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ICOM Independent Comic Preis
Die Gewinner des ICOM Independent Comic Preises 2025
Bester Independent Comic (Selbstveröffentlichung)

"Es geht auch ohne Ehrgeiz"
von Max Julian Otto

Die Idee ist schon fast frech: einen Comicroman über das Fehlen von Ehrgeiz zu schreiben – und dann dafür auch noch einen Preis zu gewinnen! Genau das gelingt Max Julian Otto mit "Es geht auch ohne Ehrgeiz – Willkommen im Café Cycliste", dem Gewinner des ICOM Independent Comic Preises 2025 in der Kategorie Selbstverlag. Zurecht, wie ich hinzufügen möchte. M. Stricker, der Hauptcharakter, hätte eigentlich alles, um ein Erfolgsmensch, ein Held zu werden wie sein Vater: ein Radprofi, eine echte Sport-Legende. Statt triumphierend in dessen Fußstapfen zu treten, eröffnet M. lieber ein Fahrradcafé – einen Ort, an dem er hofft, endlich in Ruhe Kaffee zu trinken, Musik zu hören und aus dem Fenster zu schauen. Doch das wilde Leben lauert ausgerechnet vor diesem Fenster: Gäste! Die auf sündhaft teuren Rädern in seine Ruhe radeln, um Selfies mit den ausgestellten Devotionalien des Vaters zu schießen und im Klicktakt Fachfloskeln zu gebären. Sie erinnern M. ständig daran, wie wenig er den Erwartungen seines Vaters entspricht. Wird er scheitern? Das allein wäre schon genug Drama für eine ganze Graphic-Novel-Serie.

Aber Otto lässt es dabei nicht bewenden.

Er stellt M. eine P. an die Seite, deren quirliges ADHS die verschlafene Welt des Café Cycliste mächtig aufwirbelt. Er schenkt ihm einen barfußlaufenden Nachbarn, dessen Sicht auf die Dinge sich überraschend als lebensweisend entpuppt. Und da gibt es ein geheimnisvolles Wesen, das vielleicht aus der Unterwelt stammt – oder sich aus M.s eigenem Unterbewusstsein manifestiert, was dem Ganzen einen kafkaesken Touch verleiht und den Leser zum Mitwisser macht.

Besonders clever ist Ottos, beziehungsweise M.s, ironische Erfindung des "Ohrkondoms": ein amüsantes Accessoire, das vor dem ewigen Lärm der Leistungsgesellschaft zu schützen vermag. Man fragt sich während der Lektüre mehrfach, ob so ein Ohrkondom tatsächlich hilfreich wäre und ertappt sich dabei, diesen Gedanken erschreckend ernst zu nehmen.

Otto beherrscht es meisterhaft, subtile Tiefgründigkeit mit humorvoller Leichtigkeit zu verbinden. Seine Zeichnungen spielen elegant mit Erwartungen und bieten immer wieder überraschende Wendungen, feinsinnige Details und kluge Seitenhiebe auf das, was wir gesellschaftlich als Erfolg verbuchen.

Dabei gelingt es Otto, ganz unbemerkt auf die große Frage hinzuweisen, die unter der Oberfläche schlummert: Geht es wirklich ohne Ehrgeiz? Vielleicht nicht ganz aber es kann definitiv mit weniger fremdgesteuerten Vorgaben funktionieren, wenn der Fokus auf die richtigen Ziele und das eigene Wesen gerichtet ist. Genau darin liegt die Kraft dieses Werks: Otto predigt nicht, er zeigt. Ohne moralischen Laserpointer, aber mit viel Ironie und ehrlicher Zärtlichkeit für seine Figuren. "Es geht auch ohne Ehrgeiz" ist ein Comicroman, der zu gleichen Teilen Herz, Hirn und Humor besitzt und dabei beweist, dass das scheinbar Ziellose auch das eigentliche Ziel sein kann, dass es auf die Gesellschaft der richtigen Menschen ankommt, um nicht für immer eine One-Man-Show zu bleiben, dass man selbst leicht in geprägte Spurrillen geraten kann und diese besser in Lebenslinien wandelt.

Ein Buch, das definitiv in jedes Leben gehört. Eine Geschichte für Fahrrad-Fans, Kaffeesüchtige, Paketbotinnen mit ADHS oder unterirdische Begleitwesen und für alle, die den Mut haben, dem Leistungsdruck gelegentlich ein freundliches Lächeln entgegenzuhalten.

Diese Auszeichnung ist nicht nur richtig, sondern notwendig. Herzlichen Glückwunsch, Max Julian Otto, und danke für diese wunderbar ehrgeizlose Inspiration!

