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COMIC!-Jahrbuch 2006
Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2005
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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COMIC!-JAHRBUCH 2006

Das COMIC!-Jahrbuch 2006
Vorwort

Von Burkhard Ihme

Der Comicmarkt ist weiter im Umbruch. Von einigen liebgewonnenen Segmenten mußten sich die großen Verlage zu großen Teilen verabschieden, anderes ist neu, wieder anderes kommt nun nach langen Jahren wieder. Neben vereinzelter Trauer herrscht aber vor allem das Prinzip Hoffnung vor.

Carlsen und Egmont (Ehapa Comic Collection) haben sich von vielen Titeln aus ihrem franko-belgischen Programm (lange Jahre das Standbein dieser Verlage) verabschiedet. Während Egmont einige Mehrteiler bis zum Abschluß des angefangenen Zyklus’ fortsetzen will, sagte Carlsen auch langjährigen Serien leise Servus. So werden die Leser auf Franquins «Gaston» (nun ohne deutschen Verlag – dafür sind die «Schwarzen Gedanken» nach mehrjähriger Verzögerung endlich erschienen), die Fortsetzungen von «Helden ohne Skrupel», «Polstar» oder der Hauptserie von Lewis Trondheims «Donjon» vorerst verzichten müssen, während «Donjon Parade» (einer der drei Ableger der Serie), «Theodor Pussel» und «Yakari» (23 Jahre lang im Programm der Hamburger) künftig bei «Küchentischverlegern» wie Reprodukt und Salleck Publications erscheinen werden.
Wie diese Kleinverlage, die ihre Käufer überwiegend in den Comicfachgeschäften finden, peilt auch Egmont mit den Gesamtausgaben von «Lucky Luke» und Carl Barks («Carl Barks Collection» zum Gesamtpreis von 1500 € bei der Egmont-Tochter Horizont) eine ältere und zahlungskräftigere Klientel an (auch eine «Blueberry»-Gesamtausgabe ist im Gespräch). Die Wünsche der klei-ner werdenden Gruppe von passionierten Lesern franko-belgischer Comics werden zunehmend von Verlagen wie Kult Editionen (größter Anbieter in diesem Segment, zudem mit dem Vertrieb Medienservice Wuppertal im Rücken) Comicplus, Schreiber & Leser und möglicherweise Epsilon erfüllt. Nachdem dessen rühriger Verleger Mark O. Fischer in den vergangenen Jahren zahlreiche Titel angekündigt hat, von denen bisher erst ein Bruchteil erschienen ist, will man die Hausaufgabenliste bis Ende dieses Jahres abarbeiten: 34 Titel sollen in den verbleibenden Monaten erscheinen (und weitere 86 stehen bis September 2006 auf der Agenda). Mit «Bunte Dimensionen» wird ab Oktober ein weiterer Verlag französische Comics veröffentlichen.
Alle diese Verlage haben gemeinsam, daß sie mit Verkaufszahlen profitabel arbeiten können, die Egmont und Carlsen längst das Handtuch werfen lassen. So gab Georg F.W. Tempel (bei Egmont u.a. zuständig für das Albenprogramm der Ehapa Comic Collection) zu, daß die französische Topserie «Spoon & White» in Deutschland gerade 1400 mal über die Ladentische ging – bei einem Break-Even-Point von 5–7.000 Exemplaren. Dennoch bemühen sich die Großverlage, in deren Redaktionen ausgewiesene Fachleute sitzen, die selber aus der Fanszene stammen, ihre Leser bei der Stange zu halten, auch wenn sie angesichts der Masse der in den letzten 20 Jahren abgebrochenen Serien auf fast verlorenem Posten stehen.
