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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2005
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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COMIC!-JAHRBUCH 2006

Brüssel – eine Stadt im Comic-Fieber
Ein Reisebericht

von Martin Frenzel


Belgien hat mehr zu bieten als Pommes Frites, Pralinen oder René Magritte. Kaum eine Stadt der Welt ist derart von Kopf bis Fuß auf Comic-Kultur eingestellt wie Brüssel: Die definitive Comic-Hauptstadt feierte sich im Jubiläumsjahr 2005 zum 175. Gründungsjahr Belgiens selbst. Kein Wunder, verfügt doch Belgien mit über 650 Comic-Autoren bei zehn Millionen Einwohnern über eine enorme Pro-Kopf-Dichte in Sachen Comic-Kultur. Per anno erscheinen die Alben und Serien belgischer Produktion in einer Gesamtauflage von etwa 40 Millionen Exemplaren, dreiviertel davon werden ins Ausland exportiert. Den Titel Comic-Hauptstadt Europas führt Brüssel seit 1996, als man – ob berechtigt oder nicht, sei dahingestellt – den 100. Jahrestag des Comic feierte.

Im Juli dieses Jahres ging – ganz im Zeichen der belgischen 175-Jahr-Feiern – ein großes Tintin-Comicfestival zu Ehren Hergés in Brüssel über die Bühne, mit üppigen, die ganze Stadt prägenden Events. So fuhren die alten Straßenbahnen wieder, ganz im Stile der 1950er Jahre. In den Tagen des Tintin-Festivals im Juli gab es durch Brüssel sogar ein Seifenkistenrennen mit Wagen des Typs, wie ihn die beiden Ulk-Detektive Schulze und Schultze (Dupont und Dupont) in Hergés Klassiker fahren. Etwa 30.000 Besucher mischten sich unters Tim-begeisterte Volk: Wer mochte, konnte am 21. Juli eine Ausstellung mit Originalzeichnungen und Skizzen sehen, die die Fondation Hergé freigegeben hatte. Zu bewundern war die Schau nur an einem einzigen Tag (daher der Titel: «L’Exposition d’un jour») im Kunstmuseum Palais de Charles de Lorraine in der Brüsseler Innenstadt. Eintritt war frei, Gelegenheit also, die derzeit wegen Restaurierungsarbeiten eigentlich streng gehüteten Arbeiten Hergés in Augenschein zu nehmen. Zu den Highlights des Ereignisses zählte die Farb-Titelseite des ersten Tintin-Abenteurs, «Tim in Lande der Sowjets» von 1929. Auf Bildschirmen wurden Filme gezeigt, wie die Restaurateure versuchen, Hergés Originalzeichnungen und Skizzen vor dem Zerfall zu retten. Furioser Schlußpunkt der Schau: Ein Foto mit dem geistigen Oberhaupt der Tibeter, dem Dalai Lama, beim Lesen von «Tim in Tibet».
Zu den Skurrilitäten des Tintin-Festivals gehörte auch ein Maskenball im Hotel Metropole: Wer dort Einlaß begehrte, kam nur verkleidet als eine der zahlreichen Figuren des Tintin-Universums hinein – sei es als Bianca Castafiore, Rastapopoulos oder Professor Bienlein. Die belgische Post edierte überdies zum 75. Geburtstag der «belgischsten» aller Hergé-Serien, «Quick et Flupke», eine Postkartenserie mit den beiden Brüsseler Lausbuben.