Sandra Nußer

Beschreibung und weitere Abbildungen in unserem Blog

Bester Independent Comic (Verlagsveröffentlichung)

"Zeter + Mordio"
von Jens Cornils
(avant-verlag)

Hamburg, 1684. Abraham Metz, ein jüdischer Händler und Familienvater, verschwindet spurlos. Weil er trank, weil er Schulden hatte, weil keiner es so genau wissen wollte, ging man davon aus, er sei einfach abgehauen – fort, weg von Frau und Kind.

Drei Jahre später wird Schmuel Lipmann bei einem Geschäft betrogen. Seine Frau Rebekka will das nicht auf sich sitzen lassen – und beginnt, nach dem Täter zu suchen. Dabei stolpert sie über Hinweise, die zu Abraham Metz zurückführen. Ist er wirklich untergetaucht? Oder war damals etwas Unheilvolleres im Spiel?

Mit "Zeter + Mordio" legt Jens Cornils ein Debüt vor, das mit Spannung, Humor und einem feinen Gespür für historische Zwischentöne überzeugt.

Der Comic gibt dem Hamburg des 17. Jahrhunderts eine eigene Stimme – irgendwo zwischen Gassenkrimi, Gemeindepolitik und Alltagsbeobachtung. Das Pacing sitzt. Die Geschichte fließt. Jedes Panel ist am richtigen Platz. Die grafische Novelle basiert auf den Memoiren der Glückel von Hameln – einer jüdischen Kauffrau, die zwischen 1647 und 1724 lebte, vierzehn Kinder großzog und nebenbei ein Handelsimperium führte.

Jens Cornils nimmt sich eine Episode aus ihren Aufzeichnungen und formt daraus eine Kriminalerzählung mit Witz, Wucht und Haltung. Was "Zeter + Mordio" besonders auszeichnet, sind seine Figuren. Rebekka ist klug, durchsetzungsstark und alles andere als angepasst – eine Frau, die sich nicht nur innerhalb der jüdischen Gemeinde behauptet, sondern auch gegen die gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit. Ihr Mann Schmuel dagegen wirkt mal unterstützend, mal überfordert – gelegentlich ist er sogar richtig anstrengend. Aber genau das macht die beiden so lebendig. Auch die jüdische Gemeinde wird nicht idealisiert, sondern als menschliches Miteinander gezeigt: mit Sorgen, Vorurteilen, Alltagsstreit und kleinen Momenten der Nähe. Und ganz nebenbei erfährt man mehr über das jüdische Leben der damaligen Zeit. Zwischen Antijudaismus, politischen Machtspielen und familiärer Selbstbehauptung entsteht ein komplexes Geflecht, das zeigt, wie fragil Zugehörigkeit sein kann.

Unterstützt vom Bildungsprojekt Geschichtomat will "Zeter + Mordio" nicht nur erzählen, sondern auch etwas vermitteln – ohne belehrend den Zeigefinger zu heben. Statt einer Postkartenkulisse erleben wir Hamburg als einen widersprüchlichen, spannungsgeladenen Ort, geprägt von Enge und Misstrauen. Und nein, niemand nimmt uns an die Hand. Wir sollen uns eigenständig umsehen in dieser Welt, die fremd erscheint und doch unangenehm vertraut ist. Dadurch werden die Zwänge jener Epoche umso spürbarer – und die leisen, klugen Wege, sich ihnen zu widersetzen, treten deutlich hervor. Was einst überlebenswichtig war, ist heute womöglich aktueller denn je. Kurz: Jens Cornils erinnert mit "Zeter + Mordio" daran, dass Geschichte lebendig werden kann, wenn man sie durchdacht und liebevoll wiedererzählt, statt sie museal hinter dickem Vitrinenglas verstauben zu lassen.

Adroth Rian

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Bester Independent Comic (Sonderpreis)

Marcus Behrendt (EMBE)

Marcus Behrendt, genannt EMBE, ist als Anreger, Erzieher, Vermittler, Musiker und langjähriger ehrenamt­licher Vorsitzender von toonsUp e.V. auf vielen medialen Kanälen präsent. Dass der einfühlsame, begnadete Zeichner in vielen Stilen zu Hause ist, muss gleich eingangs betont werden, damit es nicht untergeht. Stark konturierte, fast haptisch hervortretende Figuren sind sein Markenzeichen – großäugig-pupillenlose Pflastertreter, Biernasen, Vagabunden und Frechdachse, dazu gehört nicht zuletzt sein eigenes Konterfei mit bläulicher Brille und unvermeidlichem Käppi (wer hätte ihn jemals barhäuptig gesehen?). Aus EMBEs Stift und Pinsel fließen aber auch blumige Spielwiesen, zauberhafte Unterwasserlandschaften und kinderfreundliche Tiere.

