics zuteil wurde. So wurde Retera in einer populären TV-Sendung empfangen und selbst die Tagesschau berichtete über eine Comicadaption des Lebens von Prinz Bernhard. Die Autoren Erik Varekamp und Mick Peet beschreiben in der Serie «Agent Orange» (Van Praag Verlag) das Leben des deutschen Prinzen von Lippe-Biesterfeld und letzten Ehemanns von Königin Juliana (der somit auch Seine Königlichen Hoheit, Prinz der Niederlande wurde). Im ersten Teil zeigt das Duo, wie Bernhard in den dreißiger Jahren Mitglied der NSDAP wurde, basierend auf bereits bestehenden historischen Untersuchungen und Papieren aus amerikanischen Archiven. Der Prinz fühlte sich daraufhin genötigt mit einem offiziellen Schreiben zu reagieren, in dem er zugab, daß die Dokumente echt waren, aber abstritt, daß er sich selbst angemeldet hatte. Das soll einer seiner Freunde getan haben! Kurz darauf starb Bernhard. Es blieb bemerkenswert, daß ein Mitglied des Königshauses ein Comicbuch zum Anlaß nahm, eine Erklärung abzugeben.
Daß Comics heftige Reaktionen hervorrufen können, fand auch Zeichner Guido van Driel heraus. Er machte im Auftrag der Gemeinde Dongeradeel (Friesland) das Buch «Om mekaar in Dokkum» (Umeinander in Dokkum, Oog & Blik Verlag) und bekam freie Hand. In seinem Album treffen sich ein Krimineller und ein Asylant in besagtem friesischen Ort, auf einem Platz, wo 1250 Jahre zuvor der christliche Missionar Bonifacius von den Friesen ermordet wurde, weil er ihre heilige Eiche fällen ließ. Die Begegnung läuft auf eine philosophische Debatte hinaus, in der leichte (die Vergnügungen des Lebens) und schwere Themen (das multikulturelle Zusammenleben) einander abwechseln. Diverse Ratsfraktionen der Gemeinde störten sich aber an den Flüchen und Streitereien in dem Buch, das als Werbegeschenk an die Bürger verteilt werden sollte. De Gemüter erhitzten sich, aber letztendlich kam als Kompromiß heraus, daß nur Bürger, die danach fragen, ein Exemplar erhalten.


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