Krönung des belgischen Comic-Jahres bildet die Präsentation des neuen, 33. Asterix-Albums in Brüssel am 22. September 2005: Altmeister Albert Uderzo (78) wird das Geheimnis um die neue Gallier-Geschichte lüften und hernach die größte Asterix-Ausstellung aller Zeiten «Un monde-miroir d’Astérix» (Die Welt im Spiegel von Asterix) auf dem Gelände der Brüsseler Buchmesse eröffnen. Auf 2.000 Quadratmetern und bei einem Budget von 450.000 € glaubt man dies aufs Wort. Ein imposantes Rahmenprogramm rund um Asterix ist geplant: Unter anderem soll am 23. September auf dem traditionsreichen Grande Place ein Original-Asterix-Dorf aufgebaut werden, mit einem drei Meter hohen und zehn Tonnen schweren Obelix-Hinkelstein in der Mitte des Platzes. Ein Asterix-Wandmalerei wird in der Rue de la Buanderie eingeweiht, Albert Uderzo wird eine Ehrenmedaille erhalten, eine Asterix-Roller-Parade soll stattfinden ... Uderzo wird zudem Brüssels Wahrzeichen Manneken Pis als Obelix verkleiden. Paradoxerweise, bei aller zu Schau gestellter Verbundenheit, war das letzte von Goscinny getextete Asterix-Album, «Asterix bei den Belgiern» (1977), eins der schwächsten der Serie überhaupt. Dem Rummel um Asterix und dessen totale Vermarktung wird dies vermutlich keinen Abbruch tun.
Auch die 175-Jahre-Jubiläums-Schau «Made in Belgium» – zu sehen im Dexia Art Center – präsentierte eine Comic-Zone mit den Werken Hergés, Jacobs’ und Franquins, Jacques Martins, Jijés, Vandersteens, Peyos und Morris’ sowie Marc Sleens, um nur einige zu nennen.
Und im April 2005 ging ein Festival B.D. über die Bühne, das die ganze Stadt – vom grandiosen Grande Place bis zu den Außenbezirken – vermittels Ausstellungen und Programm in Beschlag nahm. Vom 1. bis 15. April stand die Stadt ganz im Zeichen des Zwei-Wochen-Festivals «Quinzaine de la BD de Bruxelles» (14-Tage-Comic-Festival von Brüssel). Leitidee der Veranstaltung des Tourismusamts der Stadt Brüssel: «Bruxelles, Capitale de l’Europe et Ville de la BD» (Brüssel, die Hauptstadt Europas und Stadt der Comic-Kultur). Höhepunkt der Festival-Aktivitäten: Die Verleihung der Comic-Preise der Stadt Brüssel am 15. April für die beste Serie, das beste Jugend-Album und den besten (noch nicht veröffentlichten) Nachwuchsautor. In der Kategorie «Bester Comic» ging die mit 1.000 € dotierte Auszeichnung der Stadt an das Duo der Gebrüder Jouvray für deren Album «Lincoln» (erschienen bei Pacquet). Die beiden Jouvrays dürfen nun zum Dank Brüssel um eine weitere Hauswand-Malerei verschönern, die bis April 2006 vollendet sein soll. Den Jugendcomic-Preis (1.500 €) heimste Mauricet für das bei Casterman erschienene Album «Mort de Trouille» ein.
Den Talentpreis gab die Jury, in der u.a. Johan de Moor, Sohn des berühmten Tim-und-Struppi-Studiozeichners Bob de Moor («Barelli»), selbst Comic-Zeichner und Professor an der Comic-Akademie St. Luc, Mitglied ist, an Assunta Ruocco für die Kurzgeschichte «Le Bonheur».
Auch das Centre Belge de la Bande Dessinée vergibt alljährlich einen Nachwuchscomicpreis, den Prix de Lion (Löwen-Preis).
Im Blickpunkt des 14-Tage-Festivals standen aber vor allem die über die ganze Stadt Brüssel verstreuten Ausstellungen: In den Halles St. Géry am Place St. Géry gab es die großen Comic-Meister zu sehen, die fürs Magazin «Geo» den Comic-Blick in die Ferne schweifen ließen: Stars wie Moebius, Mattotti und Schuiten, Boucq, Juillard und Crécy, Loustal, Muñoz, Dupuy und Berbérian waren hier mit von der Partie.


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