In den Endsiebzigern im westfälischen Bad Oeynhausen geboren, wechselte EMBE ins quirlige Bremen und wurde Grundschul-Erzieher. Zeichnerisch teleportierte er sich in eine kosmische Anderswelt, Perryversum genannt, wo ihn der Friedenskanzler des Weltalls mit einem "Zell-Aktivator" ausgestattet haben muss. Anders als unkundige Terraner glauben, garantiert dieses eiförmige Implantat bei ihm nicht nur relative – auf Dauer eintönige – Unsterblichkeit, sondern unaufhaltsam sprudelnde Kreativ-Energie.

Die grafische Peripherie der Perry-Rhodan-Endlosserie hat EMBE gegen den Strich gebürstet. So entstanden die "Gucky"-Onepager, wo der pelzige Sidekick der Weltraumhelden Rhodan, Atlan und Crest nicht ganz so knuddelig-gewaltlos auftritt wie sein Gattungsname "Mausbiber" suggeriert. Die unter Fans kursierenden Aufrisse riesiger Kugeltransporter, Innenansichten von Raumstationen, Wimmelbilder mit blühender Flora und krabbelnder Fauna fremder Planeten waren ein Vorspiel für die kollektiv aufeinander gestapelten Comic-Eigentumswohnungen im toonsUp-Tower und die von EMBE ebenfalls bestückten und bevölkerten gläsernen Endlos-Waggonreihen des Outline-Express. Seit 2007 beteiligte er sich mit dem Hochladen von Werken und kreativen Ideen an toonsUp. Als 2017 die Existenz des Forums bedroht war, wurde EMBE Vorsitzender des gleichnamigen Vereins und konfrontierte die Comic-Welt, die sich zahlreich beteiligte, mit immer neuen Challenges, vom Rummelplatz bis zur Art-Battle.

Kultgeschichten und -figuren zu aktualisieren, ist sein Ding. Dass er sich haarsträubenden Narrativen wie der Bielefeld-Verschwörung, dem Inseldasein von "Robert Kruse" und einer UFO-Invasion widmet, kann da nicht verwundern. Beim 60. Geburtstag von Pittiplatsch, dem Star des DDR-Kinderfernsehens, in einer Sonderausgabe (2022) von Super-Illu war auch EMBE unter den Gratulanten, der seit 2023 das beliebte Sandmännchen im rbb zeichnerisch begleitet. Dem Königreich, das bei Lewis Carrol die neugierige Alice besucht, entlehnte EMBE eine schwer zu visualisierende Nebenfigur – das lebende Ei Humpty Dumpty, das von der Mauer fiel, hier aber unzerbrochen durchs Wunderland reist, als Pantomime, ohne auch nur die kleinste Sprechblase zu füllen. Und weil Hamlet auf die Frage des Polonius, was er gerade liest, mit "Words, words, words" antwortete, erfand EMBE im gleichen Ohne-Worte-Stil das bekannte Shakespeare-Drama neu. Für sein Lebenswerk verleiht die Jury EMBE den Sonderpreis des Independent Comic Preises 2025; der Rest ist Schweigen!

Nikolaus Gatter

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XPPen-Preis für herausragende digitale Comics
"Hirncomic"
von Sarah-Lyn Weitnauer und Lea Hümbs
(Selbstveröffentlichung)

Ein außergewöhnliches Sachcomic-Projekt, das Hirnforschung und Humor auf brillante Weise verbindet: die Hirncomic-Reihe von Neuromarketing-Expertin Sarah-Lyn Weitnauer und Illustratorin Lea Hümbs. Drei Bände, ein freilaufendes Gehirn namens Cerebri und eine spürbare Begeisterung, die unsere grauen Zellen elegant zum Schwingen bringt – genau der richtige Stoff, um vom ICOM ausgezeichnet zu werden.

Band 1 – "Der Wahrnehmung auf der Spur" entlarvt unseren Sehsinn charmant als trickreichen Illusionisten. Blind-Spot-Tests, freche Randnotizen und ein Dino, der im toten Winkel lauert, führen genüsslich vor Augen: Realität kommt bereits ab Werk weichgezeichnet daher.