Umstritten in der Szene sind auch Experimente wie Carlsens Version von «Jenseits der Zeit» von Olivier Pont und Georges Abolin, im Original eine klassische Albumreihe, beim Hamburger Verlag eine um 40 % auf 17 x 24 cm reduzierte Gesamtausgabe. Dies geschah in Hinblick auf den Buchhandel, der Großformatiges nicht schätzt, und zur Reduzierung der Kosten. Der Erfolg scheint dieser Maßnahme recht zu geben. Die Szene befürchtet, das Beispiel könne Schule machen. Denn Formatreduzierungen sind weder augenfreundlich noch entsprechen sie den Intentionen der Künstler, die ihre Originale auf die Veröffentlichung hin konzipieren und bemessen.
Epsilon experimentierte dagegen mit reduzierten Verkaufspreisen für seine Alben (einmal zeitlich, einmal auf einzelne Serien beschränkt). Ob der Zugewinn an Lesern die deutlich schwindende Gewinnspanne ausgleichen kann, ist noch nicht entschieden.
Für das jüngere Lesepublikum werden im traditionellen Buchhandel fast ausschließlich Manga (japanische Comics), Manwha (die koreanische Spielart) und «Germanga» angeboten. Mit Tokyopop ist seit einem Jahr ein weiterer Mitbewerber im weiterhin expandierenden Taschenbuchmarkt vertreten (Interview mit Verlagsleiter Joachim Kaps auf Seite 84). Das nahe Ende der Fahnenstange wird weiterhin prophezeiht, noch ist es allerdings zu keinen Einbrüchen wie in den USA (US-Markt-Bericht auf Seite 156) gekommen. Joachim Kaps erkärte in einem Fernsehinterview, 90 % aller verkauften Comics in Deutschland seien Manga. Da kann zumindest die MICKY MAUS nicht eingerechnet sein ...
Damit sind wir beim Zeitschriftenmarkt, in dem Egmont-Ehapa (MICKY MAUS, LÖWENZAHN, BIBI BLOCKSBERG, BENJAMIN BLÜMCHEN, WENDY) im Bereich Kinder- und Jugendcomics in den letzten Jahren beinahe ein Monopol besaß (der auflagenstärkste Mitbewerber Simpsons wendet sich zudem an eine andere Altersgruppe). Doch nun kommt neue Konkurrenz, zunächst aus dem eigenen Haus. Im September erschien nach 5jähriger Pause das kurz vor seiner Einstellung von Gruner+Jahr erworbene «Gimmick»-Magazin YPS mit einer 32-seitigen Testausgabe, der zunächst eine kurze kreative Pause folgen soll. Wenige Wochen zuvor ging bereits FRÖSI an den Start, die Wiedergeburt einer in den alten Bundesländern nahezu unbekannt gebliebenen (und im Gegensatz zu MOSAIK weitaus ideologischer angelegten) DDR-Jugendzeitschrift. Um einen größeren Teil des Kuchens werden sich Tigerpress und FIX UND FOXI (in den 50er- bis 90er-Jahren größte Rivalen der MICKY MAUS) bemühen. Ebenfalls im Retro-Trend, aber in einer anderen Liga spielend, liegt PERRY – UNSER MANN IM ALL, den eine Zeichnergruppe um Karl Nagel und Wittek in der Hamburger «Alligatorenfarm» gerade wiederbelebt. Es wird mit Spannung beobachtet werden, wie sich der Markt neu sortiert (Stefan Pannor berichtet auf Seite 76).
Ebenso wie junge Leser braucht der Comicalben-Markt (der harte Kern wird auf etwa 5–10.000 Kunden geschätzt) frisches Blut aus den Reihen der ehemaligen und Gelegenheits-Leser. Große Hoffnung setzt die Szene dabei auf die Editionen von BILD und F.A.Z. (Interview mit Andreas Platthaus auf Seite 72), die nicht nur preisgünstig Comicklassiker wie «Asterix», «Superman» und «Micky Maus», aber auch Will Eisners «Spirit» und «Corto Maltese» publizieren, sondern darüber hinaus gewaltig die Werbetrommel rühren. Die Euphorie wird allerdings deutlich durch die traurige redaktionelle Aufbereitung bei BILD und die starke Verkleinerung und den schlechten Druck auf dünnem Papier mit falscher Laufrichtung in der F.A.Z.-Reihe getrübt.