Band 2 – "Die Filter der Wahrnehmung" legt noch einmal nach: Aufmerksamkeitsspots, Anker-Effekte und subtile Pupillenspiele demonstrieren, wie mühelos unser Gehirn gelenkt werden kann. Jede Seite ist dabei Workshop, Wimmelbild und Wake-up-Call zugleich – unsere Wahrnehmung wird zur fröhlichen Baustelle, ohne dass wir uns dabei fremdgesteuert fühlen.

Während wir also noch staunend überlegen, weshalb wir im Supermarkt stets zielsicher zur teuren Schokolade greifen, kündigt Band 3 – "Ist Wagrnehmung Realität?" an, unsere Denkmuster komplett zu hinterfragen. Capgras-Verwirrung, mentale Modelle und das clevere Spiel mit subjektiven Realitäten docken plötzlich an Synapsen von Philosophie und Psychologie. Es wird deutlich: Unsere Wirklichkeit ist weniger stabil als wir dachten.

Was verbindet diese drei Werke so gekonnt miteinander? Mut: Wissenschaft wird nicht hinter akademischen Mauern versteckt, sondern beherzt mit Konfetti beworfen. Haltung: Humor ist keine Dekoration, sondern ein intelligenter Erkenntnisbeschleuniger. Interaktion: Niemand bleibt passiv – Finger werden vor Augen gehalten, Farbbalken gezählt und Randkommentare bejubelt.

Die Rollen im kreativen Duo sind dabei klar und perfekt verteilt: Sarah liefert intellektuellen Zündstoff – präzise, humorvoll und stets nahbar. Wie ein Neuromarketing-"Doctor Strange" öffnet sie spielerisch Portale zwischen Forschungslabor und Alltag. Lea verwandelt diese komplexen Inhalte in minimalistisch-pointierte Illustrationen. Ihre charmanten Figuren, ihre kraftvollen Farbakzente und das präzise Timing machen jede Seite zum visuellen Genuss. Zusammen entsteht ein Leseerlebnis, das einem Roadtrip durch unser eigenes Oberstübchen gleicht – überraschend, kurzweilig und voller kleiner, lehrreicher Offenbarungen.

Die Quintessenz? Wir tragen ein Hochleistungsorgan mit verblüffend leichter Täuschbarkeit im Kopf. Die Hirncomics geben diesem Fakt nicht nur starke Bilder, sondern auch Würde, Witz und eine mühelose Zugänglichkeit. Sie holen Neurowissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm heraus und bringen sie direkt in Klassenzimmer, Küchen, Konferenzräume und – auf das Münchener Comicfest.

Ich fasse mir ein Hirn und erhebe mein imaginäres Mikroskopglas: Auf Sarah-Lyn Weitnauer, Lea Hümbs und Cerebri – möge ihr mitreißender Neuronenschauer weiterhin für inspirierende Erkenntnisse und viele schmunzelnde Gesichter sorgen. Herzlichen Glückwunsch!

Sandra Nußer

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"Max & Luzie in der Antike"
von Federico Frizzanti und Jan Suski
(Kult Comics)

Im Jahr 1983 erschien ein Comic-Heft mit dem Titel "Max & Luzie. Spannende Abenteuer in der Weltgeschichte". Zeichner war der junge Künstler Franz Gerg. Der Comic handelt von den beiden Kindern Max und Luzie, die zusammen mit dem Erfinder Kieks durch die Zeit reisen. Ermöglicht wird das durch das von Kieks erfundene sogenannte Luftmobil. Aus dem einen Heft wurde eine Serie, und die schaffte es auf ganze 74 Teile. Die drei Chrononauten besuchen verschiedene bedeutende Epochen und Persönlichkeiten der Weltgeschichte, ähnlich dem Konzept, das MOSAIK seit den 1950ern fährt, allerdings wechselt bei Gerg das Reiseziel von Heft zu Heft und der Umfang der Comics beträgt nur 16 Seiten. 2002 wird die Serie schließlich eingestellt.

Für immer? Nein. 2024 erscheinen überraschend zwei neue Teile. Im Rahmen einer geplanten und mittlerweile begonnenen Alben-Ausgabe der alten Hefte hat der Verlag Kult Comics Fortsetzungen in Auftrag gegeben, die nicht nur einen erhöhten Seitenumfang von 24 Seiten pro Episode aufweisen, sondern auch als Doppelpack im Alben-Format herausgegeben werden. "In Alexandria" und "Auf den Spuren Platons" heißen die beiden neuen Folgen, die im Album "Max & Luzie in der Antike" zu finden sind. Folge 1 entführt den Leser in den Alexandrinischen Krieg, als die Römer unter Gaius Julius Cäsar 47 v. Chr. die damals bedeutende Hafenstadt Alexandria angriffen.

Römer? Cäsar? Im Comic? Klingt irgendwie nach Asterix. Und in der Tat: Der neue Zeichner von "Max & Luzie", Jan Suski, unter anderem bekannt als Schöpfer diverser Überraschungsei-Figuren und durch die Comic-Reihen "Luzian Engelhardt" und "Gambert", schafft es mit seinem Stil nicht nur, eine kreative Brücke zu "Asterix" zu schlagen, sondern das Ganze auch mit dem ursprünglichen "Max & Luzie"-Artwork zu verbinden und gleichzeitig beidem gerecht zu werden, ohne einen Teil zu kolportieren oder zu kopieren.

Die Anklänge an "Asterix" mit Römern und Cäsar als großem Zampano lassen sich hauptsächlich in der 1. Folge finden, was vor allem thematisch/inhaltlich bedingt ist. Folge 2 spielt im antiken Griechenland der Zeit um 350 v. Chr. Die Protagonisten sind zu Besuch bei klassischen griechischen Geistesgrößen wie Aristoteles und Platon. An Dynamik und Klarheit sind die Zeichnungen kaum zu übertreffen. Das ist Kunst der Ligne claire im Semi-Funny-Stil in Reinkultur, die sich vor keiner Genregröße zu verstecken braucht und den Comic stilistisch auf oberstes internationales Niveau hebt. Handlung und Bilder verschmelzen zu einem großen Ganzen. So enthält der Comic Spannung und Spaß, vermittelt fast spielerisch Wissen und ist auf alle Fälle sehr unterhaltsam. Platons Höhlengleichnis zum Beispiel wird in nur drei Panels derart klar verständlich und einprägsam erklärt und dargestellt, dass man wirklich keine Chance hat, es nicht sofort zu verstehen und für immer im Gedächtnis zu behalten.

Jan Suskis Zeichnungen weisen aber noch eine weitere Besonderheit auf, die man mitunter erst auf den zweiten Blick entdeckt. In all den Details auf den einzelnen Panels verstecken sich nicht nur kleine komische Gags und lustige Hintergrund-Gimmicks, sondern auch liebevolle Reminiszenzen und Hommagen an das eine oder andere (Comic-)Werk der Popkultur. Damit wird man als Rezipient wieder und wieder dazu angehalten, das Werk erneut in die Hand zu nehmen und zu schauen, ob man in den unterhaltsamen Zeichnungen nicht doch noch irgendetwas Verstecktes entdecken kann, das man bisher übersehen hatte.

All diese Gründe bewogen die Jury, Jan Suski und seine Arbeit mit einem XPPen-Preis zu würdigen.

Dirk Seliger

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Nominiert für den ICOM-Preis waren außerdem:
"66 Mio. Jahre vor unserer Zeitt"
von Cornelis Jettke
(Selbstveröffentlichung)

Es beginnt mit den Sauriern vor 66 Millionen Jahren, die trotz ihrer Mächtigkeit schon an etwas litten, das sich offenbar von Anfang an durch die jeweils dominante Fauna des Planeten Erde zieht und von den alten Griechen schlichtweg Rheuma genannt wurde. Echt jetzt? Ein Comic über Rheuma? Im Ernst?

Nun, das Ganze ist wahrhaftig ein ernstes Thema, doch offenbar ein verharmlostes, vernachlässigtes und wenig ernst genommenes. Ein Thema ohne große Lobby, ohne hohe Dringlichkeit im Gesundheitssystem. Aber deswegen muss man es noch lange nicht totschweigen oder bitterernst damit umgehen. Es geht auch anders. Und wie das geht, zeigt dieses Stück Schwarzweiß-Kunst mit einer Jahrmillionen dauernden metaphorischen Zeitreise durch die Entwicklung bzw. Geschichte einer Volkskrankheit mit Hilfe von Divergenzgeplänkel zwischen Wort und Bild auf ganzen zwölf Seiten. Und am Ende gibt es einen Hoffnungsschimmer, wenn auch mit Tiefschlag.

Die Jury nominiert "66 Mio. Jahre vor unserer Zeit" von Cornelis Jettke für den ICOM Independent Comic Preis 2025 in der Kategorie "Sonderpreis".