Auch von Comicverfilmungen erhofft sich die Branche neue Leserschichten. Bisher kamen und gingen aber auch Blockbuster wie «Spider-Man» und «X-Men», ohne sich nennenswert in den Verkäufen der Comicverlage (in den genannten Beispielen Panini) niederzuschlagen. Anders ist dies beim Asperger Kleinverlag «Cruss Cult», der mit «Hellboy» von Mike Mignola und insbesondere «Sin City» von Frank Miller von der Crosspromotion profitierte und sogar Rang 8 der Amazon-Verkaufs-Charts (noch vor der BILD-Comic-Bibliothek) erklomm.
Abschied nehmen mußte man in diesem Jahr vom Vertrieb Modern Graphics, der im März Insolvenz anmeldete (mittlerweile hat sich als Nachfolger Infinty Paperwerk gegründet), und von dem Zeichner und Theaterautor F.K. Waechter, der wenige Tage vor Drucklegung dieses Jahrbuchs im Alter von 67 Jahren als drittes Mitglied der Neuen Frankfurter Schule innerhalb von 14 Monaten gestorben ist (siehe Nachruf auf Bernd Pfarr und Chlodwig Poth im COMIC!-Jahrbuch 2005).
Erfreulich im abgelaufenen Jahr ist der hohe Anteil an Eigenproduktionen, sowohl bei den Manga als auch im europäischen Bereich (mittlerweile werden bei Egmont die franko-belgischen Alben von denen deutscher Autoren «finanziert» – läßt man einmal «Asterix» außen vor –, früher war das umgekehrt). Kleinverlage wie Zwerchfell, Reprodukt und Edition 52 haben weiterhin die höchste Eigenproduktionsquote und im vergangenen Jahr wieder bemerkenswerte Alben vorgelegt (auch wenn die Jury des ICOM Independent Comic Preises das außerordentlich hohe Niveau von 2003 vermißte). Einzig bei den Superheldencomics sieht das naturgegeben anders aus (das rührige, aber mäßig talentierte «Germania-Comic-Team», das sich um die Kreation deutscher Superhelden mühte, hat sich in diesem Jahr aufgelöst).
Auch im Ausland werden deutsche Zeichner zunehmend wahrgenommen. So erscheinen zahlreiche Comics, darunter «Die Chronik der Unsterblichen» von Hohlbein/Kummant/Eckartsberg, «Wir können doch Freunde bleiben» von Mawil und «Hector Umbra» von Uli Oesterle (siehe auch die Berichterstattung zum ICOM Independent Comic Preis im COMIC!-Jahrbuch 2005) mittlerweile auch in anderen Ländern der Europäischen Union (z. B. in Frankreich, Holland, Spanien).
Was bisher noch der Ersteigung des Mount Everest gleichkam, gelang im vergangenen Jahr einigen Werken der Neunten Kunst: In angesehenen Literatursendungen wie «Druckfrisch» (ARD), «Lesen» (ZDF) oder «Literaturclub» (SRG) wurden sie wohlwollend bis euphorisch rezensiert und diskutiert. Kein Kritiker der Nachkriegsgeneration, der nicht wenigstens «Maus» von Art Spiegelman im Regal stehen hat, oder besser, ungefragt in die Kamera hält. Vielleicht wird eine Comic-Ecke im Feuilleton für eine Zeitung irgendwann so selbstverständlich wie eine Filmkritik.
Dies war auch eine der Intentionen, als sich vor 25 Jahren einige Comiczeichner und -autoren zunächst in Köln, einige Monate später in Erlangen trafen und einen Verband gründeten (siehe die Seiten 8 und 12), dessen Ziel die Präambel der Satzung von 1983 so formulierte:
«Es soll daher die Aufgabe dieses Verbandes sein, Vorurteile abzubauen, die Belange des deutschen Comics zu fördern und ihm zu künstlerischer Blüte zu verhelfen.»
Na, dann viel Glück in den nächsten 25 Jahren, lieber ICOM!



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