Dirk Seligerr

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"Das Aachener Experiment"
von Henry Kreklow
(nonplusultra verlag aachen)


Auf Basis historischer Quellen, mit stimmigen Orts- und Personennamen berichtet der Comic eindringlich von einer Mordaktion des NS-Kinderkampfbunds "Werwolf", von der Planung bis zum Prozess und zu Freisprüchen jugendlicher Tatbeteiligter (der Schütze war durch eine Landmine ums Leben gekommen). Im Oktober 1944 war Aachen zwar durch US-Truppen befreit, aber größtenteils zerstört. Jenseits der belgischen und niederländischen Grenze wurde noch gekämpft. Die nicht-evakuierte Restbevölkerung wehrte sich gegen Zumutungen der Militärbesatzung, wer mit ihr kooperierte, dem drohte die verhetzte Hitlerjugend mit Terror. Auf Vorschlag des katholischen Bischofs machten die Amerikaner Franz Oppenhoff zum Bürgermeister, der als Anwalt entrechteter Juden gewirkt und sich dem Wehrdienst entzogen hatte. Er fiel dem Attentat zum Opfer, noch bevor das "Aachener Experiment" – Selbstreinigung der Deutschen durch Aufbau einer nicht-nazistischen Verwaltung – eine Chance hatte.

Mit perfekt gestalteten, keineswegs fotorealistischen Nacht- und Nebelszenen, gelegentlichen Metaphern (ein Seifenpulver heißt "Arier", eine Marlboro-Zigarette "Maulkorb") und fiktiven Dialogen wird die spannende Handlung im Stil des funny comic ausgeschmückt. SS-Männer, die vor Wut in die Schirmmütze beißen, Werwolf-Rekruten, denen beim Anblick von Panzerschokolade der Speichel trieft, vom Lolita-Charme des BDM-Mädels hypnotisierte Helfershelfer konterkarieren den sonst üblichen Moralismus und das rückwirkende Schwarzweiß-Sortieren – Kreklow nimmt seine Botschaft ernst, bringt sie aber ohne übertriebenen Zeigefinger vor: "Das sind nur Kinder", heißt es einmal, und: "Ja, Kinder mit blutigen Händen." Das Werk verdient eine Nominierung zum Sonderpreis des Independent Comic Preises 2025.

Nikolaus Gatter

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"Der Bärbeiß"
von Annette Peehnt, Jutta Bauer und Josephine Mark
(Kibitz-Verlag)

Als der Bärbeiß neu ins Dorf zieht, ist es mit der Harmonie erst mal vorbei. Er brummt. Er schimpft. Er buddelt Löcher in den Garten. Er hat keine Freunde. Und auch keinen Kuchen. Und das wundert keinen.

Während die anderen Nachbarn ganz schnell Abstand zu dem Kotzbrocken nehmen, glaubt Tingeli fest daran, dass hinter der harten Schale ein weicher Kern steckt. Aber hat sie damit auch recht?

Worauf läuft das eigentlich hinaus, fragt man sich da schnell. Darauf, dass auch der größte Griesgram in Wahrheit bloß missverstanden ist? Dass man mit genug Geduld andere verändern kann? Dass sich jedes Problem lösen lässt, solange man optimistisch bleibt?

Schön wär's.

Annette Pehnt, Jutta Bauer und Josephine Mark erzählen kein Märchen vom großen Wandel. Bei ihnen bleibt Tingeli quirlig und der Bärbeiß ein Grummel. Und trotzdem nähern sie sich an – nicht durch Selbstaufgabe, sondern weil sie einander immer wieder begegnen.

Nicht alles wird gut. Aber besser.

Die Comicadaption von "Bärbeiß" erweitert die Geschichte um eine Bildsprache, in der das Unausgesprochene oft lauter ist als jedes Wort. Was am Ende bleibt, ist keine Pointe – sondern eine leise Ahnung, dass Nähe manchmal anders aussieht, als man denkt. Und dass Freundschaft nicht automatisch bedeutet, dass alles passt, sondern dass man bleibt, auch wenn's knirscht und kracht. Die Jury würdigt diese humorvoll erzählte, visuell fein abgestimmte Arbeit mit einer Nominierung in der Kategorie "Beste Verlagsveröffentlichung" beim Independent Comic Preis 2025.

Adroth Rian

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"Cataract 1"
von Senta Gehrig
(Schwarzer Turm)

Eines Morgens wacht Cayan auf – und sieht auf seinem linken Auge nichts mehr. Na ja, nicht ganz. Flecken. Schatten. Schwarze Formen, die sich durch sein Sichtfeld bewegen. Als hätte er in Großkotzenburk – einer grell überzeichneten Bankenstadt – nicht schon genug Probleme am Hals. Jetzt darf er sich auch noch mit irgendwelchen bescheuerten Sehbehindertengruppen herumschlagen.

Und sonst so? Die Gegend, in der er lebt, ist heruntergekommen. Gewalt gehört zum Alltag. Wer nicht zurückschlägt, wird zu Boden geworfen – oder gleich totgetreten. Und wer versucht zu helfen, liegt kurz darauf daneben. Also schaut man lieber weg. Und geht weiter. Doch dann wird alles noch schlimmer. Die seltsamen Flecken verdichten sich. Die Schatten nehmen Gestalt an – gebunden an Menschen, die Cayan umgeben. Sie sind nicht sonderlich freundlich. Und er kann ihnen nicht ausweichen. Nicht den Schatten der anderen. Und schon gar nicht seinem eigenen.

Cataract Vol.1 startet mit einer Wucht, die sich nicht erklären muss – sie trifft einfach. Realismus, Mystery und Gesellschaftskritik greifen hier wild ineinander. Die Figuren wirken roh, ungebügelt, nicht immer politisch korrekt, aber gerade deshalb umso echter. Die Dialoge sind nicht glattgeleckt – klingen, als kämen sie direkt von der Straße. Der Strich ist lebendig, die Seiten dynamisch komponiert, der Horror ästhetisch und psychologisch gleichermaßen wirkungsvoll. Nicht alles ist perfekt – und das ist Teil der Qualität. "Cataract" erzählt so, wie es erzählt werden will: selbstbewusst, direkt, nahbar. Und wer genau hinschaut, merkt schnell: Hier geht's nicht um Heldentum – sondern darum, nicht davonzulaufen, wenn's unbequem wird.

Adroth Rian

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"Cowboy Jim – Band 5 und 6"
von Bertram Könighofer
(Selbstveröffentlichung)

Der schon 2023 nominierte Revolverheld schießt sich durch Teil 5 und 6 seiner mittlerweile mit Vierfarb-Covern ausgestatteten Abenteuerserie: Mini-Folgen einer Fortsetzungssaga, unterbrochen von Cliffhangern, Saloonbesuchen und Abschweifungen in asiatische oder schamanische Mythenwelten. Gezeigt wird Jim mal begleitet, mal getrennt von seinem Freund, dem "travelling wordsmith" Bierce (der aus Wortspielgründen den Vornamen Ambrose ablegt), beim Bierkonsum mit Hindernissen oder auf ihrer Quest im Geistercanyon, im blühenden West Virginia, in vorzeitlich-indianischen Tempelbauten und in der Wüste Nevada. Ein ums andere Mal werden beide durch Amulett-Magie, göttliche Apotheose oder das Auftun eines Zeitkanals aus brenzligen Situationen gerettet. Edgar Allan Poe, in Band 5 noch als Leserbriefschreiber aus Philadelphia zitiert, empfängt Bierce im Kerker seines ku-klux-klan-kommandierenden Widersachers Reynolds, während Jim am Ende einen oberirdischen Atomversuch im Panzerfahrzeug überlebt. Parodistischer Irrwitz, ironischer Blütenstrauß vieler, noch längst nicht aller bekannten Westernklischees, der noch endlos weitergehen mag – spielerisch, makaber, experimentell, oft absurd und fast immer rasend komisch, mit viel Fanart-Beiwerk, kurz, ein idealer Kandidat für die Nominierung zum ICOM Independent Comic Preis 2025 in der Kategorie "Selbstveröffentlichung".

Nikolaus Gatter

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"Ich und Tod Detektei"
von Patrick Wirbeleit und Matthias Lehmann
(Kibitz-Verlag)

Lukas turnt auf der Friedhofsmauer herum und stürzt ab. Als er wieder zu sich kommt, sitzt der Tod neben ihm, in persona, mit Totenkopf und schwarzer Kutte.

Aber der Sensenmann, der neuerdings ganz ohne Schnittwerkzeug zugange ist, will den Jungen nicht ins Jenseits geleiten, denn Lukas ist noch am Leben.Der Tod kam nur vorbei, um zu quatschen. So weit, so schräg. Doch es kommt noch schräger. Lukas' bester Freund, der alte Johann, kommt ums Leben. Von seinem neuen Freund Tod erfährt der Junge, dass es kein Unfall war, sondern Mord.

Gemeinsam versucht das ungleiche Paar nun, den Mörder zu entlarven. Aber ohne Motiv ist das nicht einfach. So entwickelt sich alsbald ein Gespinst aus falschen Fährten und Verdächtigungen, das die beiden je nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten zu meistern versuchen. Das Ganze bleibt spannend und unvorhersehbar bis zum Schluss, ohne auf einen häufig augenzwinkernden Humor verzichten zu müssen und mit wundervoll klarem und stimmungsvollem Artwork.

Die Jury nominiert "Ich und Tod Detektei" von Patrick Wirbeleit und Matthias Lehmann für den XPPen Preis 2025.

Dirk Seliger

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"Menschen am Fluss"
von Christian Schmiedbauer
(Volk Verlag)

Es gibt Bücher, die erzählen Geschichten, andere werden selbst zu einer. Christian Schmiedbauers Graphic Novel "Menschen am Fluss – Tagebuch meiner Donaureise" ist beides. Auf den ersten Blick das Reisetagebuch eines jungen Mannes, der entlang der Donau vom Schwarzwald bis ins Delta radelt – auf den zweiten eine feinfühlige Meditation über Heimat, Identität und die Kraft menschlicher Begegnungen.

Schmiedbauer nähert sich seinem Sujet mit einer Neugier, die selbst Widerstände willkommen heißt. Politische Unruhe und Not, sogar eine Nacht im Gefängnis wird als Chance zur Erkenntnis begriffen. Denn er reist nicht nur geografisch, sondern auch emotional: auf der Spur eigener Wurzeln und der Bedeutung jenes Elements, das alle eint: dem Wasser. Die Donau selbst ist hier Protagonistin und Begleiterin zugleich.

Gestalterisch ist diese Graphic Novel ein Triumph der Vielstimmigkeit: Aquarelle wechseln mit expressiven Marker-Strichen, zarte Pastelltöne folgen auf knallige Neonsignale: Kulturen, Menschen und Sprachen zu einer vibrierenden Sinfonie verbunden.

Die Quintessenz ist subtil und universell: Identität entsteht nie isoliert, sondern im gemeinsamen Strom, in der Begegnung, im Gespräch, in der Musik. Schmiedbauer macht das Wasser zu einer Metapher, die reichhaltig ist – verbindend, reinigend, heilend.

Dies ist mehr als ein Buch – es ist ein lebendiges Plädoyer für Offenheit, Vielfalt und Menschlichkeit, das tief in die Seele Europas blickt – ein Werk, dessen gestalterische Eleganz und empathische Haltung es zweifelsfrei für die Nominierung in der Kategorie "Beste Verlagsveröffentlichung" des ICOM-Preises prädestinieren.

Sandra Nußer

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"Zusammen leben"
von Mandy Jensen
(Selbstveröffentlichung)

Was machen eine Fledermaus, ein Hund, eine Taube, ein Bär, ein Kater und ein Lurch in einer WG? Na, zusammenleben – was sonst?

Ein schlechter Witz? Könnte man meinen, doch hinter Mandy Jensens Idee steckt tatsächlich ein kuschelweicher, herzlicher Feelgood-Comic. Kein Wunder bei so viel Tierhaar und Flausch. Darin erzählt sie vom chaotischen WG-Alltag der besten Art: Keine großen Dramen, keine tiefen Abgründe, keine Moralgewitter – es bleibt nett und freundlich. Und das passt. Der Humor ist sanft, die Konflikte mini, die Atmosphäre maximal entspannt.

Was wie eine Folge Sesamstraße für Erwachsene klingt, ist tatsächlich eine liebevolle Ode an das Miteinander: an Rücksicht, Kommunikation und ein bisschen absurde WG-Logik.

Da zerfetzt der Kater die Pappboxen, die Taube schrubbt das Bad, und der Hund bellt den Postboten an – ein Eichhörnchen, natürlich.

Jensens Stil ist weich, klar und voller Charme. Ihre Figuren sind direkt ins Herz gezeichnet. "Zusammenleben" ist keine psychologisch tiefschürfende Graphic Novel, sondern ein Comic zum Durchatmen, Schmunzeln und kurz-mal-wieder-an-das-Gute-glauben.

Und mal ehrlich: Gerade an manchen Tagen tut so eine Lektüre einfach nur gut.

Findet auch die Jury, die das Werk für den ICOM Independent Comic Preis 2025 in der Kategorie "Selbstveröffentlichung" nominiert.

Adroth Rian

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Die Jury

Die vierköpfige Jury besteht aus dem Comic-Autor und -Zeichner Dirk Seliger (u.a. "Luzian Engelhardt", "Gambert"), der Zeichnerin Adroth Rian, Sandra Nußer (Creative Director) und Nikolaus Gatter (Schriftsteller, Übersetzer, Publizist, Germanist, Musikkritiker und Liedermacher).
20 Jahre ICOM Independent Comic Preis
Aus Anlaß des 20jährigen Jubiläums des Independent-Preises druckte der ICOM 2014 dieses Poster mit allen Preisträgern. Ein höherauflösendes PDF findet man, wenn man auf die obige Abbildung klickt.